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Kindesmissbrauch im Darknet Polizei löscht strafbare Bilder nicht
Deutsche Ermittler verzichten weiterhin darauf, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch systematisch zu löschen, selbst wenn es technisch möglich wäre. Das belegen nach Panorama-Recherchen aktuelle Daten und ein vertraulicher Bericht der Innenminister.
Ermittlungsbehörden lassen strafbare Aufnahmen, die in pädokriminellen Darknet-Foren getauscht werden, selbst dann nicht sofort entfernen, wenn sie Gegenstand von Ermittlungen waren. Im Fall des Darknet-Forums "Alice in Wonderland", das nordrhein-westfälische Ermittler schon im September 2024 abgeschaltet hatten, sind die dort verlinkten Aufnahmen bisher nicht gelöscht worden. Sie verbreiten sich dadurch weiter, wie aktuelle Recherchen des ARD-Politikmagazins Panorama und des Rechercheformats STRG_F zeigen.
Der Fall "Alice in Wonderland" steht für ein strukturelles Defizit in polizeilichen Ermittlungen, wie die Recherchen zeigen. Während Strafverfolger sich auf die Abschaltung von Foren und die Festnahme von Hintermännern konzentrieren, hat die Löschung der Fotos und Videos bei den Speicherdiensten eine geringere Priorität. Polizei und Staatsanwaltschaften betreiben in einschlägigen Darknet-Foren keine aktive Suche nach solchen Aufnahmen, sondern lassen sie aus Ressourcenmangel wissentlich im Netz.
Faeser: Prozesse beim BKA "umgestellt"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte den Kampf gegen Kindesmissbrauch zu einem Schwerpunkt ihrer Amtszeit machen wollen. Sie hatte sich auch für das Löschen der strafbaren Aufnahmen ausgesprochen. Für Betroffene von sexualisierter Gewalt ist das von großer Wichtigkeit. Die ständige Verfügbarkeit von Fotos und Videos der Taten verletzt sie in ihren Rechten und kann retraumatisierend wirken.
Nachdem 2021 durch Recherchen von STRG_F, Panorama und Der Spiegel bekannt geworden war, dass auch das Bundeskriminalamt (BKA) bei Ermittlungen in Darknet-Foren massenhaft illegale Inhalte im Netz gelassen hatte, hatte Faeser mehrfach beteuert, dass die Löschverfahren beim BKA daraufhin "umgestellt" worden seien.
Noch im Dezember 2024 bekräftigte Faeser im Interview: "Aus meiner Sicht ist es besser geworden. Wir haben jedenfalls unsere Bemühungen verstärkt." Sie halte das Löschen "für eine der wichtigsten Arten der Kriminalitätsbekämpfung". Die Ergebnisse einer monatelangen Datenanalyse, die STRG_F und Panorama in allen großen pädokriminellen Darknet-Foren durchgeführt haben, zeigen jedoch, dass Behörden dort verlinkte Aufnahmen weiterhin nicht entfernen lassen. Teilweise bleiben Fotos und Videos, die den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, über viele Jahre im Netz.
Innenministerkonferenz stellte Besserung in Aussicht
Hintergrund sind die seit Jahren bekannten Taktiken pädokrimineller Täter. Diese vernetzen sich zwar im anonymen Darknet, aber die Datenmengen ihrer illegalen Aufnahmen sind zu groß, um dort gespeichert zu werden. Daher wählen sie Speicherdienste im "normalen" Internet, um ihr Material verschlüsselt hochzuladen. Durch eine systematische Analyse der Darknet-Foren könnten tausendfach Hinweise gesammelt werden, um die Speicherdienste auf die verschlüsselt hochgeladenen Missbrauchsdarstellungen hinzuweisen.
Die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern hatte offiziell festgehalten, dass diese Methode und das konsequente Löschen "eine geeignete Möglichkeit bietet, die Verfügbarkeit von Missbrauchsabbildungen zu reduzieren."
Den Reportern von STRG_F und Panorama liegt allerdings ein Bericht vor, der nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte, und zum Ergebnis kommt, dass die Ermittlungsbehörden nicht großflächig löschen lassen. Demnach fehle es an Personal und die Politik müsse bestimmte Rechtsgrundlagen anpassen. Eigentlich aber, so heißt es im Bericht, seien die Löschungen "im Sinne des Opferschutzes und der öffentlichen Erwartungshaltung ein wirkungsvoller Beitrag".
Nach Pilotprojekt: Darknet-Foren geben auf
Die Datenrecherchen von Panorama und STRG_F zeigen, dass das Löschen tatsächlich kaum Personal binden würde. In einem Pilotprojekt genügten schon zwei Personen, um über Monate hinweg in den großen pädokriminellen Darknet-Foren die dort verlinkten Fotos und Videos zu erfassen. Insgesamt deaktivierten die Speicherdienste Links zu über 300.000 Aufnahmen mit einer Datenmenge von 21.600 Gigabyte. Sie löschten die Daten von ihren Servern, nachdem sie zuvor über 23 Millionen Mal von Pädokriminellen heruntergeladen worden waren.
Zwei Darknet-Foren, in denen systematisch gelöscht wurde, stellten ihren Betrieb komplett ein, darunter das zweitgrößte der Welt. Ein weiteres wurde von den Betreibern nicht mehr gepflegt und von Nutzern als "totes Forum" bezeichnet. Einige Pädokriminelle, die über Jahre illegale Aufnahmen verbreitet hatten, gaben in Chats an, wegen der konsequenten Löschung damit aufzuhören.
NRW-Innenminister: "Es wird nicht gelöscht"
Das Bundesinnenministerium bekräftigte auf erneute Anfrage, Prozesse "evaluiert und angepasst" zu haben. Was das konkret bedeute, blieb unklar. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), verantwortlich für den Fall "Alice in Wonderland", zeigte sich im Interview mit STRG_F und Panorama hingegen selbstkritisch: "Es wird nicht gelöscht, zumindest nicht so, wie ich mir das vorstelle." Die Methode sei gut, "davon muss mich auch keiner mehr überzeugen."
Bisher habe aber Priorität gehabt, Täter zu verhaften und Opfer aus laufenden Missbrauchssituationen zu befreien, so Reul: "Das heißt aber nicht, dass das andere nicht gemacht werden muss." Er kündigte an, das Thema erneut in die Innenministerkonferenz einzubringen.