Hintergrund

Konflikt um abtrünnige Gebiete in Georgien Zündstoff für einen schwelenden Konflikt

Stand: 06.12.2009 09:45 Uhr

Offiziell gilt die Lage im Südkaukasus ein Jahr nach dem Krieg in Georgien als beruhigt. Der von der EU ausgehandelte Waffenstillstand hält. Doch die ungelösten Probleme in den abtrünnigen Gebieten Südossetien und Abchasien lassen den Konflikt weiter schwelen und die gegnerischen Seiten rüsten auf.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Die Ruki-Brücke über den Enguri ist wie ein Nadelöhr. Wer hindurch darf, entscheiden auf der einen Seite georgische Grenzpolizisten. Am anderen Ende beginnt das von Georgien abtrünnige Abchasien. Dort warten Milizionäre in Militärkleidung ohne Rangabzeichen. Hinter Bäumen stehen weiße Zelte des russischen Inlandsgeheimdienstes.

Dass Truppen des FSB den Grenzverlauf überwachen, ist eine Folge des Krieges im Sommer 2008. Damals hatte Georgien das andere abtrünnige Gebiet Südossetien angegriffen und Russland den Anlass geliefert, in Georgien einzumarschieren. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vermittelte nach fünf Tagen im Namen der EU ein Waffenstillstandsabkommen, das bis heute hält. Die Vereinbarung taugte aber nur dazu, das Feuer einzudämmen.

Der Konflikt schwelt weiter, besonders in Gali, dem Grenzbezirk Abchasiens. Die Straße durch dieses Gebiet ist zerschunden vom jahrzehntelangem Gebrauch und dem schweren russischem Kriegsgerät, das 2008 nach Georgien und wieder zurück rollte. Aus dem üppigen Grün links und rechts ragen verkohlte Baumstämme, Betongerippe einstmaliger Tee- und Obstkonservenfabriken und allenthalben mit Wellblech überdachte Grabstätten. Sie sind Zeugnis des Krieges, den Georgier und Abchasen bereits Anfang der 90-er Jahre geführt haben.

Auch in Gali, der Bezirkshauptstadt, ist die Infrastruktur noch weitgehend zerstört. Männer in Militäruniformen prägen das Bild: Hier russische Soldaten, die sich vor den wenigen Kiosken ein Freitagnachmittagbier gönnen; dort abchasische Milizionäre, die an einem schwarzen Mercedes lehnen. Das Misstrauen ist groß. Anschläge, Entführungen und Überfälle gehörten in den vergangenen Jahren zum Alltag. Der Gali-Bezirk ist die sensible Zone Abchasiens, denn hier leben etwa 50.000 Georgier. Dass sie ihre Grundstücke nicht verlassen wollen, ist nachvollziehbar: Fruchtbare Böden und subtropisches Klima bescheren reichliche Ernten an Haselnüssen, Mandarinen und anderen Früchten.

Notfälle müssen warten

In einem Haus unweit des Zentrums hat sich ein Dutzend NGO-Leute aus Gali versammelt. Keiner von ihnen möchte mehr als seinen Vornamen veröffentlicht sehen. Guram, Irma, Maja und die anderen kommen schnell auf das dringlichste Problem zu sprechen: Die Grenze. Die meisten Georgier hängen finanziell von Georgien ab. Sie müssen regelmäßig auf die andere Seite, um Rente oder Sozialhilfe abzuholen. Auch Lehrer und Mediziner erhalten ihr Gehalt von der georgischen Regierung. Wer hinüber darf, hängt aber von der Laune der abchasischen Milizen ab. Entgegen der Anordnung des abchasischen Präsidenten Sergej Bagapsch verlangen diese sogar Genehmigungen für Krankentransporte. Die Ärztin Nona Tarbaja aus einem Dorf nahe der Grenze berichtet, erst kürzlich sei ein Patient gestorben, weil er zu spät in das Krankenhaus auf der georgischen Seite habe gefahren werden können.

Der Fahrt weiter nach Abchasien in die 80 Kilometer entfernte Hauptstadt Suchumi auf der löchrigen Straße ist langwierig und gefährlich. Nur wenige Menschen aus Gali suchen sich deshalb Arbeit im Rest Abchasiens, der bereits von russischen Investitionen profitiert. Die abchasische Führung verspricht, die Menschen in Gali integrieren zu wollen. Doch bislang fordert sie lediglich von den Georgiern, abchasische Pässe anzunehmen und sich für eine Seite zu entscheiden.

Was ist wahr, was Gerücht?

Zudem wird kolportiert, die Russen könnten aus Sicherheitsgründen vor den Olympischen Spielen 2014 im nahe gelegenen Sotschi die Grenzübergänge nach Georgien ganz dicht machen. Seit russische Truppen die Grenzlinien nach Georgien überwachen, gibt es tatsächlich weniger Anschläge, was die abchasische Führung als Beweis sieht, dass solche Aktionen von georgischer Seite gesteuert wurden.

Doch die Menschen im Grenzgebiet fühlen sich nicht sicherer mit den Russen, erzählt Maja in Gali: Viele fürchteten, dass ihnen die Ernte gestohlen wird. Es gebe auch Berichte, dass bewaffnete Männer in eine Schule eingedrungen seien, um den Georgisch-Unterricht zu verbieten. Welche der vielen Gerüchte wahr sind, lässt sich aber kaum prüfen. Da die UNO ihre Mission in Abchasien beenden musste und die in Georgien stationierten EU-Beobachter das Monitoring nicht übernehmen dürfen, überwachen keine neutralen Beobachter mehr die Situation.

Aufrüstung in vollem Gange

Auf der anderen Seite der Grenze schürt das georgische Fernsehen in Berichten über Entführungen und Bücherverbrennungen den Groll vor allem auf die Russen. Sie werden als Besatzer und Aggressoren wahrgenommen. Die "russischen Aggressoren" dienten dem georgischen Verteidigungsminister Bacho Achalaia kürzlich als Rechtfertigung dafür, dass die Armee inzwischen wieder aufgerüstet wird.

Indes haben auch die Russen begonnen, ihre Armee besser für Einsätze an den eigenen Grenzen auszurüsten. So kaufen sie derzeit Drohnen aus Israel und verhandeln über den Kauf von bis zu fünf Landungsschiffen der Mistral-Klasse. Der Chef der russischen Marine, Wladimir Wissotski, sagte im September, mit diesen Schiffen hätte die Marine im Georgien-Krieg 2008 ihre Aufgabe in 40 Minuten statt in 26 Stunden erfüllen können. Diese Schiffe will Russland von Frankreich erwerben - dem Land, dessen Präsident noch immer mit Stolz darauf verweist, dass er im Sommer 2008 den Krieg im Südkaukasus beendet hat.