Islamisches Opferfest in Ägypten Aus dem arabischen Frühling wird ein Herbst
Die Euphorie des arabischen Frühlings ist in Ägypten der Ernüchterung gewichen: Fortschritte bei der Demokratisierung sind kaum festzustellen, das Militär zeigt keine Anzeichen dafür, dass es die Macht abgeben will. Zum islamischen Opferfest leidet das Land an postrevolutionärer Depression.
Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Kairo
Es ist fast wie jedes Jahr beim Eid al Adha in Kairo: Schafe, Ziegen, Kühe werden auf offener Straße geschächtet. Auf den Plätzen vor den großen Moscheen predigen die Imame zum gläubigen Volk. Die Segenswünsche zum Opferfest sind diesmal allerdings anders als in den Jahren zuvor: "Gott schütze unsere muslimischen Brüder in Syrien. Gott schütze unsere muslimischen Brüder im Jemen. Gott schütze die Muslime überall dort, wo sie für ihre Freiheit und für Gerechtigkeit kämpfen."
Vor einem Jahr beteten die Imame in den staatlichen Moscheen noch für die Gesundheit und das Wohlergehen Husni Mubaraks. Aber der ist gestürzt und neun Monate nach der ägyptischen Revolution stehen Ende November die lange versprochenen Parlamentswahlen bevor. Das islamische Opferfest fällt mit dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs zusammen.
Muslimbrüder verteilen Almosen an die Armen
Neben der Mustafa-Mahmoud-Moschee haben Muslimbrüder eine Kuh und drei Schafe geschächtet. Im Straßengraben staut sich das auslaufende Blut und gerinnt unter der Sonne. Das Fleisch wird derweil in große Würfel geschnitten, gekocht und von Bärtigen an die Armen verteilt. "Wir geben denen zu essen, die an diesen Festtagen nichts haben", sagt ein Scheich. "So will es Allah, so will es der Brauch im Islam."
Zum ersten Mal seit Jahrzehnten können die Muslimbrüder am islamischen Opferfest offen agieren und werben. Sie tun es erfolgreich: "Ich werde die Moslembrüder wählen", sagt ein Mann mit einer dampfenden Schüssel voll Reis auf den Knien. "Die Partei der Muslimbrüder wird dafür sorgen, dass es hier wieder gerecht zugeht. Sie sind sauber, sie sind nicht korrupt. Mit ihnen hat Ägypten eine demokratische und islamische Zukunft. "
Alte Versprechungen, denen kaum noch jemand glaubt
30, vielleicht 40 Prozent der Parlamentssitze könnten sie kriegen, schätzen unabhängige Institute. Gleichzeitig schickt der herrschende Militärrat auch seine Gefolgsleute raus auf die Straßen, um Wahlkampf zu machen: "Bald werde es hier neue Straßen geben, dazu noch eine bessere Kanalisation und Wasserversorgung", sagt Dr. Ali Abdelrahman, der Gouverneur von Gizeh, angeblich ein weitsichtiger, gebildeter Mann. Nächstes Jahr, verspricht der Gouverneur, werde es Ägypten noch besser gehen als in diesem.
Genau diese Sprüche hat es auch schon unter Mubarak gegeben. Wie der alte verleugnen nun auch die neuen Machthaber die politische Realität. Ägyptens Generäle lassen zwar die vielen politischen Parteien genauso wie die Muslimbrüder gewähren. Sie zeigen aber nicht die geringste Bereitschaft, ihre Macht nach den Wahlen einer zivilen Regierung zu übertragen.
Die Feiertage sind bald vorbei. Und diejenigen, die vor neun Monaten auf dem Tahrir-Platz ihre Köpfe hinhielten, haben ohnehin nicht viel zu feiern: "Wir sind so gut wie am Ende", sagt einer von ihnen. "Nichts hat sich wirklich verändert. Ich weiß nicht, in welche Richtung das Land gehen wird. Aber es sieht nicht gut aus."