Silhouetten von Windkraftanlagen.
analyse

Stromversorgung in Deutschland Warum Kraftwerke trotz Dunkelflaute nicht anspringen

Stand: 30.01.2025 12:48 Uhr

Windstille und eine dichte Wolkendecke führen zu sogenannten Dunkelflauten. So werden Strom-Importe nötig - und die Preise können hochschießen. Aber warum werden Reserve-Kraftwerke nicht aktiviert?

Von Michael Houben, mdr

Mitte Dezember war es soweit: Es geschah, wovor Kritiker Erneuerbarer Energie schon lange warnen. Eine Dunkelflaute erreichte Deutschland. Sie beschreibt das gleichzeitige Auftreten von Dunkelheit und Windflaute und schränkt den Einsatz von Windenergie- und Photovoltaikanlagen ein. Deshalb musste Deutschland zwischen dem 11. und 13. Dezember zeitweise ein Viertel des Verbrauches importieren. Der Preis pro Kilowattstunde, üblicherweise zwischen fünf und 20 Cent, stieg im täglichen Handel sogar deutlich über einen Euro.

Unternehmen, die viel Strom benötigen und ihn täglich an der Börse kaufen, drosselten die Produktion, schickten Personal nach Hause. Für viele Beobachter ein weiterer Beleg für eine gescheiterte Energiewende. Professor Bruno Burger am Fraunhofer ISE in Freiburg sammelt seit über einem Jahrzehnt alle von Strombörse und Aufsichtsbehörden veröffentlichen Daten zum deutschen Strommarkt. Er widerspricht vehement: Wenn mehr Wind und Solarstrom erzeugt als benötigt wird, gibt es immer häufiger sogar negative Börsenpreise.

Kunden erhalten teils Geld für Stromverbrauch

Ein Kunde, der direkt an der Börse kauft, erhält dann sogar Geld für seinen Stromverbrauch. Im letzten Jahr an die 438 Stunden. So ist trotz teils extremer Spitzen im Dezember der im Jahresdurchschnitt zu zahlende Börsenstrompreis sogar deutlich gesunken: auf 7,8 Cent pro Kilowattstunde. Damit war Strom zuletzt 18 Prozent billiger als 2020, dem letzten Jahr vor dem Ukraine-Krieg. Obwohl bundesweit damals noch sechs Atomreaktoren am Netz waren, kostete eine Kilowattstunde 2021 im Schnitt noch 9,3 Cent.

Jedes größere Kraftwerk muss für jeden Moment jedes Tages melden, wie viel Strom es erzeugt. Überraschenderweise gab es Dutzende Kraftwerke, die selbst in der Stunde höchster Preise keinen Strom produziert haben. Zu dem Ergebnis kommt Professor Burger.

Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur haben angekündigt, zu untersuchen, ob ihre Besitzer den Strom zurückgehalten haben, um durch Knappheit die Preise hochzutreiben und mit den laufenden Kraftwerken umso besser zu verdienen. Die Behörden teilten mit, es lägen noch keine Ergebnisse vor.

Ein Drittel der Kraftwerke war nicht verfügbar

Darum hat Plusminus alle Besitzer der trotz Dunkelflaute nicht liefernden Kraftwerke um Stellungnahme gebeten. Laut deren Antwort war fast ein Drittel der vorhandenen Kraftwerke wegen teilweise auch kurzfristig aufgetretener Defekte nicht verfügbar. Doch viel gravierender: Der weit überwiegende Teil der im Leerlauf in Bereitschaft stehenden Kraftwerke, durfte gar keinen Strom liefern. Es handelt sich um Reservekraftwerke, deren Eigentümer sie längst stilllegen wollten, die aber so dringend benötigt werden, dass der Staat ihren Weiterbetrieb als Reserve für Notfälle verlangt und komplett finanziert.

Die Kosten der Reserve werden dann auf den Börsenpreis aufgeschlagen. 9,8 Gigawatt an Gas- und vor allem Steinkohlekraftwerken waren während der Dunkelflaute als Reserve eigentlich verfügbar. Das entspricht rund sieben Atomkraftwerken. Das Personal war vor Ort, hätte jederzeit Strom liefern können. Doch Reservekraftwerke durften laut Gesetz selbst in der dunkelsten Stunde der Dunkelflaute nicht eingreifen.

Die Reserve darf erst genutzt werden, wenn rein technisch ein Blackout droht, europaweit niemand zu finden ist, der - egal zu welchem Preis - Strom liefern kann. Solange kein Blackout droht, dürfen die Kraftwerke laut Gesetz nicht zur Senkung selbst extremer Börsenpreise genutzt werden. Ein Gesetz, das noch im Jahr 2020 von der Regierung Merkel verabschiedet wurde.

Staatliche Reserven werden nicht benutzt

Professor Christof Bauer lehrt an der TU Darmstadt und berät den Chemiepark Höchst in Fragen der Energiebeschaffung. Er argumentiert aus Sicht der Industrie und hält es für absurd, dass Deutschland rund ein Drittel seiner Großkraftwerke als Reserve ständig in Bereitschaft hält, die immensen Kosten dafür auf die Stromkunden umlegt - und die teuer bezahlten Reservekraftwerke dann nicht nutzt, um zumindest in Zeiten wirklich extremer Knappheit und Preise die Not zu lindern.

Selbst explizite Befürworter von Energiewende und langfristigem Kohleausstieg weisen zudem darauf hin, dass ein Betrieb von Steinkohlekraftwerken in Reserve für wenige Dutzend Stunden pro Jahr insgesamt nur winzigen Einfluss auf den Kohlendioxidausstoß, also Klimaschäden, hätte. Es wäre viel einfacher, diese riesigen staatlich finanzierten Reserven zu nutzen, als etwa stillgelegte Kernkraftwerke zu reaktiveren.

Allerdings zeigen die Daten der Dunkelflaute, dass nicht nur viele Großkraftwerke defekt oder wegen Einstufung als Reserve im Leerlauf waren. Es gibt bundesweit zehntausende kleiner Kraftwerke, die ihre Aktivitäten nicht kontinuierlich melden müssen. Laut Daten der Netzbetreiber waren davon neun Gigawatt trotz Dunkelflaute nicht am Netz. Auch das entspricht der Leistung von rund sieben Atomkraftwerken.

Flexibilität bei der Stromversorgung

In Heidelberg werden die Hälfte aller Häuser und Betriebe von den Stadtwerken mit Fernwärme versorgt. Wenn viel Wind- und Solarstrom für niedrige Börsenpreise sorgen, erzeugt man hier Wärme mit großen Wärmepumpen aus Strom - ziemlich billig. Wenn Strom teurer wird, werden stattdessen Blockheizkraftwerke aktiviert, deren Strom aus der Wärmeproduktion dann mit Gewinn verkauft werden kann.

Geschäftsführer Michael Teigeler berichtet, dass Mitte Dezember eigentlich ein Zündkerzenwechsel an den großen Motoren fällig gewesen wäre. Als frühzeitig absehbar gewesen sei, dass die Börsenpreise auf Rekordniveau steigen, hätte man die Zündkerzen am Morgen noch schnell gewechselt, damit die Anlage auf jeden Fall Strom liefern und Geld verdienen kann.

Christof Bauer erklärt, er wisse aus eigener Erfahrung, dass derartige Anlagen in der Industrie längst auf Flexibilität und Optimierung am Strommarkt eingerichtet seien. Warum es bundesweit noch so viele Anlagen gebe, die bei Dunkelflauten nicht anspringen, könne er sich nicht erklären.

Stromerzeugung wird billiger

Die Stadtwerke Heidelberg haben sogar einen großen Wärmespeicher gebaut, mit dem sie ihre Anlagen langfristig nach dem Strommarkt regeln und das Abfallprodukt Wärme sogar tagelang speichern können. Geschäftsführer Michael Teigeler will das fortsetzen und erklärt, dass es jede Menge anderer Städte gäbe, die das ähnlich optimieren könnten. Es gäbe da noch erhebliches, auch wirtschaftlich attraktives Potential.

Insgesamt zeigen die Daten: Auf lange Sicht wird Stromerzeugung durch Erneuerbare Energie zweifellos billiger. Der häufig bemühte Verweis auf geringere Preise etwa im Atomstromland Frankreich greift ins Leere. Dort wird Strom massiv staatlich subventioniert. Weil das dem Staat zu teuer wird, wurde bereits beschlossen, den französischen Industriestrompreis auf das aktuell in Deutschland übliche - nicht subventionierte - Börsenpreisniveau anzuheben.

Deutschland hätte genug Kraftwerke um jede Dunkelflaute, auch ohne Extrempreise, aus eigener Kraft zu überstehen. Sie werden aus politischen Gründen und auch Trägheit einiger Marktteilnehmer nicht genutzt.