Entwicklungshilfe Ein Marshallplan gegen Migration?
16 Milliarden Euro fließen in Deutschland in die weltweite Entwicklungshilfe, wenn man die Gelder aus allen Ministerien zusammenrechnet. Ob dieses viele Milliarden überhaupt etwas bringen, das ist durchaus umstritten. Ein Kritiker ist beispielsweise der Ökonom Axel Dreher, Professor für Wirtschafts-und Entwicklungspolitik an der Uni Heidelberg. tagesschau.de sprach mit ihm über den "Marshallplan", mit dem Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Entwicklungshilfe neu aufstellen will.
tagesschau.de: Warum sind Sie gegenüber der Entwicklungshilfe kritisch eingestellt?
Axel Dreher: Das Problem ist die Messbarkeit der Entwicklungshilfe. Man kann immer ausgewählte Projekte finden, die erfolgreich sind. Aber man kann nicht messen, wie alle Konsequenzen der Hilfe insgesamt die Entwicklung beeinflussen. In vielen Fällen wird die Hilfe ja aus Gründen gegeben, die mit Entwicklung gar nichts zu tun haben. Kein Wunder, dass sie dann nicht wirkt.
tagesschau.de: Das heißt im Falle von Deutschland, das man mit dem "Marshall-Plan" die Fluchtursachen aus Afrika bekämpfen will?
Dreher: Genau. Hier wird das betrieben, was man seit dem Kalten Krieg immer wieder gesehen hat. Hier wird Entwicklungshilfe eingesetzt, um die Ziele der Geber voranzubringen. Im Kalten Krieg war das klar, jeder Block wollte neutrale Länder auf seine Seite ziehen. Nach dem Kalten Krieg ging die Entwicklungshilfe dann stark nach unten. Und erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stieg sie wieder deutlich an. Da hat man sie zur Terrorbekämpfung eingesetzt. Und jetzt hat man wieder ein politisches Motiv, nämlich die Flüchtlingskrise in Europa. Politiker der betroffenen Länder, allen voran Deutschland, wollen die Entwicklungshilfe jetzt wieder an politische Bedingungen knüpfen.
Macht Müllers Marshallplan Sinn?
tagesschau.de: Der "Neue Marshallplan" von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller soll nicht mehr nach dem Gießkannen-Prinzip funktionieren. Da soll Geld punktueller verteilt werden, zum Beispiel an ein größeres Projekt oder an bestimmte Staaten. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Dreher: Mir gefällt die Reduktion des Gießkannenprinzips. Deutschland hat auch jetzt schon ausgewählte Partnerländer. Hier scheint die Idee zu sein, das noch weiter zu fokussieren und dafür die Summen zu erhöhen. Weniger gut gefällt mir, welche Länder dann die Hilfe bekommen werden. Herrn Müller scheint vorzuschweben, Länder auszusuchen, die reformbereit sind und bereits einigermaßen gut funktionierende Institutionen haben. Mit der Idee im Hinterkopf, dass die Hilfe hier besser wirkt.
Dafür gibt es gute Argumente. In Ländern in denen die Korruption hoch ist und die Institutionen schlecht funktionieren wird die Hilfe wenig bewirken. Auf der anderen Seite sind das auch die Länder, die im Durchschnitt am ärmsten sind.
Hilfsgelder an Länder mit korrupten Regierungen
tagesschau.de: Müssten aber nicht gerade die Menschen in den korrupten Regimen unterstützt werden, weil sie eben ärmer sind?
Dreher: In Ländern, in denen es Naturkatastrophen und Hungersnöte gab, ist es selbstverständlich auch zu helfen, wenn sie korrupt sind. Allerdings hat Entwicklungshilfe auch negative Konsequenzen. Sie hält korrupte Regierungen und Diktatoren länger an der Macht, die Elite bereichert sich. Sie haben keine Anreize, funktionierende Steuersysteme zu schaffen. Es gibt Hinweise darauf, dass Entwicklungshilfe die Konflikte auch anheizt - sie schafft Verteilungskonflikte. Und all diese negativen Aspekte muss man eben aufwiegen mit den potentiell positiven Effekten der Entwicklungshilfe, nämlich Wirtschaftswachstum zu fördern. Wenn die Hilfe Konflikte noch anheizt und die Situation verschlechtert, kann es ja keine gute Idee sein, dort diese Art der Hilfe zu leisten.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht auch die Entwicklungshilfe selbst als Teil eines Systems?
Dreher: Natürlich ist es ein Problem, dass jeder, der da involviert ist, eigene Anreize hat - auch wenn die Menschen sicher gute Absichten haben. Würde man die Hilfe einfach an Regierungen überweisen, die demokratisch gewählt sind und gute Institutionen haben, würden Teile der Entwicklungsbürokratie arbeitslos. Dann müssten sie sich dem Markt stellen. Heute haben sie eine garantierte Aufgabe, die dann letztlich vom deutschen Steuerzahler bezahlt wird. Das zu verlieren, wäre eine sehr unkomfortable Situation.
Das Interview führte Katharina Wilhelm für tagesschau.de