Brasilien Schock in Brasília
In der brasilianischen Hauptstadt haben Anhänger des ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro mehrere Regierungsgebäude gestürmt. Erst nach Stunden brachte die Polizei die Situation unter Kontrolle.
Gegen 15 Uhr Ortszeit stürmten Tausende mutmaßliche Anhängerinnen und Anhänger des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro das Regierungsviertel in Brasília. Viele mit Nationalflagge oder im Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft. Sie schlugen die Fenster des Kongressgebäudes ein, beschmierten Wände - hinterließen ein Bild der Zerstörung.
Die Polizei setzte zwar Blendgranaten und Tränengas ein, konnte aber zunächst wenig gegen die Angreifer ausrichten. Erst nach Stunden kam Verstärkung, bis zum Abend wurden mehr als 200 Menschen festgenommen, die Situation unter Kontrolle gebracht. Dennoch ist die Rolle der Polizei umstritten.
Sicherheitschef entlassen
Das machte auch Präsident Lula deutlich, der sich zur Zeit des Angriffs im Bundesstaat Sao Paulo aufhielt: "Wir glauben, dass es einen Mangel an Sicherheit gab", sagte er. "Ich möchte Ihnen sagen, dass all die Leute, die dies getan haben, gefunden und bestraft werden."
Im Zuge seiner Rede entließ Lula den Sicherheitschef der Hauptstadt Brasília, Anderson Torres. Der Grund: Offenbar hatten sich Anhänger von Bolsonaro in Telegramgruppen organisiert und eine Demonstration angekündigt - unter dem Motto "tomada de poder", Machtergreifung. Das war dem Senat in Brasília lokalen Medien zufolge bekannt, deshalb hatte dieser um eine Verstärkung der Sicherheitskräfte gebeten. Eine Forderung, der Torres nicht nachkam. Anderson Torres war Justizminister unter Bolsonaro.
Der deutsch-brasilianische Politikwissenschaftler Oliver Stünkel sieht Parallelen: "In den letzten zwei Jahren haben Analysten immer wieder gesagt, nachdem es zu den Attacken in den USA am 6. Januar 2021 kam, dass etwas ähnliches auch in Brasilien stattfinden kann", so Stünkel. "Es gibt natürlich viele Parallelen, auch zwischen dem Trumpismus und dem Bolsonarismus."
Destruktive Kritik
Bolsonaros Politikstil habe zu den Ereignissen des gestrigen Tages beigetragen, analysiert Mayra Goulart, Professorin für Sozialwissenschaften an der Universität von Rio de Janeiro: "Jair Bolsonaro hat während seiner gesamten Zeit im Nationalkongress, mehr als 27 Jahre lang, unzählige Reden gehalten, in denen er die Militärdiktatur verteidigt hat, die Folter. In denen er das politische System kritisiert hat - aber nicht auf konstruktive Weise, sondern destruktiv. "
Außerdem, so Goulart, habe Bolsonaro sich während seiner Amtszeit oft wohlwollend über den Sturm des Kapitols in Washington geäußert.
Bolsonaro weist Verantwortung von sich
Präsident Lula da Silva machte seinen Vorgänger Bolsonaro für die Ausschreitungen verantwortlich und forderte Aufklärung: "Wie werden herausfinden, wer diese Vandalen finanziert hat. Wir werden die Hintermänner finden und sie mit der Macht des Gesetzes dafür bezahlen lassen. Für diese verantwortungslose, antidemokratische Tat dieser Vandalen und Faschisten", so das Staatsoberhaupt.
Der brasilianische Justizminister Flavio Dino gab am Abend bekannt, dass es Hinweise auf mögliche Geldgeber gäbe, ohne Details zu nennen. Bolsonaro reagierte Stunden nach den Ausschreitungen auf Twitter. Er weise alle Vorwürfe zurück, schrieb er. Friedliche Demonstrationen seien Teil der Demokratie. Mit der Erstürmung von Regierungsgebäuden werde aber eine Linie überschritten.