Parlaments- und Präsidentenwahlen Wird Paraguays Dinosaurier-Partei abgewählt?
Paraguay gilt als eins der korruptesten Länder Südamerikas, ein Drittel der Menschen ist arm. Seit Jahrzehnten regiert dieselbe Partei. Am Sonntag wird gewählt - die Chance auf Wandel sehen aber nur wenige.
Dreimal pro Woche stellt sich Leidy Rivers in die meterlange Schlange vor der Fleischtheke im "Tio Juan", dem zentralen Supermarkt von Puerto Iguazú in Argentinien. Eine Stunde muss sie heute warten, dann hievt sie zehn vollgestopfte Tüten in den Einkaufswagen: 90 Kilo Koteletts, 100 Kilo Flankenstücke vom Rind.
"Gute Qualität, niedriger Preis", erklärt sie. Jetzt darf es nur der Zoll nicht finden. Drei Kontrollbehörden und zwei Staatsgrenzen liegen auf ihrem Heimweg. Denn die 1,60 m große Dame mit blonder Frisur kommt aus dem benachbarten Paraguay wie alle hier, und betreibt Fleischschmuggel wie alle hier.
"Die Argentinier stecken in der Krise und kämpfen mit der Inflation. Aber als Ausländer kann man sich hier wenigstens noch gutes Essen leisten." Deswegen würden die Paraguayer in Argentinien kaufen, weil sie es zu Hause doppelt so teuer weiterverkaufen könnten, sagt Rivers.
Misstrauen gegenüber der Politik
"Natürlich regiert der Schmuggel. Aber wer sind denn die wahren Kriminellen? Wir, die das zum Überleben tun? Oder unsere paraguayischen Politiker, die selbst Lastwagen voller Waren schmuggeln und sich die Taschen voll machen, während sie das Volk aushungern?" Paraguay müsse endlich aufwachen, schimpft die resolute Dame. Sie hofft auf einen Wandel bei den anstehenden Wahlen am Sonntag.
"Wir stecken seit Jahrzehnten im selben Sumpf. Schuld daran ist die regierende Colorado-Partei. Das sind Betrüger. Vaterlandsverräter! Aber die Leute scheinen blind." Sie hielten der Partei die Treue wie einem Fußballklub, statt nach ihrem sozialen Programm zu fragen.
Präsidentschaftskandidat Peña beim Wahlkampfabschluss der Colorado-Partei: Sie regiert das Land seit Jahrzehnten.
Seit Jahrzehnten an der Macht
Und tatsächlich scheint keine Partei in Südamerika so fest im Sattel zu sitzen wie die Colorados. Übersetzt heißt das: die "Roten". Politisch stehen sie aber rechts. Sie waren die Stütze der Diktatur unter General Alfredo Stroessner, der zwischen 1954 und 1989 an der Macht war. Nach seinem Sturz leiteten sie den Übergang zur Demokratie ein und regieren seitdem weiter, insgesamt seit mehr als 70 Jahren, mit nur einer Unterbrechung zwischen 2008 und 2012.
Im Grunde sei die Partei der Staat, sagt Marcos Talia. Der Politikwissenschaftler aus Paraguay lehrt an der Universität von Valencia. Paraguay gilt als das korrupteste Land Südamerikas. Jedes Jahr versickern Milliarden US-Dollar in dubiosen Löchern.
Fast die Hälfte der Einwohner sind verarmt, ein Drittel der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Die ungelöste Landfrage führt zu einer massiven Ungleichheit. Mehr als 85 Prozent des fruchtbaren Bodens sind im Besitz von nicht einmal zwei Prozent der Bevölkerung.
Mythos Unternehmerparadies
"Es gibt den Mythos, Paraguay sei das Unternehmerparadies: mit niedrigen Steuern, kaum Arbeitnehmerrechten, vielen Freiheiten", so Talia. Man könne das ethisch hinterfragen, aber auch als Anreiz interpretieren. Trotzdem gebe es keinen "überbordenden Investitionsregen" in Paraguay. "Das liegt daran, dass die Rechtssicherheit fehlt. Unsere Institutionen sind schwach und korrupt. Die Regeln machen Mafias, die oft mit der Colorado-Partei verwoben sind."
Das hat Talia zufolge auch dazu geführt, dass die öffentliche Verwaltung völlig marode ist. "Ein Beispiel: Während der Pandemie starben die Leute hier nicht nur an Bettenmangel. Sie starben, weil es kein Ibuprofen gab. Was für das Gesundheitssystem gilt, das gilt für Bildung, für Infrastruktur, im Grunde für alle staatlichen Dienstleistungen."
Oppositionskandidat mit Chancen
Doch dem großen Parteiapparat der Colorados hatten andere bisher kaum etwas entgegenzusetzen. Das könnte sich nun ändern. Der Oppositionskandidat Efrain Alegre, dessen Bündnis von links bis liberal alle Strömungen beinhaltet, liegt gleichauf mit dem Colorado-Politiker Santiago Peňa - jedenfalls wenn man den Umfragen glaubt, die zuletzt allerdings wenig zuverlässig waren.
Alegre will mehr Sozialstaat und die Korruption bekämpfen. Peňa verspricht, Arbeitsplätze und die Steuern nicht zu erhöhen. Dabei scheint keiner der beiden für besonderen Enthusiasmus zu sorgen, beide sind alte Bekannte im klientelistischen Politikbetrieb.
Der 60-jährige Alegre trat bereits zweimal erfolglos an, der 44-jährige Peňa wechselte einst von den Liberalen zu den Colorados. Im Grunde steht keiner der beiden für einen Wandel, sondern eher für ein "Weiter wie bisher".
Oppositionskandidat Alegre will die Korruption im Land bekämpfen.
Colorados sind zerstritten
Das größte Problem der Colorados seien diesmal aber vor allem sie selbst, sagt Politikwissenschaftler Thalia. Die Partei sei intern zerstritten. Verantwortung dafür trage vor allem der Parteivorsitzende, Ex-Präsident Horacio Cartes, seines Zeichens einer der reichsten Männer des Landes.
Sein weitverzweigtes Geschäftsimperium baute er einst mit Tabakschmuggel auf. Inzwischen steht er auf der schwarzen Sanktionsliste der USA, die ihn der Korruption und der Geldwäsche bezichtigen - und mutmaßlichen Verbindungen zum Drogenhandel.
"Es scheint mir, dass das die politische und wirtschaftliche Elite aufgeschreckt hat. Nicht aus moralischen oder ethischen Gründen, die Geschichte von Cartes ist ja bekannt", so Talia. "Aber leider ist es so, dass die paraguayischen Behörden nur ermitteln, wenn Druck von außen - vor allem von den USA - kommt." Deshalb hätten in dem Land mit seiner weitverbreiteten Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft nun viele Angst, dass ihnen ein ähnliches Schicksal drohen könnte. "Also geht man lieber auf Abstand zum Gebrandmarkten."
Geldgeber sind zögerlich
Dazu komme ein zweiter Punkt: Die US-Sanktionen hätten Einfluss auf die Parteifinanzierung. "Die Colorados waren immer an der Macht, sie hatten beste Verbindungen - auch, das ist kein Geheimnis, zur organisierten Kriminalität", erklärt Talia. Die Partei habe nie Geldprobleme gehabt. Aber nun gebe es erstmals Vorbehalte, den Colorados für ihre Kampagne finanziell zur Seite zu stehen.
Dabei spielen bei der Wahl auch geopolitische Interessen eine Rolle: Denn die Opposition um Alegre hat angekündigt, die Zusammenarbeit mit China stärken zu wollen, einem zentralen Abnehmer von "Comodities" wie Soja, Fleisch oder Mineralien - Paraguays Hauptexportgüter.
Derzeit wird quer durch Paraguay eine Straße gebaut, die das Binnenland Paraguay zum wichtigen Transportkorridor zwischen Atlantik und Pazifik aufwerten würde. Daran dürfte nicht nur Peking, sondern auch der mächtige Agrarsektor Paraguays Interesse haben. Bisher allerdings unterhält das Land noch Beziehungen zu Taiwan, als einziger Staat in Südamerika. Das könnte sich je nach Ausgang der Wahl ändern.
Schmugglerparadies im Dreiländereck
Im Dreiländereck mit Argentinien und Brasilien rund um Paraguays zweitgrößter Stadt Ciudad del Este prallen all die paraguayischen Gegensätze und Konflikte am krassesten aufeinander. Im Hinterland dominieren gigantische Soja- und Maisplantagen, die meisten in Händen ausländischer, vor allem brasilianischer Großgrundbesitzer. Die Stadt selbst, ein wilder Bazar aus Leuchtreklamen, Shoppingmalls und Lagerhäusern, krakeelenden Marktschreiern und findigen Kryptounternehmern. Sie gilt als "Raubtier-kapitalistisches" Schmugglerparadies.
Ciudad del Este von Brasilien aus gesehen
Eine Stadt voller Möglichkeiten, finden Jorge Medina und Wilson Godoy dagegen, die als Einkaufsführer für Touristen arbeiten. Ihr Kandidat ist einer, der selbst in Ciudad del Este gelebt hat: der Anti-Establishment-Politiker und Systemkritiker Paraguayo "Payo" Cubas, der die Todesstrafe für Korruption fordert.
"Wir sind zu 100 Prozent für Payo. Der ist einer, der weiß, was das Volk braucht: Schulen, Krankenhäuser und Sicherheit. Der macht aus den Korrupten Salami", sagt Godoy. Laut Umfragen hat Cubas keine Chance gegen die etablierten Kandidaten, er liegt rund zehn Prozentpunkte hinter ihnen. In Paraguay gibt es keine Stichwahl, derjenige mit den meisten Stimmen gewinnt.
Die Umfragen seien gefälscht, glauben Godoy und Medina, die ihre Kunden mit gepanschtem Whisky, gefälschten Markenartikeln und Elektronik aus Fernost versorgen.
Leidy Rivers, die Dame mit der blonden Hochsteckfristur, versorgt Händler wie die beiden mit geschmuggelten Koteletts aus Argentinien. Für sie ist Ciudad del Este ein trauriger Ort. "Die Stadt lockt die Menschen aus dem Landesinneren an, die kein Studium und keine Arbeit haben. Sie geben ihre Parzellen auf dem Land für Ramschpreise an die Großgrundbesitzer ab und verkaufen dann hier billige Waren in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft."