Reaktionen auf Chauvin-Urteil "Heute können wir wieder atmen"
Der Schuldspruch gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin hat vielfach für Erleichterung gesorgt. US-Präsident Biden sprach von einem "riesigen Schritt nach vorn". Doch die Rufe nach Reformen sind nicht verhallt.
Nach dem Schuldspruch gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin wegen der Tötung von George Floyd fallen die Reaktionen erleichtert, aber auch nachdenklich aus. Vor dem Gerichtsgebäude in Minneapolis brachen Wartende in Jubel und Tränen aus. Hunderte Menschen hatten sich vor dem Gebäude im Zentrum der Stadt versammelt. Sie skandierten unter anderem "Black Lives Matter" und "Wer hat gewonnen? Wir haben gewonnen", sie riefen außerdem George Floyds Namen. Der Verkehr in den umliegenden Straßen kam zum Erliegen.
Floyds Familie zeigte sich erleichtert über den Schuldspruch. "Gerechtigkeit für George bedeutet Freiheit für alle", sagte sein Bruder Philonise Floyd. "Heute können wir wieder atmen." Er betonte, der Kampf gegen Ungerechtigkeit gehe weiter. Er hoffe nach dem Schuldspruch, dass er nun wieder schlafen könne. Er und weitere Angehörige von George Floyd dankten ihren Unterstützern und erinnerten an andere Opfer von Rassismus und Polizeigewalt.
Vor dem Gerichtsgebäude brach nach dem Urteilsspruch Jubel aus.
"Wendepunkt der Geschichte"
Der Anwalt der Familie bezeichnete den Schuldspruch als "Wendepunkt in der Geschichte". "Schuldig!", schrieb Ben Crump nach dem Urteil auf Twitter. "Endlich ist schmerzlich verdiente Gerechtigkeit für George Floyds Familie eingetroffen." Der Schuldspruch sende eine klare Botschaft, dass auch die Strafverfolgung zur Rechenschaft verpflichtet sei.
Crump schrieb weiter: "Gerechtigkeit für das schwarze Amerika ist Gerechtigkeit für ganz Amerika!" Mit dem Urteil sei es aber nicht getan - es müsse nun eine Polizeireform geben. Crump nutzte später eine Ansprache vor Journalisten, um an andere Opfer von Polizeigewalt zu erinnern und einen Appell an das Land zu richten: Das Urteil gegen Chauvin müsse für Amerika ein Präzedenzfall sein. Es müsse dazu führen, dass man den Idealen und Versprechen gerecht werde, wenn man sage, dass Freiheit und Gerechtigkeit für alle gelte.
Biden verspricht Maßnahmen gegen Polizeigewalt
US-Präsident Joe Biden rief nach dem Schuldspruch Floyds Familie an. "Wir sind alle so erleichtert", sagte der Präsident in dem Telefonat, das Crump öffentlich machte. "Es ist wirklich wichtig." Biden versprach zugleich Maßnahmen im Kampf gegen Polizeigewalt gegen Schwarze.
Später rief Biden im Weißen Haus eindringlich zum weiteren Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt auf. Struktureller Rassismus sei "ein Schandfleck auf der Seele unserer Nation", sagte Biden. "Nichts kann jemals einen Bruder oder Vater zurückbringen. Aber dies könnte ein riesiger Schritt vorwärts auf dem Marsch zur Gerechtigkeit in Amerika sein." Das reiche allerdings nicht aus. Nötig seien echter Wandel und echte Reformen. Man dürfe nach dem Schuldspruch nicht wegschauen und denken, "unsere Arbeit ist getan".
Biden rief die USA zur Einheit auf. "Jetzt ist die Zeit für dieses Land, zusammenzukommen, uns als Amerikaner zu vereinen", sagte der Präsident. Zugleich forderte der Demokrat, mögliche Proteste müssten friedlich bleiben. "Agitatoren und Extremisten, die keinerlei Interesse an sozialer Gerechtigkeit" hätten, dürften keinen Erfolg haben.
US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Verurteilung als "riesigen Schritt nach vorn" gegen systemischen Rassismus - sagte aber auch: "Es ist nicht genug."
Harris: "Tag der Gerechtigkeit"
An dem Telefonat mit Floyds Familie nahm auch Vizepräsidentin Kamala Harris teil. "Das ist ein Tag der Gerechtigkeit in Amerika", sagte sie Crump zufolge. Die Geschichte werde "auf diesen Moment zurückblicken".
Im Anschluss an das Gespräch mahnte auch Harris Reformen an, um strukturellen Rassismus in den USA zu überwinden. Die institutionalisierte Diskriminierung sei nicht nur ein Problem des Schwarzen Amerikas oder anderer Minderheiten, sagte Harris. "Es ist ein Problem für jeden Amerikaner. Denn es hält uns davon ab, das Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu erfüllen. Und es hält unsere Nation davon ab, unser volles Potenzial auszuschöpfen."
Der Schuldspruch gegen Chauvin lasse aufatmen, sagte Harris. Nach dem Urteil müsse die Arbeit aber weitergehen. "Wir müssen immer noch das System reformieren." Die Aufgabe der Vereinigten Staaten sei es nun, George Floyds Vermächtnis und ihn als Person zu ehren.
Obama mahnt zu konkreten Schritten
Auch Ex-Präsident Barack Obama begrüßte den Schuldspruch gegen Chauvin. "Heute hat eine Jury das Richtige getan", schrieb er in einer gemeinsamen Erklärung mit seiner Frau Michelle auf Twitter. Er sei aber nur ein Schritt im Kampf für Gerechtigkeit. "Für wahre Gerechtigkeit müssen wir die Tatsache begreifen, dass Schwarze Amerikaner, jeden Tag, anders behandelt werden." Millionen Menschen hätten Angst, "dass ihre nächste Begegnung mit den Strafverfolgungsbehörden ihre letzte sein könnte". Die USA müssten konkrete Schritte ergreifen, um rassistische Voreingenommenheit im Strafjustizsystem abzubauen, forderten die Obamas.
"Arbeit hat gerade erst begonnen"
Die Bürgerrechtsorganisation ACLU bezeichnete das Urteil zwar als "Schritt nach vorne". Sie erklärte zugleich, die "Systeme", die es dem Polizisten ermöglicht hätten, Floyd zu "ermorden", seien nach wie vor "vollständig intakt".
Der Gouverneur des US-Bundesstaates Minnesota, Tim Walz, sieht das Urteil ebenfalls lediglich als ersten Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Land. "Das heutige Urteil ist ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit in Minnesota", sagte er. "Der Prozess ist vorüber, aber unsere Arbeit hat gerade erst begonnen." Wahre Gerechtigkeit werde es nur durch grundlegende Veränderungen im System geben, um zu verhindern, dass so etwas wieder passiere. Nur echte Reformen im System könnten etwas ändern.
Demokraten wollen Gesetz schnell durchbringen
Die demokratische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagte, Floyds Name werde von nun an für immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein. An Floyd gerichtet sagte sie: "Danke, George Floyd, dass Sie Ihr Leben für die Gerechtigkeit geopfert haben."
Der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, sagte, er sei für Floyds Familie und Freunde dankbar, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei. Schumer mahnte aber: "Wir sollten einen Schuldspruch in diesem Fall nicht irrtümlich als Beleg dafür halten, dass das Problem von Polizei-Fehlverhalten gelöst ist." Man müsse weiter daran arbeiten, die Polizeidienststellen im Land grundlegend zu verändern.
Aus den Reihen der Republikaner gab es zunächst nur wenige Reaktionen. Der einzige schwarze republikanische Senator, Tim Scott, nannte das Urteil richtig und wertete es als Indiz für die Integrität des Justizsystems. Scott teilte aber zugleich mit, das Verhältnis zwischen der Polizei und Minderheiten sei reparaturbedürftig.
Im US-Kongress ist noch ein nach George Floyd benanntes Gesetz für Polizeireformen anhängig. Das von Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus hat dem Gesetz zugestimmt, im Senat wäre aber auch die Zustimmung einiger Republikaner notwendig. Das ist bislang nicht absehbar.