Henry Kissinger Eine Jahrhundertgestalt wird 100
Kissinger stammt aus Fürth und musste 1938 mit seinen Eltern vor den Nazis fliehen - in die USA. Sie wurden seine neue Heimat und der Ausgangspunkt für eine große politische Karriere. Sein Wirken: umstritten. Heute aber wird er gefeiert.
Henry Kissinger, ehemaliger US-Außenminister und Buchautor, vollendet heute sein 100. Lebensjahr. Trotz zahlreicher Auszeichnungen, darunter der Friedensnobelpreis 1973, ist Kissingers politisches Wirken bis heute umstritten.
Henry Kissinger ist im wahrsten Sinne eine Jahrhundertgestalt. Am 27. Mai 1923 - heute vor 100 Jahren - wurde er als Heinz Alfred Kissinger im mittelfränkischen Fürth geboren:
"Ich war ein wilder Fußball-Fanatiker. So denke ich immer an die Fußballspiele, die ich dort gesehen habe. Meine Erinnerungen an meine Fürther Zeit waren im Ganzen sehr positiv. Wir hatten kein Radio und ich habe sehr viel gelesen. Ich habe Schiller mit größtem Enthusiasmus gelesen. Goethe auch, aber ich war noch zu jung, um den zu verstehen. Dostojewski auf Deutsch. Ich habe sehr viel gelesen als Kind."
1938 - im Alter von 15 Jahren - floh er mit seiner Familie vor den Nationalsozialisten in die USA. Er wuchs in New York auf. Als Jugendlicher soll er so schüchtern gewesen sein, dass er kaum sprach.
Vielleicht ein Grund dafür, dass Kissinger bis heute einen starken deutschen Akzent hat. Er erinnert sich: "Ich war dann ein Jahr auf der High School. Dort sollte ich einen Aufsatz schreiben, wie ich mich fühle. Ich habe damals geschrieben: Ich vermisse meine Freunde in Fürth. Aber hier in Amerika kann ich als Jude erhobenen Hauptes durch die Straßen gehen. Ich habe keine Diskriminierung gespürt als Einwanderer. Obwohl ich nicht mal Englisch gesprochen habe, als ich hierhergekommen bin."
Seit 1943 US-amerikanischer Staatsbürger
1943 wurde Kissinger US-Amerikaner und zum Militärdienst eingezogen. Er kämpfte in den Ardennen und arbeitete später in seiner alten Heimat Deutschland für die US-Spionageabwehr. "Ich hatte das Glück, dass mir erlaubt wurde, an Dingen zu arbeiten, die für mich so entscheidend waren: Wie man helfen kann, erst ein Land wieder aufzubauen, wie ich in der Besatzung war als junger Soldat. Und dann Schritt für Schritt von höheren Positionen mitzuarbeiten, um zu verhindern, dass diese Katastrophen wieder entstehen können."
Nach dem Studium an der Elite-Universität Harvard lehrte er dort und machte sich als Spezialist für internationale Politik einen Namen. 1969 holte ihn der republikanische Präsident Richard Nixon als Nationalen Sicherheitsberater ins Weiße Haus.
Der zukünftige US-Präsident Richard Nixon (M) hat am 2. Dezember 1968 in New York den aus Deutschland stammenden Harvard-Dozenten Henry Kissinger (l) zu seinem Sicherheitsberater ernannt.
Später wurde Kissinger unter ihm auch US-Außenminister: "Nixon war eine komplizierte Persönlichkeit. Aber in Krisensituationen hat er mutige Entscheidungen getroffen. Im Rückblick muss ich sagen, dass ich sogar eine Bewunderung entwickelt habe für die Art, wie er gekämpft hat - was ja dann im Desaster geendet hat."
Vorwurf: Machtpolitiker ohne Skrupel
Nach dem "Watergate"-Skandal musste Nixon zurücktreten. Kissinger aber blieb Außenminister - auch unter Nixons Nachfolger Gerald Ford. Kritiker werfen ihm nicht nur deshalb vor, ein skrupelloser Machtpolitiker gewesen zu sein. So soll Kissinger 1968 einen nahen Friedensschluss in Vietnam verhindert haben, um Nixon zum Wahlsieg zu verhelfen, und für die Bombardierung Kambodschas mit verantwortlich sein.
Ein Thema, auf das er bis heute nicht gerne angesprochen wird: "Wir haben mit Drohnen und allen möglichen Waffen jede Guerilla-Einheit bombardiert, die sich uns entgegengestellt hat. Das war in jeder Regierung so, egal welcher Partei. Wir reden hier über etwas, das vor 60 Jahren passiert ist. Das war damals ein notwendiger Schritt."
11.06.1974, Bad Reichenhall: Der damalige US-amerikanische Außenminister Henry Kissinger (r) und sein deutscher Amtskollege Hans-Dietrich Genscher tragen sich bei ihrer ersten Begegnung in das Goldene Buch der Stadt ein.
Einer der wichtigsten politischen Berater
Unklar ist auch, welche Rolle Kissinger Anfang der 1970er-Jahre beim blutigen Putsch von General Augusto Pinochet gegen den chilenischen Präsidenten Salvador Allende oder während der Militärdiktatur in Argentinien gespielt hat.
Fest steht: Auch obwohl er seit 1977 kein Regierungsamt mehr innehatte, mischte er später als einer der wichtigsten Berater der republikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George Bush weiter politisch mit.
Und auch mit 100 ist der Fußballfan aus Fürth ein gefragter Mann, wenn es um außenpolitische Einschätzungen geht:
Als ich 15 war in Deutschland, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, einmal Außenminister der USA zu werden und all diese Dinge zu tun. Ich gehörte einer diskriminierten Minderheit an. Wenn mich irgendetwas auf diese Karriere vorbereitet hat, dann ist es, dass ich im Chaos groß geworden bin: der Krieg, das Erleben sehr komplexer und gefährlicher Situationen. Ich habe die Überzeugung entwickelt, dass dieses außergewöhnliche Schicksal eine Verpflichtung ist, mein Bestes zu geben.