Menschen arbeiten an einem haushohen Metallgerüst und einem Silo daneben auf einem Wertstoffhof im baden-württembergischen Ebersbach.

Neue Technologie vorgestellt Aus Plastikmüll soll Wasserstoff werden

Stand: 05.12.2024 04:14 Uhr

Die UN scheitern an einem Abkommen für weniger Plastikmüll. Die Industrie kämpft damit, klimaneutral zu produzieren. Auf einem schwäbischen Wertstoffhof soll ein Pilotprojekt beide Probleme angehen.

Von Tobias Faißt, SWR

Der angekündigte Meilenstein für die Herstellung von Wasserstoff ist vor allem eins: unscheinbar. In einem haushohen Metallgerüst verlaufen mehrere Rohre, daneben steht ein Silo. Vor dem Aufbau auf einem Wertstoffhof in Ebersbach spricht Robert Nave, Geschäftsführer von Green Hydrogen Technology (GHT), von einem "bedeutsamen Tag für den Hochlauf der Wasserstoff-Produktion". In Zukunft möchte sein Start-up in dem Metallgerüst klimaneutralen Wasserstoff aus Kunststoffen gewinnen. Großer Vorteil: niedrige Produktionskosten.

So funktioniert der Müllreaktor

Möglich macht es eine Technologie, die mit extremer Hitze funktioniert. Bei bis zu 1.600 Grad Celsius werden im sogenannten Flugstromreaktor Biomasse und Kunststoffe in Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Das Treibhausgas wird verflüssigt und soll als Kohlensäure an Getränkehersteller weiterverkauft werden.

Zunächst diene Holzstaub als Brennstoff für den Reaktor, erklärt Robert Nave. "Das Endziel ist aber sämtliche Abfälle, die Kohlenstoff enthalten, zu verarbeiten", führt der GHT-Chef aus - eben Holz und Plastik, das nicht mehr recyclebar ist. Obwohl bei dem Prozess CO2 entsteht, spricht er auf Nachfrage davon, dass der Wasserstoff klimaneutral hergestellt wird. Er argumentiert, dass die nicht mehr recyclebaren Stoffe sonst in der Müllverbrennungsanlage landen und das Kohlenstoffdioxid direkt in die Atmosphäre kommt. Als Kohlensäure bleibt das CO2 zudem bei den Getränkeherstellen in einem Kreislauf, wo es sowieso gebraucht wird.

Kein "grüner" Wasserstoff

An dieser Darstellung hat Karsten Smid von Greenpeace deutliche Zweifel. Er bezeichnet den Müllreaktor als "Greenwashing". "Schon allein, weil CO2 als Abfallprodukt anfällt", so der Energieexperte der Umweltorganisation auf Nachfrage von tagesschau.de. Der Wasserstoff aus dem Flugstromreaktor ist für Smid also nicht klimaneutral. Das gelte nur für "grünen" Wasserstoff. So wird er bezeichnet, wenn er mit Erneuerbaren Energie gewonnen wird. Mit Strom aus Wind- oder Solaranlagen wird Wasser in der Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Das Ziel ist, dass die Industrie in Zukunft nur "grünen" Wasserstoff verwendet. Im Vergleich zur Elektrolyse ist das Verfahren im neuen Reaktor aber deutlich billiger.

Konkret strebt das Start-up Produktionskosten von fünf Euro pro Kilogramm an. Im nächsten Entwicklungsschritt sogar 1,50 Euro. Dafür seien aber weitere Investoren nötig, so Nave. Bei der herkömmlichen Elektrolyse kostet die Produktion etwa acht Euro pro Kilogramm. Abnehmer hat GHT schon gefunden. Das Unternehmen Hylane betreibt eine Wasserstoff-Lkw-Flotte und hat einen Bedarf für bis zu 1.000 Tonnen pro Jahr. Dafür reicht die Anlage in Ebersbach nicht aus. Dort kommen im Jahr bis zu 100 Tonnen Wasserstoff zusammen. Das reicht für eine Strecke von knapp 1,7 Millionen Kilometern mit den Wasserstoff-Lkw, so GHT-Geschäftsführer Nave. Starten soll die Produktion in etwa einem Jahr.

Dezentrale Wasserstoff-Produktion angestrebt

Laut der Wasserstoffstrategie der Bundesregierung benötigt Deutschland bis 2030 etwa drei Millionen Tonnen Wasserstoff. Dafür müssen die Erneuerbaren Energien ausgebaut und muss das Netz überhaupt aufgebaut werden. Experten schätzen, dass Deutschland einen Großteil des Wasserstoffs importieren muss. Auch wenn Müllreaktoren wie der in Ebersbach nur kleine Mengen liefern, könnten sie Teil der Lösung sein. Denn mit dem Verfahren kann Abfall dort verwendet werden, wo er anfällt. Allein GHT plant in den kommenden fünf Jahren laut eigener Aussage mindestens fünf Projekte. Die sollen jährlich 2.000 Tonnen Wasserstoff bringen. Das Unternehmen schielt allein in Deutschland auf einen Markt von mehr als 1.000 Recyclingbetrieben.

Das Bundeswirtschaftsministerium setzt große Hoffnungen in den Ansatz: "Für den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft ist es essenziell, dass sich verschiedene Branchen mit innovativen Technologien unternehmerisch daran beteiligen", sagt Bernhard Kluttig, Staatssekretär im Ministerium von Robert Habeck, mit Blick auf das Projekt in Ebersbach. Weltweit ist es der erste Reaktor dieser Art. GHT hat sich die Technologie patentieren lassen. Eine ähnliche Anlage wurde Großbritannien vor wenigen Jahren unter großer Aufmerksamkeit vorgestellt. Forscher aus verschiedenen Industriestaaten arbeiten aktuell an der Produktion von Wasserstoff mit schwer oder gar nicht mehr recyclebarem Kunststoff.

Zwei Fliegen mit einer Klappe?

Das weltweite Interesse an der Technik liegt nahe. In Südkorea haben die Vereinten Nationen bis Anfang Dezember über ein Abkommen zur Vermeidung von Plastikmüll verhandelt. Ohne Erfolg. 2021 fielen in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt 237 Kilogramm Verpackungsabfall pro Kopf an - EU-weit Platz zwei hinter Irland. Studien zufolge könnte sich die weltweite Plastikproduktion bis zum Jahr 2060 verdreifachen.

Für das daraus resultierende Müllproblem gibt es bisher keinen Ausweg. "Es kann nicht die einzige Lösung sein, aber wir sind ein Puzzlestück davon", sagt Robert Nave vielversprechend. Vorausgesetzt, das Pilotprojekt in Ebersbach funktioniert wie erhofft - und es folgen noch viele weitere Reaktoren.