US-Zwischenwahlen "Nicht einfach zuschauen und abwarten"
Im Wahlkampf setzen die US-Demokraten stark auf das Thema Abtreibung. Denn in mehreren Bundesstaaten wird bei den Zwischenwahlen auch darüber abgestimmt. Und so geht der Streit weiter - auch vor Abtreibungskliniken.
Sie bilden eine Wand in Regenbogenfarben. 20 junge Frauen stehen mit großen Schirmen an einer tristen Ausfallstraße im Osten Detroits vor der noch tristeren Fassade der Eastland Frauenklinik. Es ist die größte der insgesamt 27 Abtreibungskliniken im Bundesstaat Michigan. "Ich hatte selbst eine Abtreibung und habe dabei erleben müssen, dass nicht die Abtreibung selbst schlimm ist, sondern wie man dafür diskriminiert und beurteilt wird," erzählt eine junge Frau unter dem Decknamen "Stein". Deshalb habe sie die Gruppe "Schutzengel mit Schirm" gegründet.
Seither stehen die Frauen zu den Öffnungszeiten vor der Klinik und beschirmen und beschützen die täglich etwa 20 Patientinnen vor den Belästigungen der Pro-Life-Aktivisten und christlichen Fanatiker auf der anderen Straßenseite. "Ich glaube, wir alle kennen jemanden, der schon mal abgetrieben hat. Und jede sollte das Recht haben, ihre Gesundheit zu beschützen. Manche sind nicht in der Situation, ein Kind zu bekommen - wirtschaftlich oder gesundheitlich, egal. Aber jede muss selbst entscheiden können", erklärt Charlotte Nahon ihre Motivation, regelmäßig hier ihren Schutzschirm aufzuspannen.
Sie bilden eine bunte Wand gegen die, die auf der anderen Seite beten - für die angeblich verlorenen Seelen der Kinder, die hier nach ihrer Lesart ermordet werden. "Du hast mein Innerstes erschaffen und in meiner Mutter Schoß zusammengefügt", zitiert etwa ein Mann namens Ken unablässig Psalm 139, während er mit seinen Mitstreitern vor der Klinik auf und ab geht.
Eine Frau namens Marsha singt Loblieder auf Gott. "Jesus, behüte und beschütze das ungeborene Leben", beten die Gegner des Rechtes lautstark und versuchen damit die Frauen vom, wie sie sagen, "morden" abzubringen. An diesem Tag haben sie kein Glück. Alle jungen Frauen verschwinden zielstrebig in der Klinik.
Demokraten setzen auf Abtreibungs-Thema
Noch ist Abtreibung in Michigan legal. Knapp 4500 Eingriffe gab es im vergangenen Jahr. Je nach Statistik zwischen 700.000 und 950.000 in den gesamten Vereinigten Staaten. Die Zahlen sind stark rückläufig. 1990 waren es noch 1,6 Mio Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr.
Dass dieses 1973 hart erkämpfte Recht der Frauen jetzt nach fast 50 Jahren wieder zur Disposition steht, mobilisiert so viele Menschen wie lange nicht bei einer Wahl in den Vereinigten Staaten. Die Demokraten haben es in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gerückt, setzen auf das hochemotionale Thema. Neben Michigan steht der Verfassungszusatz zum Schutz des Rechtes auf Abtreibung auch in Kalifornien, Kentucky, Montana und Vermont zur Abstimmung.
Der Streit geht in den Bundesstaaten weiter
Kansas hat als eigentlich konservativer Staat bereits im August für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gestimmt. Ein großer Erfolg für die Demokraten. Republikaner halten sich seither mit deutlichen Worten zu ihrem Standpunkt zurück. Zu groß die Angst davor, abgestraft zu werden. Und in der Tat schien der Mobilisierungseffekt landesweit zunächst zu wirken.
Zwischenzeitlich gaben 65 Prozent der US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner bei Umfragen an, ihre Entscheidung vom Thema Abtreibung abhängig zu machen. Diese Zahl ist inzwischen aber auf 53 Prozent gesunken, wie das Meinungsforschungsinstitut "Morning Consult" Ende vergangener Woche ermittelte - deutlich hinter den Themen Wirtschaft (80 Prozent) und Sicherheit (61 Prozent), aber weiter vor anderen Themen wie Zuwanderung (50 Prozent).
Außerdem zeichnet sich nun ab, dass bei den Wahlen ein deutlicher Frauen-Effekt zu erwarten ist. Unter den Wählern, die sich neu für die Zwischenwahlen registrieren lassen, sind zwei Drittel Frauen. Die stellen ohnehin seit Jahren die Mehrheit der Stimmberechtigten. Das muss üblicherweise nicht zwingend etwas für den Ausgang der Wahl bedeuten. Dieses Mal aber vielleicht schon.
"Wir können nicht einfach zuschauen und abwarten"
"Jeden Tag melden sich neue Freiwillige für den Straßenwahlkampf," strahlt Alex Cascio: "Die meisten waren noch nie politisch engagiert. Aber das jetzt mit dem eventuellen Verbot von Abtreibungen, das geht einfach zu weit. Da können wir nicht einfach zuschauen und abwarten." Die 27-Jährige organisiert die Kampagne "Recht auf Reproduktion" in Detroit. Sie koordiniert die Freiwilligen, verteilt selbst Infozettel an Haustüren und spricht potentielle Wählerinnen und Wähler an.
Alex Cascio engagiert sich im Wahlkampf für die US-Demokraten.
Seit Juni engagiere sie sich zusätzlich zu ihrem normalen Job 20 bis 30 Stunden pro Woche für die Kampagne, erzählt sie, denn: "Meine Mutter hatte das Recht auf Abtreibung, ich hatte dieses Recht und auf einmal droht uns dieser massive Rückschritt. Dagegen nichts zu tun war keine Option für mich." Sie sei sogar von Detroit bis in die Hauptstadt Washington gefahren, um dort zu demonstrieren.
Die Stimmung im Team ist gut - sie rechnen mit einem Erfolg. Über alles andere wollen sie auch gar nicht nachdenken: Sollte die Abstimmung über das Recht auf Abtreibung scheitern, würde in Michigan wieder ein Gesetz aus dem Jahr 1931 greifen, das Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbietet.
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