Völkermord-Anklage gegen Israel Schwerer Vorwurf mit Folgen?
Völkermord in Gaza - so lautet der Vorwurf Südafrikas gegen Israel. Vor dem Internationalen Gerichtshof hat heute der Prozess begonnen. Völkerrechtler schätzen den Erfolg der Klage als gering ein, der Druck auf Israel ist dennoch hoch.
Israels Militäraktionen gegen die Hamas hätten einen genozidalen Charakter, argumentiert Südafrika. Ziel der brutalen Operation im Gazastreifen sei es, die Palästinenser zu vernichten. So steht es in der 84-seitigen Anklageschrift. Der Bonner Völkerrechtler Stefan Talmon hat nicht den geringsten Zweifel, dass sich diese Völkermord-Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag sehr schnell in Luft auflösen wird.
"Die Anforderungen für Völkermord sind im Völkerrecht so hoch, dass ich derzeit nicht sehen kann, wie Südafrika in der Lage wäre, diesen Vorwurf zu beweisen", erklärt Talmon.
Wenig Aussicht auf erfolgreiche Klage
Südafrika zitiert in der Anklage israelische Politiker und Militärs, die die Palästinenser als "menschliche Tiere" bezeichnen und den Gazastreifen - so wörtlich - vom Erdboden tilgen wollen. Selbst einige Minister haben sich zu so drastischen Äußerungen hinreißen lassen.
Das, so Talmon, beweise jedoch nicht, dass der Staat die Absicht habe, einen Völkermord zu begehen: "Da muss man aufpassen. Nicht jeder Minister spricht automatisch für den Staat. Für den Staat sprechen im Zweifel der Staatspräsident, der Regierungschef und der Außenminister."
Nichtsdestotrotz werde der IGH wahrscheinlich per einstweiliger Verfügung Israel oder beide Konfliktparteien auffordern, sich an internationale Konventionen zu halten und die Zivilbevölkerung zu schützen. Dass der oberste Gerichtshof der Vereinten Nationen Israel zum Stopp der Kampfhandlungen aufrufen wird, hält der Völkerrechtler allerdings für ausgeschlossen.
Die militant-islamistische Hamas habe ganz klar Israel angegriffen und Israel agiere nun im Rahmen seines Rechts auf Selbstverteidigung, meint Talmon. "Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gerichtshof durch eine einstweilige Anordnung das naturgegebene Recht eines Staates auf Selbstverteidigung einschränkt, wenn dieser Staat angegriffen wurde und immer noch angegriffen wird."
Verfahren wohl nicht ohne Auswirkung
Der Utrechter Historiker Peter Malcontent teilt diese Einschätzung. Die Völkermord-Klage habe keine Aussichten auf Erfolg, sagt der Nahostexperte. Und dennoch, davon ist er überzeugt, werde dieses Verfahren nicht wirkungslos verpuffen.
"Die Tatsache, dass es dieses Verfahren vor dem IGH überhaupt gibt, übt allein schon Druck auf Israel aus. Und auch Israels Verbündete müssen sich damit beschäftigen", sagt Malcontent. Und das bedeute im Gegenzug, dass der Druck auf die USA und auf europäische Länder, die Israel unterstützen, auch stets größer werde.
Apartheid, die verbindet
Dass mit Südafrika ein Staat Klage einreicht, der überhaupt nicht in den Konflikt involviert ist, hat für Malcontent historische Gründe. Israel habe lange das Apartheidsregime in Südafrika unterstützt, so der Historiker. Aufgrund der eigenen Geschichte fühlten sich viele Südafrikaner den Palästinensern verbunden.
"Das hat auch damit zu tun, dass wichtige Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch Israel schon seit Jahren vorwerfen, ein Apartheidsregime etabliert zu haben", meint Malcontent. Einige Regierungskritiker in Israel sähen das genau so. Dies sei die Verbindung der Länder: Apartheid Israel, Apartheid Südafrika.
Sollte der IGH einstweilige Maßnahmen erlassen, ist damit bereits in wenigen Tagen zu rechnen. Ein mögliches Hauptverfahren wegen Völkermord hingegen würde Jahre dauern.