
Nach Ausscheiden der FDP Vom Bundestag in die Wirtschaftslobby
Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag verlieren viele Mitarbeiter von Fraktion und Abgeordneten ihre Jobs. Die FDP versucht, ihr Personal weiterzuvermitteln - auch in große Wirtschaftsverbände, wie BR-Recherchen zeigen.
Die FDP fliegt aus dem Bundestag und mit ihr mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktion sowie mehr als 600 Personen, die für einzelne Abgeordnete gearbeitet haben. Sie alle brauchen nun neue Jobs. Deshalb veröffentlichte die Fraktion kurz nach der Bundestagswahl in ihrem Intranet einen "Stellenmarkt Wirtschaftsunternehmen/Verbände etc.".
"Der Personalbereich der Bundestagsfraktion", heißt es darin, "hat bereits mehrere Stellenangebote in der liberalen Familie gesammelt und hier zur Verfügung gestellt." Die Übersicht liegt dem Team von BR Recherche vor.
Aufgelistet sind mehr als 100 Stellenanzeigen von "Social Media Redakteur" für einen Wirtschaftsverband über "Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht" in einer Kanzlei bis hin zur Position eines "Senior Policy Manager", eine Art Chef-Lobbyist in der Glücksspielbranche.
Stellenangebote in der "liberalen Familie"
Die Stellenanzeigen weisen auf Jobs in großen Wirtschaftsverbänden wie dem Banken-, dem Arbeitgeberverband, dem Verband der Automobilindustrie, der Gas- und Wasserstoffwirtschaft, der Versicherungswirtschaft und der Telekommunikationswirtschaft hin. Zudem finden sich Firmen wie der Solarhersteller Enpal oder das Medienunternehmen Table Media auf der Liste.
Die meisten Stellen sind offen ausgeschrieben. Bei anderen Angeboten steht: "Stelle ist nicht öffentlich ausgeschrieben" oder "Vermittlung über persönlichen Kontakt".
"FDP häufig Fürsprecher wirtschaftlicher Lobbyinteressen"
Die Politikwissenschaftlerin Christina Deckwirth vom Verein LobbyControl sagte dem BR, es sei "nicht per se problematisch, wenn die FDP ihr Netzwerk nutzt, um ausscheidendes Personal in neue Jobs zu vermitteln". Dennoch gibt Deckwirth zu bedenken: "Es entsteht der Eindruck: Wer für die Partei arbeitet, kann sich auf einen Anschlussjob in einem Wirtschaftslobbyverband freuen. Das mag erklären, warum die FDP häufig als Fürsprecher bestimmter wirtschaftlicher Lobbyinteressen auffällt."
Ein Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag teilte auf Anfrage mit: "Die Fraktion versteht es - wie jeder verantwortungsvolle Arbeitgeber - als ihre Aufgabe, sich um die Mitarbeiter zu kümmern, die ihre Jobs im Bundestag verlieren." Deshalb seien öffentlich ausgeschriebene Stellen gesammelt und den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt worden. Weitere Fragen beantwortete die Fraktion nicht.
Im "Stellenmarkt" verweist die Fraktion darauf, dass "die Auswahlentscheidung beim Unternehmen" liege. Mehrere Verbände antworteten dem BR, dass sie seit längerem auf der Suche nach Fachpersonal seien. Einige geben an, sich an alle Fraktionen gewandt zu haben. Auf die Frage, ob sich die jeweiligen Verbände als Teil der - so die FDP - "liberalen Familie" sehen, entgegnen die meisten, sie seien "überparteilich".
Ansprechpartner häufig mit FDP-Verbindungen
Die Fraktion führt in der Liste ursprünglich 34 Ansprechpartner bei den jeweiligen Unternehmen und Verbänden auf. Nach BR-Recherchen ist knapp die Hälfte in der FDP aktiv oder hat in der Vergangenheit für die Bundestagsfraktion oder für FDP-Bundestagsabgeordnete gearbeitet. Darunter sind mehrere Kandidatinnen und Kandidaten auf Landes- oder Bundesebene sowie die langjährige persönliche Referentin von Christian Lindner.
Auffällig ist auch eine Personalie im Lobbyverband "Gas- und Wasserstoffwirtschaft", früher "Zukunft Gas". Der Ansprechpartner dort ist FDP-Mitglied. Nach eigenen Angaben absolvierte er eine Ausbildung in dem Lobbyverband und wechselte später in das Büro eines FDP-Abgeordneten, ehe er wieder in den Gasverband zurück ging.
Im Bundestag war er beim sächsischen Abgeordneten Torsten Herbst angestellt. Der war in der vergangenen Legislatur parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion und zuvor mit Verkehrsthemen betraut. Ab Sommer 2022 sprach Herbst mehrfach öffentlich über das Thema Gas und warb dafür, in Deutschland mehr Gas zu fördern. Genau diese Forderung vertrat zu der Zeit auch der Lobbyverband "Zukunft Gas", heute "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft".
Torsten Herbst schreibt auf Anfrage, "im Bundestag mit Berichterstattungen" zum Thema Energie "zu keinem Zeitpunkt" befasst gewesen zu sein. "Meine inhaltliche Positionierung erfolgt unabhängig von anderen Personen oder Verbänden", so Herbst.
Zum "Stellenmarkt" der FDP-Fraktion, in der sein ehemaliger Mitarbeiter als Ansprechpartner geführt wird, sagte Herbst, er habe keinerlei Übersicht erstellt, sehe darin jedoch "auch kein Problem". Der Verband "Die Gas- und Wasserstoffwirtschaft" schrieb auf Nachfrage, dass die Stellenangebote auf "mehreren frei zugänglichen Jobportalen veröffentlicht" worden seien.
Wechsel von Politik in die Lobby keine Seltenheit
Eine Auswertung des Lobbyregisters sowie interner Fraktionsunterlagen und Bundestagsdokumenten durch BR-Recherche zeigt: Mindestens 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Abgeordneten der FDP, SPD, Grünen und CDU/CSU gaben im Laufe der Legislatur ihre Jobs im Bundestag auf, um als Lobbyisten zu arbeiten.
So wechselte die Mitarbeiterin eines SPD-Energieexperten im vergangenen Jahr als Referentin zum Energieversorger RWE. Siemens Healthineers stellte eine Büroleiterin einer FDP-Gesundheitspolitikerin ein.
Ein früheres Team-Mitglied einer Bundestagsabgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen ist inzwischen als Referent für Umwelt und Nachhaltigkeit beim Verband der Automobilindustrie tätig. Ein Ex-Mitarbeiter aus dem Büro eines CDU/CSU-Parlamentariers arbeitet seit Anfang 2024 für die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas.
Karenzzeit nur für Mandatsträger
Ex-Minister und Staatssekretäre müssen Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes in den ersten 18 Monaten melden, die Bundesregierung kann diese untersagen. Abgeordnete erhalten nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag Übergangsgeld. Für Mitarbeitende gelten diese Regeln nicht, sie müssen lediglich im Lobbyregister eintragen, wenn sie als Interessenvertreter tätig werden.
Christina Deckwirth von LobbyControl sieht Wechsel von Mitarbeitern in die Lobby als weniger sensibel an als bei Mandatsträgern. "Es ist aber auch hier durchaus problematisch, wenn man mit dem Wissen, wie es im Bundestag abläuft, und mit seiner Kontaktliste, direkt die Seiten wechselt." Mitarbeiter sollten sich genau überlegen, ob ein Seitenwechsel dem Ansehen des Mandats schade.
Die Fraktionen von Grünen und SPD teilten auf BR-Anfrage mit, keine Listen mit Stellenangeboten für Mitarbeiter erstellt zu haben. Beide Fraktionen verloren bei der Bundestagswahl deutlich Mandate - und damit Stellen für Mitarbeiter. Die FDP-Fraktion änderte nach der Anfrage des BR den Eintrag im Intranet. Nun findet sich dort kein Hinweis mehr auf die "liberale Familie".