Argentinien Tausende protestieren gegen Mileis Reformpläne
Während sich Unternehmen und Börse zufrieden zeigen, demonstrieren in der argentinischen Hauptstadt Gewerkschaften und Sozialverbände gegen die radikalen Marktreformen des neuen Präsidenten Milei. Dieser erwägt eine Volksbefragung.
"Nieder mit den Notdekreten", so lautete der Slogan der Demonstranten, die zu Tausenden zum Justizpalast in Buenos Aires strömten. Vor allem die größte Gewerkschaft des Landes, CGT (General Confederation of Labour), protestiert gegen das erste radikale Reformpaket, das der neue Staatspräsident Javier Milei vergangene Woche auf den Weg gebracht hatte: Staatsbetriebe sollen privatisiert, das Arbeitsrecht aufgeweicht, Regulierungen im Gesundheits- und Wohnungsbereich aufgehoben werden. Argentinische Produkte können ohne Auflagen exportiert werden, ausländische Investoren in argentinische Fußballclubs investieren.
Gestern verkündete Milei, die Verträge von mehr als 5.000 Staatsbediensteten nicht zu verlängern. Der Gewerkschaftsvize Pablo Moyano gab sich kämpferisch. "Was sollen wir mit diesen Leuten reden, wenn wir wissen, dass sie die Arbeitnehmer verachten?", so Moyano. "Die Regierung von Milei verachtet die Arbeiter. Das hat er mit dem gestrigen Notdekret bewiesen, und wir werden auf den Straßen, vor den Gerichten und wo auch immer wir sein müssen kämpfen, damit diese Dekrete gekippt werden."
"Das Volk hat verstanden"
Die Demonstrationen stehen unter strengen Auflagen - die offenbar durchgesetzt werden: Wie angekündigt, hat die Innenministerin bereits etlichen Teilnehmern von Demonstrationen der vergangenen Woche Polizeieinsätze in Rechnung gestellt.
Am Vorabend hatte Präsident Milei in einem langen Interview seine ersten Reformschritte erklärt und auf Erfolge aus seiner Sicht hingewiesen. Den Vorwurf, sein Vorgehen sei undemokratisch, weil Notdekrete laut Verfassung für Kriegslagen und Naturkatastrophen vorbehalten sind, wies er zurück. Er habe mit elf Prozentpunkten Vorsprung die Stichwahl gewonnen und auch frühere Präsidenten hätten per Notdekret regiert. Sollte der Kongress seine Pläne ablehnen, werde es eine Volksbefragung geben.
"Selbstverständlich! Sollen sie mir doch erklären, warum der Kongress gegen etwas ist, das gut für die Menschen ist. Sollen sie es mir erklären - denn das Volk hat es sehr wohl verstanden. Die Dekrete haben mehr als 75 Prozent Zustimmung."
Im Lauf der Woche hatten sich die großen Unternehmerverbände hinter Mileis Reformen gestellt und nur vereinzelt seine Methoden kritisiert. Aktien argentinischer Unternehmen legten im In- und Ausland zu. Doch dies sei ein sehr spekulativer Markt, meint der konservative Volkswirt Roberto Cachanosky. "Jetzt, wo die Preiskontrollen abgeschafft sind, wo die Wirtschaft dereguliert ist, wo wir zur freien Marktwirtschaft übergehen, werden die Unternehmen mehr Geld verdienen und da die Aktien sehr niedrig bepreist sind, der argentinische Aktienkurs sehr niedrig war, hatten sie viel Spielraum, um zu steigen."
Kulturkampf verschärft sich
Der Finanzfachmann Claudio Zuchovisky gab sich allerdings skeptisch, ob dieses Wachstum auch bei den einfachen Leuten ankommen werde. Die Gesellschaft Argentiniens sei "sehr komplex". 50 Prozent der Menschen hätten keinen Zugang zu grundlegenden Dingen. "Das ist strukturelle Armut", so Zuchovisky. "Argentinien kann also wachsen, es kann gut abschneiden. Man kann euphorisch darüber sein, dass die Börse gestiegen ist oder dass es den Geschäftsleuten viel besser geht." Die Menschen würden das am Anfang aber nicht unbedingt wahrnehmen, meint der Experte.
"Sie sehen: Es gibt keine Kanalisation, es gibt keine Bildung und so weiter. Der Mangel an Infrastruktur ist das schlimmste Problem für sie. Und wir haben eine Gesellschaft, die zwar ihr Wahlverhalten geändert hat - aber ich weiß nicht, ob das auf Dauer tragen wird."
Im Laufe des Abends wollen die großen Gewerkschaften darüber beraten, ob sie einen Generalstreik ausrufen. Der Kulturkampf, den Staatspräsident Milei gegen alles Sozialistische ausgerufen hat, verschärft sich.