Interview

Entwicklungshilfe im Südsudan "Wir müssen Perspektiven schaffen"

Stand: 23.02.2017 02:21 Uhr

Menschen vor dem Verhungern zu retten reicht nicht, sagt Till Wahnbaeck, Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe, im Interview mit tagesschau.de. Am Beispiel des Südsudans erklärt er, wie man in dem Land nachhaltig Fluchtursachen bekämpfen könnte.

tagesschau.de: Die Welthungerhilfe rettet im Südsudan jährlich etwa 400.000 Menschen vor dem Verhungern. Dafür bekommt sie von den Vereinten Nationen etwa 20 Millionen Euro im Jahr. Auch die Bundesregierung beteiligt sich. Reicht das aus, um den Menschen zu helfen?

Till Wahnbaeck: Diese Art Hilfe kann nur ein erster Schritt sein. In einem zweiten Schritt muss den Menschen geholfen werden, sich selbst zu helfen, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Und das funktioniert immer dann, wenn es ein wenig Stabilität gibt. Leider fehlt diese momentan im Südsudan, weil der Bürgerkrieg Unsicherheit bringt, die so groß ist, dass wir nur Nahrungsmittel liefern können. Aber: Immer wenn sich die Lage auch nur ein wenig stabilisiert, gehen wir einen Schritt weiter und versuchen, den Menschen eine Perspektive zu eröffnen. Das ist der eigentlich wichtige Schritt unserer Arbeit - Hilfe zur Selbsthilfe.

Zur Person
Till Wahnbaeck ist seit 2015 Vorstandsvorsitzender der Welthungerhilfe.

tagesschau.de: Waren Sie im Südsudan schon einmal beim zweiten Schritt?

Wahnbaeck: Ja, wir hatten schon Fortschritte im Süden des Landes: Das war eine entwickelte Region mit guter Schulbildung und vernünftiger wirtschaftlicher Anbindung an Uganda auf der anderen Seite der Grenze. Das hat alles ganz gut funktioniert. Bis dann auch dort, im vergangenen Juli, der Bürgerkrieg eskalierte. Er hat alles kaputt gemacht hat und uns und die Menschen wieder zurückgeworfen.

tagesschau.de: Die Einnahmen des Südsudans fließen zum größten Teil in den Bürgerkrieg, während die Hälfte der Bevölkerung am Rande einer Hungerkatastrophe steht. Sie sind fast komplett von äußerer Hilfe abhängig. Stehen Sie nicht fassungslos davor?

Wahnbaeck: Wir haben die Aufgabe übernommen, die Menschen nicht verhungern zu lassen. Dafür brauchen wir Geld, was eigentlich die Regierung bereitstellen müsste. Da das nicht der Fall ist, ist die internationale Gemeinschaft gefordert. Sie muss helfen - entweder aus Nächstenliebe oder humanitären Gründen. Insofern frustriert mich die Situation des Landes, aber das Leid der Menschen kann mich nicht kalt lassen. Und wenn wir Gelder erhalten, mit dem wir die Not lindern können, machen wir das.

"Perspektiven schaffen bedeutet weniger Fluchtursachen"

tagesschau.de: Der Südsudan ist weit von Deutschland weg. Welchen Grund hat die Bundesregierung, den Südsudanesen zu helfen?

Wahnbaeck: Stichwort: Fluchtursachen. Wenn wir jetzt nicht in Ländern wie dem Südsudan eingreifen, dann wird es morgen zu weiteren Krisen kommen. Und im Zweifel auch zu weiteren Fluchtbewegungen. Die Menschen werden sich nicht auf Dauer damit abfinden, benachteiligt zu sein oder für ihren Lebensunterhalt nicht sorgen zu können. Wir müssen heute in diesen Ländern Perspektiven schaffen. Denn nur wer in seiner Heimat Perspektiven hat, bleibt auch in seiner Heimat. Perspektiven schaffen heute, bedeutet weniger Fluchtursachen morgen.

tagesschau.de: Könnte die internationale Gemeinschaft nicht mehr leisten, damit der Bürgerkrieg im Südsudan endet und die Menschen sich dann selbst versorgen?

Wahnbaeck: Das Land hat Rohstoffe und fruchtbares Land, weshalb sich die Menschen im Südsudan selbst ernähren könnten. Dass das nicht der Fall ist, liegt an den politischen Verantwortlichen im Land. Kurz gesagt kämpfen zwei Führer um die Macht; zwei Männer, hinter denen ethnische Gruppen stehen. Daher wäre der größte Hebel in der Tat die Politik - und da muss man auch ansetzen. Was aber nicht die Aufgabe von Hilfsorganisationen ist.

tagesschau.de: Sollten Deutschland und andere Geldgeber nicht vielleicht einfach erklären: 'Von uns kommt kein Geld mehr, solange Ihr nicht aufhört zu kämpfen?

Wahnbaeck: Die Gruppe von Staaten, die Druck ausüben könnte, sind die Nachbarstaaten des Südsudans. Uganda, Kenia, Äthiopien, der Sudan. Auf die hört auch die Regierung in Juba. Und die internationale Gemeinschaft muss auch mehr machen. Aber mir geht es darum, dass die Ärmsten der Armen nicht allein gelassen werden. Und ich fände es zynisch, wenn jetzt gesagt würde: "Dann stellen wir jetzt mal die Hilfen ein; vielleicht kommen die dann zu Sinnen." Im Zweifel sterben deshalb Millionen Menschen - und das können wir nicht zulassen.

tagesschau.de: Ein Waffenembargo scheiterte zuletzt erst wieder im UN-Sicherheitsrat am Veto Chinas und Russlands. Was müsste passieren? Müssen Privatkonten der Kriegsführer eingefroren werden? Oder sollte der Südsudan in der UN-Vollversammlung isoliert werden?

Wahnbaeck: Ich denke, dass man in der Tat Geldhähne zudrehen, Vermögen im Ausland einfrieren und internationales Recht durchsetzen muss. Sanktionen und Waffenembargos können einiges bewirken. Die Aufgabe von Hilfsorganisationen ist es, auf das Problem aufmerksam zu machen - und so öffentlichen Druck herzustellen. Aber ob das ausreicht, bei einem Machtkampf zwischen Warlords, ist eine andere Frage. Da sind die Hebel, die der UN-Sicherheitsrat ansetzen könnte, sicherlich stärker.

tagesschau.de: Angenommen, der Bürgerkrieg könnte im Südsudan beigelegt werden, wie müsste es denn dann im Land weitergehen?

Wahnbaeck: Dann könnte man ganz anders handeln. Viele Gebiete sind enorm fruchtbar und die Landwirtschaft hätte ein großes Potential, die Bevölkerung auch zu ernähren. Und man könnte direkt neue Ideen umsetzen, die etwa die Folgen des Klimawandels abfedern würden. Dies versuchen wir bereits in anderen Ländern Ostafrikas wie etwa Äthiopien, wo erneut eine schwere Dürre droht.

Versicherungen gegen den Klimawandel

tagesschau.de: Welche Ideen sind das?

Wahnbaeck: Ein gutes Beispiel für eine neue Art der Entwicklungsarbeit sind Klimaschutzversicherungen. Man wirbt nicht nach der Krise Geld ein, um die Krise zu bewältigen, denn dann ist es meistens schon zu spät. Man handelt stattdessen vor der Krise. Es werden Prämien in eine Versicherung eingezahlt, und die Versicherung zahlt in dem Moment aus, in dem bestimmte Grenzwerte überschritten sind. Stichwort Dürre: Wenn der Regen in einer bestimmten Saison ausfällt - in der Zeit, in der etwa die Bauern Weizen pflanzen -, dann wissen wir, dass es sechs Monate später kein Getreide gibt. Wenn man eine Versicherung auf den Ausfall von Regen abschließt, dann zahlt die Versicherung aus, wenn der Regen ausbleibt. Das heißt, dass sechs Monate Zeit bleiben, um Hilfe planen zu können.

tagesschau.de: Ein ganz normales Versicherungskonzept also?

Wahnbaeck: Genau, nur eben eines, das auf Klimarisiken übertragen ist. Das funktioniert zwar nicht bei Erdbeben, aber bei Dürren oder etwa Wirbelstürmen. Zum Beispiel könnte man eine Versicherung darauf abschließen, dass bestimmte Windgeschwindigkeiten nicht überschritten werden. In dem Moment, in dem sie aber überschritten werden, zahlt die Versicherung aus und man kann sich schnell vor den gröbsten Schäden schützen.

tagesschau.de: Aber arme Staaten in Afrika - oder auch Haiti in der Karibik - haben ja gar nicht das Geld, diese Versicherung abzuschließen.

Wahnbaeck: Im Fall von Katastrophen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, müssen die Staaten zahlen, die verantwortlich sind. Und den Klimawandel haben die Industrieländer des Nordens verursacht. Die armen Bauern in Ostafrika dürfen unsere Zeche nicht zahlen. Aber auch die betroffenen Länder haben ein Interesse daran, in diese Versicherungen einzuzahlen. Soweit sie es sich eben leisten können.

Das Interview führte Björn Blaschke, WDR