Wegen steigender Gewalt Burkina Faso will 50.000 Freiwillige rekrutieren
Burkina Faso erlebt immer brutalere Angriffe: Zuletzt starben bei einem Massaker in einem Dorf 130 Menschen - unter den Tätern waren auch Kinder. Übergangspräsident Traoré will sein Volk nun mit einer Freiwilligenmiliz schützen.
"Einwohner von Burkina Faso, aus der Stadt oder auf dem Land, Männer und Frauen: Die Sicherheitslage unseres Landes betrifft uns alle." So wirbt Burkina Faso aktuell, um 50.000 Freiwillige für den Dienst an der Waffe zu gewinnen. Sie sollen nicht Soldatinnen oder Soldaten werden, sondern eine zweiwöchige Ausbildung bekommen, um sich und ihr Dorf gegen bewaffnete Banden verteidigen zu können.
Patriotisch? Verlässlich? Zum jetzigen Zeitpunkt 18 oder älter und physisch und psychologisch fit? Dann nichts wie hin, fordert die Werbung die Menschen in Burkina Faso auf. Die Initiative kommt aus den Reihen der Militärregierung.
"In Burkina ist alles dringend"
Der selbst ernannte neue Anführer der Militärjunta in Burkina Faso, Ibrahim Traoré, der Ende September mit einem Putsch die Macht übernommen hat, soll bis 2024 Übergangspräsident bleiben - und er scheint sich keine falschen Vorstellungen von der Lage seines Landes zu machen: "In Burkina ist alles dringend. Von der Sicherheit über die Verteidigung, die Gesundheit, soziale Maßnahmen bis hin zur Infrastruktur, alles ist dringend. Wir müssen uns beeilen", so Traoré über die Situation im Land.
Tatsächlich hat die Gewalt in Burkina Faso in den letzten Jahren ein neues Niveau erreicht. Ein besonders schreckliches Beispiel aus dem Jahr 2021 ist das sogenannte Massaker von Solhan. Im Dorf Solhan, im Osten von Burkina Faso, gab es einen Überfall. Er war mit über 130 Todesopfern besonders schlimm. Am Tag danach waren nur noch Aschehaufen, wo mal Hütten standen, überall Rußspuren an den Häuserwänden, ausgebrannte Motorrad-Wracks auf den Straßen.
Die Täter sind jung und brutal
Was die Menschen aber noch mehr verstört hat: Die Täter waren sehr jung. Der damalige Regierungssprecher Ousseni Tamboura war sichtbar aufgewühlt von dem, was er verkünden musste: "Die meisten Angreifer waren Kinder - zwischen 12 und 14 Jahren alt. Das ist eine Information, die hatten wir nicht, als der Angriff vonstatten ging. Genauso wenig, dass Frauen eine Rolle dabei gespielt haben, anzusagen, wer ein Ziel ist und wer nicht.
Die Brutalität des Überfalls hat Tausende Demonstranten auf die Straßen der Hauptstadt Ouagadougou getrieben. Sie trugen Plakate mit Aufschriften wie: "Gestern Solhan - und wer ist morgen an der Reihe?" Die Angriffe laufen meist ähnlich ab - unabhängig davon, welche Ziele die Gruppe im Detail verfolgt.
Die Angreifer kommen meist mit Motorrädern - ausgerüstet mit automatischen oder halbautomatischen Waffen. Sie überqueren im Dreiländereck von Burkina Faso, Mali und Niger eine oder mehrere Grenzen - oft auch mehrfach, um ihre Spuren zu verwischen. Greifen sie einen Ort an, gibt es in den meisten Fällen Tote, aber es kommt auch zu Entführungen oder Zwangsrekrutierungen.
Immer mehr Kinder werden rekrutiert
UNICEF sagte der Nachrichtenagentur AP, dass die Einbindung von Kindern in diese bewaffneten Gruppen besorgniserregend sei. Die Vereinten Nationen haben Burkina Faso 2021 erstmals ein eigenes Kapitel im Jahresbericht über Kinder in bewaffneten Konflikten gewidmet. Deren Zahl steige dort rasant an. An Straßenposten von Milizen in der Sahel-Zone seien immer häufiger Kinder zu sehen, heißt es. Angeblich werden ihnen Motorräder versprochen oder Geldsummen: 15 Euro für jeden Menschen, den sie erschießen.
Einige Organisationen, die in der Sahel-Zone aktiv sind, versuchen die Kinder zu schützen. Ihre Arbeit ist allerdings extrem gefährlich - deswegen hat ein Mitarbeiter im ARD-Interview darum gebeten, anonym zu bleiben. Er erklärt, wie bewaffnete Gruppen - zum Beispiel militante Islamisten, die sich auf al-Qaida, Daesh, also den sogenannten Islamischen Staat, oder Boko Haram berufen - Kinder zum Töten anstiften:
"Man kann sich natürlich fragen: Haben diese Kinder kein Gewissen?", so der Mann über die Kinder. "Es gibt zwei Strategien, mit denen die Islamisten die Kinder motivieren, sie nutzen ethnische Konflikte und setzen die Kinder auf bestimmte ethnische Gruppen an oder sie nutzen die Religion, sagen den Kindern, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie an der Waffe dienen." Und diese Kinder wüssten nichts, aber auch gar nichts über ihre Religion.
Schulen als Rekrutierungsort
Gleichzeitig versuchen die Kinder häufig, durch ihren Einsatz die eigenen Familien zu schützen. Eltern, wie Souleymane Nignan, machen sich große Sorgen: "In der Sahel-Zone sind viele Einrichtungen für Kinder geschlossen", erzählt der Vater. "Selbst das Bildungsministerium sagt, es ist unsicher, wie es mit einer Öffnung aussieht. Also haben wir da Kinder, die unglaublich arm sind, die sich viel draußen aufhalten, die leicht zu manipulieren sind - wir haben Internate hier, die in der Regel außerhalb der Dörfer liegen. Ich glaube, diese Internate treffen keinerlei Sicherheitsvorkehrungen - weder Einlasskontrollen, noch für das Gebäude an sich."
Schulen spielen eine Doppelrolle. Einerseits sind auch Schulen immer wieder Ziel von Angriffen, Entführungen oder Rekrutierungen durch bewaffnete Banden. Andererseits sind sie häufig auch der letzte Zufluchtsort. Seit rund einem Jahr lebt eine Gruppe von Kindern in der burkinischen Stadt Ouahigouya in ihrer Schule - das Klassenzimmer ist gleichzeitig Unterrichtsraum, Schlafkammer und Speisesaal. Hier haben sie Zuflucht gefunden nach islamistischen Angriffen.
"Die Kinder schlafen hier im Klassenraum. Sie wohnen hier. Sie machen alles hier", beschreibt die Lehrerin Kotim Ouédraogo den Alltag der Kinder. "Abends stellen wir die Tische raus, um Platz zum Schlafen zu schaffen. Morgens holen wir die Tische dann wieder rein. Das ist alles nicht einfach."
Freiwillige sollen es richten
Nun sollen also 50.000 Freiwillige den Unterschied machen. Die Rekrutierungskampagne läuft nicht so gut, wie das Militär wohl gehofft hatte. Die Frist, sich einzuschreiben, musste die Regierung verlängern. "Wir sehen eine massive Kampagne, um Freiwillige für die Landesverteidigung zu finden. Sie musste verlängert werden. Die 50.000 Freiwilligen, die die Zentralregierung gewinnen wollte, beziehungsweise die 35.000 Kräfte für die Kommunen, sind einfach noch nicht zusammengekommen", analysiert Sayouba Bonogo, Generalsekretär des Journalistenverbands von Burkina Faso.
Bonogo führt das auch darauf zurück, dass die Kommunikation sehr eindimensional sei. Neben der Werbung in den Medien gebe es nur wenig. Es gebe keine explizite Kommunikationsstrategie, die die Werbekampagne zur Mobilisierung der Bevölkerung für den Kampf gegen den Terrorismus flankieren würde, so Bonogo. "Das Einzige, was es gibt, sind die Redaktionen der Sender, die immer wieder Reportagen aus den Registrierungszentren ausstrahlen."
Was es dagegen nicht gebe: Fakten über den konkreten Dienst - wie soll er in den Regionen, den Kommunen aussehen? Ein Grund, warum die Vorstellung dieses Freiwilligendienstes an der Waffe so diffus bleibt, könnte auch darin bestehen, dass die Idee gar nicht neu ist.
"Eine ganz, ganz schlechte Idee"
Ulf Laessing, der für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung deren Regionalprogramm Sahel leitet, ist überzeugt, Selbstverteidigungsmilizen seien eine ganz, ganz schlechte Idee. Die seien Teil des Problems. Traorés Vorgänger hätten schon probiert, solche Milizen aufzustellen wurden, damit sich Dörfer gegen Dschihadisten verteidigen können, nur:
Das sind halt keine professionellen Soldaten. Da gab es immer wieder Übergriffe. Das ist also eine ganz, ganz schlechte Idee, jetzt 50.000 neue Freiwillige für Selbstverteidigungsmilizen anzuwerben, die dann in zwei Wochen lernen sollen, Soldaten zu werden, aber überhaupt keine Ausbildung haben. Das wird eher noch weitere Probleme geben.
Begeisterung mit Teilerfolg
Traoré dagegen will Begeisterung wecken - und teilweise schafft er das auch, zumindest bei den Männern, die mit dem Freiwilligendienst liebäugeln. Er wolle sein Land verteidigen, sagt er. So wie der berühmte Thomas Sankara, der erste Präsident des modernen Burkina Faso. Er habe sich auch für sein Land eingesetzt, so der Übergangspräsident.
"Ich kann mir vorstellen, VDP - also ein Freiwilliger für die Landesverteidigung - zu sein und was zu tun", so Traoré, "aber man muss sich auch klar darüber sein, dass die Sicherheitslage keine rein militärische Frage ist, sondern auch eine Frage von Ideologie oder von wirtschaftlichen Erwägungen."
Keine militärischen Möglichkeiten mehr
Ulf Laessing dagegen bleibt pessimistisch: Das Land sei eigentlich praktisch verloren. Die Dschihadisten hätten schon angefangen, ähnlich wie in Mali, einen Parallelstaat aufzubauen. "Die kontrollieren ganze Landstriche und da helfen dann auch keine militärischen Möglichkeiten mehr", so Laessing weiter. "Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Die heiraten in Dörfer ein, kontrollieren Goldminen und werden Teil der Dorfgemeinschaft."
Laessing stellt sich also auf weitere schlechte Nachrichten aus der Region ein. Er spricht von einem Gefühl des Staatsversagens seit mindestens knapp einem Jahr, als islamistische Kämpfer 50 Sicherheitskräfte bei einem Überfall getötet hatten. Ob Freiwillige an der Waffe solche Vorfälle künftig verhindern können, muss sich erst noch zeigen.