Nach Flutkatastrophe in Libyen "In jedem Brunnen könnte verseuchtes Wasser sein"
Eine Woche nach der Flutkatastrophe ist die Lage in Darna katastrophal: Die Behörden fürchten einen Cholera-Ausbruch - Medikamente sind noch unterwegs. Laut WHO wurden rund 4.000 Tote identifiziert.
Nach der Flut droht der Stadt Darna im Osten Libyens die nächste Katastrophe: die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Erste Cholera-Fälle wurden bereits gemeldet. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollten die Brunnen in der Stadt meiden, rief der Gesundheitsminister der international anerkannten Regierung mit Sitz in Tripolis auf.
"Uns muss klar sein: In jedem Brunnen könnte verseuchtes Wasser sein", sagte er dem Sender Al Dschasira. "Deshalb müssen wir jetzt Proben nehmen. Ein Team meines Ministeriums ist jetzt in Darna und nimmt seine Arbeit auf." Bis die Analyseergebnisse vorliegen, dürfe das Grundwasser nicht getrunken werden.
"Wir fangen bei Null an"
Um Seuchen zu verhindern und um den Hilfsmannschaften die Arbeit zu erleichtern, wurden heute die am stärksten betroffenen Gebiete in der Stadt abgeriegelt. Aber auch etwas weiter vom Flussbett entfernt bietet Darna ein Bild der Zerstörung.
Saad al Hassi stapft durch den Matsch in seiner Wohnung. Seine Frau habe gerade gekocht, als die Wassermassen eine Wand und die Tür zum Einsturz brachten, berichtete der 50-Jährige der Nachrichtenagentur Reuters.
Was nun auf ihn zukommt, lässt ihn verzweifeln. "Nur Gott weiß, was wir gerade durchmachen. Wir fangen bei Null an", sagt er: "Niemand hilft uns, auch die Regierung hat nicht geholfen." Seine Frau und er seien auf der Straße gelassen worden: "Zum Glück sind wir Libyer ein vereintes Volk. Aus Tripolis, aus Misrata, aus dem Süden, von überall kamen sie, um zu helfen."
Versorgung der Überlebenden bleibt schwierig
Laster mit Nahrungsmitteln treffen inzwischen regelmäßig in Darna ein. Häufig sind es die libyschen Pfadfinder, die Säcke mit Reis und Konserven verteilen. Weitere Hilfe ist unterwegs. Im 300 Kilometer entfernten Bengasi sind heute 29 Tonnen medizinische Hilfsgüter eingetroffen. Darunter sind lebenswichtige Medikamente für chronische und übertragbare Krankheiten. Damit können fast 250.000 Menschen versorgt werden, teilte die Weltgesundheitsorganisation WHO mit.
Von Bengasi nach Darna gibt es allerdings nur eine funktionierende Straße über die Berge - die Versorgung der Überlebenden bleibt also schwierig.
Hilfsorganisationen berichteten, dass die Koordinierung der Hilfe teilweise chaotisch verläuft. Die Regierung im Osten des Landes hat kaum Strukturen aufgebaut, die in einer Situation wie der aktuellen notwendig wären.
Ausgangssperre wurde zur Falle
Die Wut vieler Libyer über Versäumnisse der Behörden wird immer lauter. Die Beschwerden sind so laut, dass Politik und Justiz reagieren müssen. Die Ermittlungen seien aufgenommen worden, teilte Generalstaatsanwalt Al-Seddik Assur gestern Abend mit: "Wir werden die lokalen Behörden und die verantwortlichen Regierungen für jegliche Nachlässigkeit und Fahrlässigkeit zur Rechenschaft ziehen." Die Generalstaatsanwaltschaft werde entschiedene Maßnahmen ergreifen, die sie zu gegebener Zeit ankündigen werde.
Versäumnisse gab es im Vorfeld und auch am Tag der Flut selbst. Jahrelang wurden die Dämme oberhalb der Stadt nicht in Stand gehalten. Und als Sturm "Daniel" am vergangenen Wochenende anrückte, wurden die Bewohner von Darna zwar gewarnt, aber die Behörden riefen zugleich eine Ausgangssperre aus. Das stellte sich im Nachhinein als fatal heraus: Als die Dämme brachen, wurde der Aufruf, zu Hause zu bleiben, für viele Einwohner der Stadt zur Todesfalle.