El Salvador Jung, tätowiert - dann droht der Knast
El Salvadors Präsident Bukele geht brutal gegen die Banden im Land vor, nachdem offenbar ein Abkommen mit ihnen gescheitert ist. Bukele verhängte den Ausnahmezustand, seitdem wird wahllos verhaftet.
Die schmucklose Baptisten-Kirche sieht von außen aus wie ein gewöhnliches Haus, irgendwo in einem Armenviertel in San Salvador. Auf einer kleinen Tribüne steht ein Mikrophon, an der Wand hängt ein Plakat, auf dem mit großen weißen Lettern "Jesus is King" - Jesus ist der König - geschrieben steht.
An normalen Tagen würde aus dem Keller der Duft von frischem Brot den Kirchensaal durchdringen. Doch dieser Tag ist kein normaler Tag, denn die anhängige Bäckerei ist bis auf Weiteres geschlossen.
Als Juan, der seinen eigentlichen Namen lieber nicht nennen will, an diesem Samstag in die Kirche kommt, sind alle weg - mitgenommen von der Polizei, erinnert er sich: "Ich bin praktisch der Einzige, der übriggeblieben ist."
Juan traut sich kaum noch auf die Straße - er befürchtet, wieder festgenommen zu werden.
Ein Projekt mit Geschichte
Acht junge Männer hatten in der Bäckerei gearbeitet - ehemalige Bandenmitglieder, Aussteiger, die in der Kirche Unterschlupf gefunden hatten. Ein Projekt, das die Kirche bereits 2012 ins Leben gerufen hatte, erzählt der Pastor der Kirche. Auch er will lieber anonym bleiben. Die Situation im Land sei angespannt. Auch Kollegen, Pastoren, seien bereits verhaftet worden.
Die Kirche, berichtet er, hatte eine Übergangsunterkunft für junge Männer eingerichtet, die aus der Haft entlassen werden, die christlichen Glaubens sind und nicht wieder auf die Straße und noch weniger zurück in die Bandenstrukturen wollen. Bis zu 25 jünge Männer hätten hier zwischenzeitlich gewohnt.
Viele, weiß der Pastor, hätten außerhalb der Banden keine Familie mehr, zu der sie zurückkehren könnten. "Für einen jungen Mann, der frisch aus dem Knast kommt und das Bandenleben verlassen will, ist es eine sehr schwierige Situation. Viele leiden unter der Stigmatisierung aufgrund ihrer Vergangenheit."
Die Tattoos erzählen von den Banden
Und die lässt sich nicht so einfach wegradieren. Die martialischen Tattoos, die teilweise die nackte Kopfhaut bedecken, den Hals, die Hände, die Arme, sogar das Gesicht, zeigen unmissverständlich, zu welcher der marodierenden Banden sie einmal gehörten: zu den "Mara Salvatrucha", "MS 13" oder "Barrio 18".
Die Tattoos reichten für die Sicherheitskräfte schon als Grund für ihre Festnahme. Und dabei interessiere die Behörden nicht, ob die Festgenommenen ihre Strafe schon abgesessen hätten: "Sie legen noch nicht einmal einen Haftbefehl vor."
Eine zweite Chance
Juans Tattoos sind kaum noch zu erkennen. Die Zahlen, die er zwischen den Fingern als Zeichen seiner Zugehörigkeit zur Bande "Barrio 18" eingebrannt hatte, sind fast gänzlich verblasst. Weitere auf dem Oberschenkel und auf einer Wade sehen aus wie Schmutzflecken. Über Jahre hat er die Tattoos nach und nach weglasern lassen.
15 Jahre hat er der Bande angehört. Er war 14, als er sich ihnen anschloss. Er hat gemordet und dafür zehn Jahre im Knast gesessen, dort hat er sich mit Dutzenden anderen von der Bande ab- und der Kirche zugewendet. Sie habe ihm eine neue Chance gegeben.
Juans Gesichtszüge sind weich, seine Haare kurz geschoren. Er trägt ein gelbes Polo-Shirt und Jeans. Der 39-Jährige lebt mittlerweile in einer Wohnung außerhalb der Kirche. Er hat geheiratet und würde gerne Kinder bekommen, erzählt er lächelnd.
Zwei Jahre habe er in der Kirchenunterkunft verbracht, habe bald dem Leitungsteam der Bäckerei angehört. Und die Verwaltung und das Abrechnen habe er rasch gelernt, obwohl er doch gar keine Erfahrung gehabt habe: "Die Bäckerei bedeutet mir sehr viel, sie ist ein Teil von mir geworden."
Die Schlangen der Angehörigen vor den Gefängnissen in El Salvador sind lang - der Präsident brüstet sich mit der hohen Zahl der Inhaftierten.
Die Angehörigen suchen verzweifelt
Nach wie vor werden jeden Tag Hunderte Menschen festgenommen. Auch in diesem Moment fährt ein Pickup der Sicherheitskräfte durch die Straßen des Viertels. Mehr als 30.000 mutmaßliche Bandenmitglieder wurden verhaftet. Vor den Gefängnissen in San Salvador haben sich lange Schlangen gebildet. Vor allem Mütter und Ehefrauen suchen verzweifelt nach ihren Söhnen, den Männern.
Doch Informationen dringen kaum nach außen, beklagt Ruth López von der Menschenrechtsorganisation Cristosal. Grundrechte würden systematisch verletzt. Auch die Unabhängigkeit der Richter sei nicht garantiert. Richtern, die Beschuldigte wieder freilassen, werde vorgeworfen, die Banden zu unterstützen.
Ein weiteres Problem: Eine unschuldige Person, der die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen kann, dass sie an einer Straftat beteiligt war, sollte eigentlich freigelassen werden. Häufig aber würden sie nach den fünfzehn Tagen nicht entlassen. Und dann könnten sechs Monate bis zur nächsten Anhörung vergehen.
Die verzweifelten Angehörigen der Festgenommenen geben einander Halt. Doch viele Bürger des Landes unterstützen den Kurs der Regierung.
Die Bevölkerung stützt den Kurs
Für die Betroffenen ist das eine existentielle Bedrohung, sie verlieren ihre Jobs. 80 Prozent der Salvadorianerinnen und Salvadorianer unterstützen den autoritär regierenden Präsidenten Nayib Bukele, der sich täglich mit neuen Gefangenen brüstet.
Der Hass auf die Banden ist groß. Auch der 35-jährige Alfredo Hernández befürwortet die Politik der harten Hand der Regierung. Mehr als zwei Jahre musste er monatlich 100 Dollar Schutzgeld an eine Bande bezahlen.
Viele Menschen hätten durch die Gewalt der Banden einen Familienangehörigen verloren, sagt er, oder sie seien - wie er - erpresst worden. Dass diese Menschen nun in den Knast wandern, gebe ihm Frieden. Die Verhaftung Unschuldiger nimmt er billigend in Kauf.
Präsident Bukele kam 2019 mit populistischen Versprechungen an die Macht. Schon damals zeigte sich: Von den klassischen Methoden der Politik hielt er wenig.
Gefängnis als Allheilmittel?
Der Pastor der kleinen Gemeinde in San Salvador befürchtet, dass der Ausnahmezustand immer noch weiter ausgeweitet wird. Mit dem Gefängnis allein könne die Gewalt im Land nicht bekämpft werden, glaubt er. Mit Hilfe der Kirche hätten sich junge Menschen, die wegen ihrer Strafen zehn oder gar zwanzig Jahre im Gefängnis gesessen hätten, wieder in die Gesellschaft integriert. Nun aber würden sie erneut im Knast landen.
Die Perspektivlosigkeit, die Marginalisierung der jungen Männer - diese Grundprobleme würden dadurch nicht gelöst. Staatliche Resozialisierungsprogramme gibt es nicht.
Juan verlässt kaum noch seine Wohnung. Jederzeit könne er von den Sicherheitskräften aufgegriffen werden, sagt er. Und doch vertraue er weiter auf Gott und verliere nicht den Glauben daran, dass die Bäckerei wieder aufmachen wird. Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus.