Außenminister Steinmeier in Georgien Im Schatten des mächtigen Nachbarn
Die Ereignisse in der Ukraine bereiten auch der Ex-Sowjetrepublik Georgien Sorgen. Dort ist der Krieg 2008 noch in Erinnerung. Außenminister Steinmeier versuchte damals zu vermitteln. Wenn er nun wieder vor Ort ist, dürfte er sich auch an das damalige Misstrauen erinnern.
"Die Lage ist ruhig. Aber in unseren Herzen sind wir tief beunruhigt", sagt Lado. Der Georgier blickt auf eine Stacheldrahtrolle, die drei Meter vor ihm den Weg zu den anderen Gehöften des Dorfes Churwaleti versperrt. Vor zwei Jahren wurde der Stacheldraht ausgerollt, erzählt Lado. Seitdem könnten die Bewohner nicht mehr zum Friedhof und zu einigen ihrer Felder gelangen. Kontakt zu den Nachbarn auf der anderen Seite gebe es kaum noch.
Der Zaun soll die Grenze zwischen Georgien und dem abtrünnigen Gebiet Südossetien markieren. Der Stacheldraht hat aber noch einen anderen Zweck: Er soll die Georgier davon abhalten, sich der Hügelkette oberhalb des Dorfes zu nähern. Dort sind zwei von insgesamt 19 Militärbasen auf südossetischem Gebiet, die Russland dort seit 2008 errichtete oder ausbaute.
Im August 2008 trugen Georgien und Russland einen kurzen Krieg um Südossetien aus. Seither kontrollieren Tausende russische Soldaten und Einheiten des Inlandsgeheimdienstes FSB Südossetien und das andere von Georgien abtrünnige Gebiet Abchasien. Beobachter der EU-Mission EUMM dürfen die beiden Gebiete nicht betreten. Russland verletzt damit ein Abkommen, dass die EU vor sechs Jahren ausgehandelt hatte.
Sorge vor Szenarien wie in der Ukraine
Die Militärpräsenz in Südossetien ermöglicht es den Russen, innerhalb kürzester Zeit die Transitrouten zwischen Ost- und Westgeorgien und damit die Verbindung zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer zu kappen. Betroffen wären die Autobahn, die Eisenbahnlinie und Pipelines. Zudem gibt es eine große russische Militärbasis nur 130 Kilometer südlich in der armenischen Stadt Gyumri, direkt an der Grenze zum NATO-Staat Türkei.
Die Entwicklungen in der Ukraine vor Augen und den Krieg 2008 in Erinnerung, wachsen die Sorgen vor ähnlichen Szenarien in Georgien, zumal es eine armenische Minderheit im Süden des Landes gibt, die Russisch spricht und von denen einige russische Pässe besitzen, um in Russland arbeiten zu können.
Unter den Armeniern gibt es keine separatistischen Bestrebungen. Aber die georgische Regierung versäumte es in den vergangenen Jahren, die armenische Minderheit politisch und gesellschaftlich einzubinden und ihr ein wirtschaftliches Auskommen zu ermöglichen. Stattdessen zeigen Polizei und Geheimdienst dort starke Präsenz. So beteuert Innenminister Alexander Chikaidze: "Wir haben 99 Prozent Georgiens unter Kontrolle, abgesehen von den russisch okkupierten Gebieten." Doch die Behandlung der Armenier als Sicherheitsrisiko sorgt für Unmut. Es komme hin und wieder zu Spannungen mit Sicherheitskräften, sagt der Experte Giorgi Sordia.
Misstrauen gegenüber Steinmeier
Auch wenn das Misstrauen gegenüber Russland groß ist, so sagen auch viele Georgier, dass Michail Saakaschwili als Präsident einen Anteil am Ausbruch des Krieges 2008 hatte. Es war ein Grund, warum dessen Partei abgewählt wurde. Auch die Nachfolgeregierung der Koalition "Georgischer Traum" setzt auf eine Westanbindung Georgiens, aber zugleich auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland. Eine Mehrheit der Bevölkerung unterstützt diesen Kurs. Allerdings wird immer stärker Enttäuschung und Ernüchterung über den Westen spürbar, je mehr die Sorgen vor der Aggressivität Russlands wachsen.
Wenige Hoffnungen setzen die Georgier in Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Vielen ist noch sein Besuch im Juli 2008 in Erinnerung. Damals schaltete er sich in die Bemühungen von Amerikanern, Schweden und anderen um eine Beruhigung der Konflikte um die abtrünnigen Gebiete ein. Doch schlug ihm wegen der guten deutsch-russischen Beziehungen viel Misstrauen entgegen. Der damalige Reintegrationsminister Temuri Jakobaschwili erinnert sich: Steinmeier habe ihm das Szenario beschrieben, das sich Wochen später in Südossetien abspielen würde. Was Steinmeier als Warnung gemeint hatte, interpretierte die georgische Führung als Hinweis auf verdächtig enge Beziehungen Steinmeiers zu Moskau.
Aktuell für Irritation sorgte ein Statement Steinmeiers mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Polen, Fabius und Sikorski. Darin hieß es, man wolle Russland in einen Dialog über die Konsequenzen der EU-Assoziierungsabkommen mit Georgien und Moldawien einbeziehen. Der georgische Minister für euro-atlantische Integration, Alex Petriaschwili, sagt dazu: "Wir sehen keinen Grund, jetzt über Details dieses Abkommens mit Russland zu diskutieren. Es ist unsere souveräne bilaterale Entscheidung mit der EU. Nach der Unterzeichnung können wir gern in einen Dialog treten."
Keine Hoffnung auf schnellen EU- und NATO-Beitritt
Petriaschwili spricht, wie die meisten offiziellen Vertreter in Georgien, nicht von der Hoffnung auf eine baldige Mitgliedschaft in EU und NATO, sondern von weiterer Annäherung an den euro-atlantischen Raum, auch wenn sich das Land um Reformen bemüht und sich sehr bei den Einsätzen in Afghanistan und Zentralafrika engagiert.
Petriaschwili äußert Hoffnung auf Unterstützung bei der Selbstverteidigung des Landes: "Wir haben bereits 2008 verstanden, dass wir in Fällen wie auf der Krim keine militärische Unterstützung erhalten. Wir wünschen uns von unseren westlichen Verbündeten Unterstützung bei der Verbesserung unserer militärischen Verteidigungsmöglichkeiten. Denn zumindest müssen wir unsere Bürger, unser Land und unsere souveräne Entscheidung für Europa schützen können."
Noch eines nennt er und stimmt dabei mit Diplomaten und Experten überein: "Wir müssen über eine neue internationale Sicherheitsstruktur nachdenken, denn die alte ist ernsthaft beschädigt."