Präsidentenwahl im Senegal Kippt Europas letzter Partner im Sahel?
Senegal wählt einen neuen Präsidenten, denn Amtsinhaber Sall tritt nicht mehr an. Die Wahl unter schwierigen Vorzeichen ist auch eine Abstimmung über die Zukunft Europas in dem westafrikanischen Land.
Es war einmal ein Sahel eng an der Seite Europas und damit Deutschlands: Mali, Burkina Faso, Niger, Tschad oder eben Senegal. Aus dieser Gruppe Partner geblieben ist einzig der Senegal - das Land, das seit Jahrzehnten für Stabilität steht und mehr als seine Nachbarn demokratische Grundwerte achtet. Aber eben auch das Land, das in den vergangenen Monaten von gewaltsamen Protesten heimgesucht wurde.
"Senegal war jahrelang das Vorzeigekind für Demokratie", sagt die senegalesische Politikwissenschaftlerin Rama Salla Dieng. "Jetzt sind in den Demonstrationen mehr als 60 Menschen gestorben, die sich für einen neuen Gesellschaftsvertrag eingesetzt haben."
Proteste gegen Salls Beharrlichkeit
Was war passiert? Senegals amtierender Präsident Macky Sall hatte - anders als es die Verfassung vorsieht - lange geschwiegen, ob er noch eine dritte Amtszeit anvisiert oder nicht. Mehrmals hatte ihn die Opposition aufgerufen, klarzumachen, dass er die Verfassung achtet. Erst im Juli 2023 kam Macky Sall der Bitte nach und erklärte öffentlich, dass er seinen Platz nach der nächsten Wahl räumen wolle. Doch statt Erleichterung trieb Unzufriedenheit immer mehr Menschen auf die Straßen der Hauptstadt Dakar.
Immer vorneweg: der beliebteste Oppositionelle Ousmane Sonko. 2021 gab es Vorwürfe wegen Vergewaltigung gegen ihn, verurteilt wurde er dann wegen "Verführung der Jugend". Bei der Präsidentschaftswahl antreten darf Sonko deshalb aber nicht mehr und seine Partei "Patriotische Afrikaner Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit" wurde sogar aufgelöst.
Seitdem seien immer wieder Vorwürfe gegen ihn erhoben worden, die ihn in den Augen seiner Unterstützerinnen und Unterstützer zum Märtyrer werden ließen, erklärt Dieng: "Warum wird er immer wieder verhaftet? Geht es wirklich um die Anschuldigungen oder wird das alles nur erfunden?"
Als dann Anfang Februar Präsident Sall die zunächst für Monatsende geplante Wahl verschob, war die Geduld der Menschen im Senegal endgültig am Ende. Seither gehen sie auf die Barrikaden.
Nachvollziehbar findet das Politikwissenschaftlerin Dieng: "Ich glaube, dass diese Proteste und Unruhen unverzichtbar für eine Demokratie sind. Sie sind gesund."
Unterstützer des Oppositionellen Ousmane Sonko macht bei Großprotesten gegen die Verschiebung der Wahl ihrem Unmut Luft.
Vertrauen in demokratische Institutionen
Tatsächlich kann Präsident Sall mit seinem Vorhaben nicht durch, der Verfassungsrat urteilte: Die Wahlen dürfen weder annulliert noch verschoben werden. Nun finden sie statt. Für Dieng ist das ein Zeichen der Stärke: "Senegal hat starke Institutionen, die wie ein Puffer gegen eine Machtergreifung oder einen Militärcoup - wie in Mali, Burkina Faso oder Niger - schützen."
Auch vom politischen Berlin aus blickt man auf die Wahlen im Senegal. Karamba Diaby, Vorsitzender der Parlamentariergruppe Westafrika im Bundestag, sieht die Demonstrationen ebenfalls als Zeichen der Stärke: "Senegal hat eine Tradition der Demokratie mit regelmäßigen Wahlen. Deshalb kann man die Entwicklung wie in Mali oder Burkina Faso mit Senegal nicht vergleichen kann."
Trotzdem lässt sich nicht von der Hand weisen, dass auch im Senegal - noch im Herzen Françafriques - die antifranzösischen und damit auch die antieuropäischen Stimmen zunehmen. Der Oppositionelle Sonko, der Sonntag nicht antreten darf, hat diese Positionen unter die Leute gebracht: Senegal brauche eine eigene Währung, keine, die an den Euro gekoppelt ist. Senegal brauche keine französischen Supermärkte oder den Total-Konzern im Land. Mehr Unabhängigkeit jetzt, scheint das Motto.
Junge Menschen
Gerade die Jugend sympathisiert mit den Putschisten aus der Sahelzone, beneidet sie um ihren Mut, die Franzosen und den Westen aus ihren Ländern zu werfen. Ihre Stimme dürften die Wahlberechtigten unter ihnen für Sonkos Schützling Bassirou Diomaye Faye abgeben. Fast fünf Millionen Wahlberechtige sind unter 40 Jahren alt. Umgekehrt sind etwa 2,5 Millionen über 40 Jahren alt. Wechselstimmung nach Jahren der frankreichfreundlichen Politik könnte sich breitmachen.
SPD-Politiker Diaby hält es aber für verkürzt, Europa verantwortlich zu machen: "Es gibt hausgemachte Fehler", sagt er. "Es ist ein Pulverfass, wenn man die Rahmenbedingungen nicht dafür schafft, dass jüngere Leute eine Perspektive haben." Zwar habe sich die Infrastruktur verbessert, Krankenhäuser und Universitäten seien gebaut worden, aber: "Die Jugend muss an den Investitionen teilhaben, man hat sie nicht ernst genug genommen. Das war ein Fehler."
Junge Fans des Präsidentschaftskandidaten Diomaye Faye, zu dessen Unterstützung Ousmane Sonko aufgerufen hat - da er selbst nicht kandidieren darf.
Solange Senegals Jugend nicht einbezogen werde, kehre auch keine Ruhe im Land ein - mit Konsequenzen für Europa, warnt Diaby: "Wenn die radikale Opposition gewinnen sollte, dann wird das natürlich sehr sehr schwierig mit der Kooperation zwischen Europa und dem Senegal."
Sorgen, die auch Politikwissenschaftlerin Dieng teilt. Aber sie schränkt ein: Das Wahlergebnis sei "ein Weckruf für Europa, sich selbst und seine Ziele zu hinterfragen: Worum geht es in der Außenpolitik wirklich? Und das ist eine Frage, die nur Europa beantworten kann."