Bürgerkrieg im Sudan "Ein Land mit zwei Armeen kann nicht stabil sein"
Einen Monat nach Beginn der Kämpfe im Sudan ist es für die UN immer noch schwierig, humanitäre Hilfe zu den Menschen zu bringen. Der UN-Sondergesandte Perthes schildert im Interview, vor welchen Problemen die UN stehen.
ARD: Wie erfolgreich waren die Verhandlungen über eine Waffenruhe mit den Kriegsparteien bislang?
Volker Perthes: Die Kriegsparteien haben sich bislang unter saudischer und amerikanischer Vermittlung lediglich auf eine Erklärung zur Respektierung humanitärer Prinzipien geeinigt. Mehr noch nicht. Und sie wollen die Gespräche fortsetzen.
Das Problem bei früheren Waffenstillständen war, dass diese Waffenstillstände nur unilateral erklärt worden sind. Die Parteien haben gesagt, sie tun dies um den Bitten der UN, der Afrikanischen Union, der Amerikaner oder des Südsudans zu entsprechen. Aber sie haben sich nicht gemeinsam darauf geeinigt. Insofern sind die Gespräche jetzt wichtig, um eine gemeinsame und festere Waffenstillstandsvereinbarung zu erzielen.
Volker Perthes ist seit 2021 Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für Sudan und Leiter der UN-Mission UNITAMS. Zuvor war der Politikwissenschaftler Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
"Beide Seiten haben erkannt, dass es nicht so einfach ist"
ARD: Sehen Sie überhaupt noch eine Chance, dass der Krieg beendet wird?
Perthes: Es gibt immer Möglichkeiten, einen Krieg zu beenden, und alle Kriege enden irgendwann. Wir sind jetzt in einer Phase, in der beide Kriegsparteien erkannt haben, dass es nicht leicht ist, einen Sieg über die andere Seite zu erreichen. Vor vier oder drei Wochen, wenn ich mit den Kriegsparteien gesprochen habe, haben sie gesagt: Es ist eine Frage von Tagen, bis wir die andere Seite besiegen. Jetzt haben beide Seiten erkannt, dass es nicht so einfach ist.
Und beide Seiten haben zum Teil auch erkannt, dass selbst ein militärischer Sieg dazu führen könnte, dass sie das Land verlieren. Oder zumindest einen großen Teil der Infrastruktur und der Bevölkerung des Landes. Und deshalb haben sie sich auf Waffenstillstandsverhandlungen eingelassen. Aber auch ein Waffenstillstand ist nur ein Schritt zur Lösung. Wir brauchen dann Gespräche, um einen Frieden wiederherzustellen und eine haltbare politische Lösung für das Land zu finden.
"Es muss eine Armee unter ziviler Führung geben"
ARD: Warum ist aus Ihrer Sicht der Konflikt überhaupt eskaliert?
Perthes: Ich habe kurz vor Beginn des Krieges im UN-Sicherheitsrat gesagt: Wir waren noch nie so nah an einer politischen Lösung im Sudan, aber gleichzeitig war die Lage auch noch nie so angespannt. Und das hat viel damit zu tun, dass die beiden Kriegsparteien hier, die sudanesische Armee und die sogenannten Rapid Support Forces (RSF), in sehr intensiven Gesprächen miteinander waren, wie und wann die RSF in die Armee integriert werden können.
Wir haben immer gesagt, dass ein Land, das zwei oder drei oder gar vier, fünf, sechs Armeen hat, nicht stabil sein kann. Letztlich muss es eine Armee unter ziviler Führung geben.
"Je länger der Krieg anhält, desto gefährlicher ist es"
ARD: Droht der Konflikt im Sudan ein langjähriger Krieg zu werden?
Perthes: Was wir jetzt haben, ist ein Krieg zwischen zwei Armeen, zwei bewaffneten Gruppen. Das ist eben kein Bürgerkrieg. Je länger dieser Krieg zwischen den beiden Armeen anhält, desto gefährlicher ist es, weil beide Seiten gesellschaftliche, politische, ideologische und tribale Unterstützung mobilisieren.
Und dann besteht tatsächlich die Gefahr, dass es einen Krieg mit ethnischen und ideologischen Dimensionen gibt. Dies muss verhindert werden und ich denke, das kann nur verhindert werden, wenn das Kämpfen schnell aufhört.
"Enorme humanitäre Auswirkungen"
ARD: Wie schlimm sind die humanitären Folgen des Krieges?
Perthes: Wir sehen schon jetzt enorme humanitäre Auswirkungen - nach einem Monat Krieg. Wir haben eine erhebliche Zunahme von Hunger, Vertreibung und Flucht. Auch hier in Port Sudan, wo wir vorübergehend als Vereinte Nationen ansässig sind, sehen wir einen erheblichen Ansturm von Menschen aus dem Rest des Sudan, weil es hier vergleichsweise stabil und sicher ist.
Wir haben Zehntausende, die über die Grenze nach Ägypten gegangen sind, die Menschen flüchten in den Tschad, in die Zentralafrikanische Republik, nach Südsudan und nach Äthiopien. Wir gehen davon aus, dass bis zu 800.000 Menschen versuchen, das Land zu verlassen.
"Schwierig, Hilfe schnell und effektiv zu leisten"
ARD: Erreicht humanitäre Hilfe die Menschen im Sudan?
Perthes: Die Zahl der Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, ist um mehrere Millionen gestiegen in diesen vier Wochen. Gleichzeitig sind viele der Vorräte der Vereinten Nationen geplündert worden. Es ist für uns ganz schwierig, Hilfe schnell und effektiv zu leisten. Schon vor dem Krieg haben das UN-Welternährungsprogramm und andere Agenturen etwa sieben Millionen Menschen im Sudan regelmäßig mit Lebensmitteln und finanzieller Unterstützung geholfen.
Die Zahl derer, die Unterstützung brauchen, ist von etwa 14 Millionen auf schätzungsweise 18 Millionen gestiegen. Das ist ein rapider Anstieg bei gleichzeitig großen Schwierigkeiten, diese Hilfe auch zu leisten. Sie wird jetzt hier aus Port Sudan organisiert. Die Herausforderung ist, sie zu den Menschen in den Kampfzonen zu bringen. Dafür brauchen wir einen sicheren Waffenstillstand. Wir brauchen aber auch sichere Transportwege, damit Transporte nicht erneut geplündert werden. Aber die Hilfe läuft an.
"Schwerpunkt liegt jetzt bei der medizinischen Versorgung"
ARD: Es gibt immer wieder Kritik, die UN reagiere zu spät, Hilfe komme zu langsam zu den Menschen. Was sagen Sie dazu?
Perthes: Es ist immer leicht zu sagen, dass die Vereinten Nationen oder andere Hilfsorganisationen zu spät kommen. Aber viele von den Vorräten, die wir im Land hatten, die zur Verfügung gestanden hätten, um zum Beispiel Krankenhäuser zu versorgen, sind geplündert worden - vor allem in Darfur, wo auch Mitarbeiter der Vereinten Nationen, des Welternährungsprogramms oder der Organisation für Migration getötet worden sind. Auch Hilfstransporte wurden geplündert. Das macht es schwer, rechtzeitig und schnell Hilfe zu leisten. Und wir versuchen jetzt, Dinge sehr schnell und effektiv mit der Unterstützung von Mitgliedsländern - dazu gehört auch die EU, auch Deutschland - ins Land zu bringen.
Der Schwerpunkt liegt jetzt bei der medizinischen Versorgung. Die Krankenhäuser, insbesondere in den Kampfzonen, sind besonders geschädigt. Wir gehen davon aus, dass weniger als 20 Prozent der Krankenhäuser in Khartum noch voll funktionsfähig sind. Und der Bedarf an Krankenhäusern steigt natürlich in einer Kriegszone, weil so viele Menschen verletzt und verwundet worden sind.
Hilfe aus Port Sudan
ARD: Die Kämpfe im Sudan gehen weiter, die meisten Ausländer wurden evakuiert - Sie sind noch da: Wie arbeiten Sie und Ihr UN-Team derzeit unter diesen schwierigen Bedingungen im Sudan?
Perthes: Wir haben eine kleine effektive Führungsstruktur für die Vereinten Nationen hier in Port Sudan an der Küste des Roten Meeres eingerichtet. Zurzeit ist es nicht möglich, in Khartum oder Darfur zu arbeiten. Port Sudan hier im Osten des Landes ist sozusagen das Fenster zur Welt, hier können wir auch relativ effektiv die Hilfsleistungen koordinieren, die ins Land kommen. Auch Teile der Regierung und wichtige zivile Kräfte sind mittlerweile in Port Sudan.
Wir setzen, soweit das geht, unsere gesellschaftlichen und politischen Kontakte von hier fort. Das ist manchmal schwierig, weil wir oft kein Internet haben und weil es keine regulären Telefonverbindungen gibt. Ich bin persönlich in ständigem Kontakt mit den Kriegsparteien in Khartum, genauso aber auch mit der Zivilgesellschaft und den Kräften, die versuchen zu helfen und durch ihre Kontakte zu den Kriegsparteien den Krieg zu beenden.
Die Fragen stellten Simon Riesche und Anna Osius, ARD-Studio Kairo