Afrika-Reise des Kanzlers Scholz' schwierige Suche nach Verbündeten
Statt wie lautstark gefordert nach Kiew zu reisen, hat Kanzler Scholz drei Partner in Afrika besucht. Um den Ukraine-Krieg ging es auch dort - aber aus einem anderen Blickwinkel.
Für den Kanzler ist es eine Premiere. Eine, die ihm sichtbar Freude macht. Olaf Scholz sitzt im Flugzeug nach Tillia. Es ist der neue Luftwaffenairbus A400 M, das Transportflugzeug der Luftwaffe, und der Kanzler kannte es bisher nur als Modell. Jetzt hat Scholz oben in der Mitte hinter den beiden Piloten im Cockpit Platz genommen. Auf dem Beobachtersitz - und da sitzt er und beobachtet die Lage.
Mit großem Ernst schaut er auf die Wüste unter ihm. Der Ukraine-Krieg, Christine Lambrecht, Friedrich Merz und alles andere, was Scholz gerade zu Hause Probleme bereitet: Es wirkt für einen kleinen Moment weit weg.
Bundeswehreinsatz in Niger hat für Scholz Vorbildfunktion
Überhaupt wirkt der Kanzler an diesem Tag zufrieden. Der Bundeswehreinsatz hier in Niger läuft nach allgemeiner Einschätzung rund. Die Ausbildung örtlicher Sicherheitskräfte für den Kampf gegen islamistische Terroristen funktioniert nicht nur, der nigrische Präsident Bazhoum spricht später von einem "Modellprojekt" und bittet die Deutschen: Bleibt da. Bildet weiter aus.
Im Camp Tillia, wo Kampfschwimmer aus Eckernförde versuchen, aus Soldaten Spezialisten zu machen, steht Scholz in Khakis zwischen der Truppe in Tarnfleck und spricht bei 36 Grad Außentemperatur von Herzblut, von Engagement der Soldaten. "Jetzt", schiebt er nach, "sieht das Protokoll vor, dass wir uns ungezwungen unterhalten sollen. Ich weiß nicht, ob Sie sich schon ungezwungen fühlen?", fragt der Mann, der auch in der Wüste nie Distanz und hanseatische Kühle verliert.
Dass er durch die halbe Welt bis zu diesem Fleckchen - 80 Kilometer vor der malischen Grenze - gereist ist: Die Truppe, sagt später der Kommandant des Camps, rechne ihm das hoch an. Man wisse ja, was der Kanzler alles auf dem Zettel habe. Den Ukraine-Krieg zum Beispiel. Das Thema nämlich reist mit in jede Hauptstadt seiner drei Länder umfassenden Afrika-Wirbelwind-Tour.
Scholz im neuen Luftwaffenairbus A400 M
Scholz sucht Verbündete gegen Russland
Komplizierter als Scholz’ Besuch in Niger sind die Gespräche im Senegal und vor allem in Südafrika. Denn der tiefere Sinn der Afrika-Reise des Kanzlers liegt weniger in Truppenbesuchen als in Bündnispolitik. Außerhalb des Bundeswehrcamps in Tillia sind Russlands Angriff auf die Ukraine, die Folgen und die internationalen Reaktionen das Topthema.
Dass sie in Deutschland darüber reden, warum der Kanzler jetzt nach Afrika, nicht aber nach Kiew reist - für Scholz ist das allenfalls lästiges Hintergrundrauschen. Für ihn geht es auch hier in Afrika um nicht weniger als die künftige Weltordnung. Nicht "the West against the Rest", der Westen gegen den Rest der Welt, sondern um eine Wertegemeinschaft gegen Gesetzlosigkeit.
Anders als Niger haben Senegal und Südafrika den Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Vereinten Nationen nicht verurteilt, sondern sich enthalten. Für Scholz ist das ein Warnsignal - er will, dass das Bündnis gegen Russland möglichst breit ist. Für ihn gilt deshalb: Unterschiede aushalten. Afrika soll trotz der negativen Folgen, die sowohl der Krieg als auch die westlichen Sanktionen für die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Düngemitteln haben, an der Seite des Westens stehen.
Scholz überzeugt Südafrika nicht
Scholz überhört es deshalb, wenn der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa nicht wie der Kanzler stets von Angriffskrieg, sondern nur von Konflikt redet. Der Kanzler weiß zu genau, was es für manches bitterarme Land in Afrika heißt, sich offen gegen Russland zu positionieren.
Als Ramaphosa aber behauptet, Scholz habe ihm gegenüber Verständnis für Länder geäußert, die gegen die UN-Resolution zur Verurteilung Russlands gestimmt hätten, wird der Kanzler, der sonst so sanft und leise redet, schneidend deutlich: Keinerlei Verständnis gebe es da bei ihm. Nicht hinnehmbar sei das Ganze. Um nachzuschieben: "Alle wissen es. Wir unterstützen die Ukraine."
Nicht jeder Gast würde sich trauen, den Gastgeber und Präsidenten Südafrikas bei seinem Antrittsbesuch in seinem eigenen Amtssitz öffentlich so zu korrigieren. Trotzdem haben seine Gespräche mit den Präsidenten im Senegal und in Südafrika auf den ersten Blick keinen Erfolg.
Zwar behauptet der Kanzler, man sei sich in der Bewertung des Krieges völlig einig - aber beide stehen zu ihren Enthaltungen. Südafrikas Präsident Ramaphosa sagt, er sehe die Lösung des Ukraine-Krieges in Dialog und Verhandlungen - also in den Mitteln, mit denen die Demokratie in Südafrika erreicht worden sei.
Kanzler ohne Selbstzweifel
Südafrikas Enthaltung bei der Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine ist im Land umstritten, und man wüsste gern, ob Ramaphosa nicht doch an seiner Haltung zweifelt. Bei Scholz dagegen ist man sich während dieser drei Tage ziemlich sicher, dass er in Sachen Ukraine-Politik gar nichts infrage stellt. Der Kanzler, ein Mann ohne öffentliche Zweifel.
Aber auch einer, der bei aller Diplomatie bei jedem öffentlichen Auftritt auch in Afrika zuerst über den "brutalen Angriffskrieg Putins" redet. Selbst beim 70. Geburtstag der deutsch-südafrikanischen Handelskammer in einem mondänen Countryclub in Johannesburg gibt es für die Festgesellschaft eine Kurzvorlesung in Imperialgeschichte. "Einen Krieg, um sein eigenes Territorium zu vergrößern, nennt man Imperialismus", referiert Scholz. Grenzen nach Geschichtsbüchern rückabzuwickeln? "Ein Wahnsinn."
Wer Scholz in Afrika erlebt und hört, ahnt, dass der einstige Finanzmensch längst zum global denkenden Außenstrategen mit sehr konkreten Vorstellungen von Deutschlands künftiger Rolle in der Welt geworden ist. Zurückhaltend, aber nicht über Gebühr bescheiden. Selbstbewusst, aber mit der Verantwortung als größte Industriemacht Europas.
Kanzler der Mittelmacht Deutschland
Dass er mit seinem hanseatischen Vorbild Helmut Schmidt ein Faible für die Beschreibung Deutschlands als Mittelmacht teilt, ist längst kein Geheimnis mehr. Und dass er wie seine Vorgängerin im Amt, Angela Merkel, auf der Suche nach Deutschlands neuer Rolle in der Welt kaum Schlaf zu brauchen scheint, ist ein Vorteil in Krisenzeiten. 71 Stunden dauerte seine Afrika-Tour, 32 davon an Bord eines Luftwaffenairbus. Vielleicht doch kein Zufall, dass dem Kanzler beim Besuch im Ausbildungscamp in Tillia örtliche Araber und Touareg ausgerechnet ein kunstvoll bemaltes Bett als Geschenk mit nach Berlin auf die Reise gaben.