Donald Trump bei einer Rede am Tag des Sturms auf das Kapitol 2021
interview

Trump-Fall vor Supreme Court "Absolute Immunität ist eigentlich unvorstellbar"

Stand: 25.04.2024 15:24 Uhr

Dass sich das oberste US-Gericht mit der Immunität von Ex-US-Präsident Trump befasst, könnte eine Verzögerungstaktik sein, sagt der US-Jurist Russell Miller im Interview mit tagesschau.de. Doch der Ausgang des Prozesses sei ungewiss.

tagesschau.de: Auf welcher Grundlage verhandeln die Richter eigentlich?

Russell Miller: Es gibt nichts Explizites in der Verfassung zum Thema Immunität des Präsidenten. Wahrscheinlich ist der einzige Text, der einen Fingerzeig geben kann, die Amtsenthebungsklausel. Die besagt, dass der Präsident nach einer Anklage des Repräsentantenhauses und einer darauffolgenden Verurteilung aus dem Amt entfernt werden kann.

Trumps Anwälte argumentieren, dass das die einzige Grundlage ist, auf der gegen den Präsidenten ermittelt werden kann. Aber die Amtsenthebungsklausel schließt ein späteres Strafverfahren nicht ausdrücklich aus. Dieser sehr kurze Text bedarf also einer Auslegung: Was haben sich die Gründerväter dabei gedacht? Aber auch da haben wir nicht viel, mit dem wir arbeiten können.

Es gibt einige Hinweise darauf, dass Benjamin Franklin diese Probleme vorhersah und vorschlug, dass es keine Immunität für den Präsidenten geben sollte. Unser Verfassungsexperiment beruht weitgehend auf der Idee der bürgerlichen Tugend und der Prämisse, dass eine öffentliche Person das Beste für das Land tut - und nicht, dass dieser tugendhafte Bürger auch das Gesetz bricht. Die Gründerväter hätten sich dieses Szenario wahrscheinlich nicht einmal vorstellen können!

Russell Miller
Zur Person
Russell Miller ist Juraprofessor an der W&L University im US-Bundesstaat Virginia. Er ist Mitgründer und Redakteur des "German Law Journal" und war Vorsitzender des "Max Planck Law Network".

"Republikanische Richter nicht automatisch auf Trumps Seite"

tagesschau.de: Welchen Einfluss hat die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofs auf die Entscheidung?

Miller: Trump hat als Präsident ja drei der derzeitigen Richter ernannt. Es ist naheliegend zu erwarten, dass diese Richter auch zu seinen Gunsten entscheiden werden. Aber ich bin mir da gar nicht so sicher. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, Chief Justice John Roberts, - ein Republikaner, auch wenn er nicht von Trump ernannt wurde - aber auch die von Trump ernannte Richterin Amy Coney Barrett, haben in jüngster Zeit ihre Sorge um den Supreme Court als Institution zum Ausdruck gebracht.

Sie wissen, dass die Entscheidungen des Gerichts das Ansehen in der Öffentlichkeit, den Ruf und die Akzeptanz der Institution verschlechtern können. Und ich glaube, diese Bedenken werden sie in ihre Entscheidung einfließen lassen: Wenn sie strikt zu Gunsten des ehemaligen Präsidenten entscheiden, wird das Gericht noch parteiischer wirken.

Ich glaube nicht, dass es so sicher ist, dass diese beiden republikanischen Richter automatisch im Lager von Trump sind. Ich weiß nicht, welche Mehrheit es am Ende geben wird, aber diese beiden republikanischen Richter könnten sich den Liberalen im Gericht anschließen.

"Es könnte sich um eine Verzögerungstaktik handeln"

tagesschau.de: Was glauben Sie, wie das Verfahren ausgehen wird?

Miller: Hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung ist es eigentlich unvorstellbar, dass das Gericht einem ehemaligen Präsidenten absolute Immunität gewährt. Aber dann stellt sich die Frage: Warum hat der Supreme Court den Fall überhaupt angenommen?

Im US-Rechtssystem hätte der Oberste Gerichtshof auch die Entscheidung treffen können, den Fall abzulehnen. Dann hätte das bestehende Urteil Bestand, das Trumps Immunitäts-Anspruch abgelehnt hat. Es besteht also ein gewisses Risiko, dass die Obersten Richter dem Ex-Präsidenten eben doch Immunität gewähren wollen. Einige Insider halten das für realistisch.

Aber es gibt auch die Interpretation, dass es eigentlich gar nicht um die Frage Immunität ja oder nein geht. Sondern dass es sich um eine Verzögerungstaktik handelt, damit im eigentlichen Prozess zum Sturm auf das Kapitol kein Urteil vor den Präsidentschaftswahlen mehr gefällt werden kann. Vielleicht ist also die Annahme des Immunitäts-Falls durch den Supreme Court bereits ein signifikantes Ergebnis.

"Konservative Richter könnten sich Spielraum verschaffen wollen"

tagesschau.de: Wenn der Supreme Court im Sinne Trumps entscheidet: Würde das bedeuten, dass der Präsident eine Art totale Immunität ohne Grenzen genießt?

Miller: Ja, das ist die verrückte Auffassung, die Trump vertritt. In einem Verfahren, in dem es um die Herausgabe von Steuerunterlagen ging, wurde Trump vom Richter gefragt, ob absolute Immunität auch beinhalte, dass ein Präsident die Ermordung seiner politischen Gegner anordnen könne. Und Trumps Anwälte sagten: "Ja, das ist die Logik unserer Argumentation." Es ist verrückt!

In der Frage, ob Trump in Colorado bei den Vorwahlen kandidieren kann, hat der Supreme Court im Sinne des Ex-Präsidenten geurteilt. Man könnte das auch so interpretieren, als wollten sich die konservativen Richter ein wenig Spielraum verschaffen, um jetzt gegen Trump zu entscheiden.

"Trump könnte trotz Verurteilung wieder Präsident werden"

tagesschau.de: Sollte der Supreme Court urteilten, dass Trump keine Immunität genießt und vielleicht sogar noch vor der Wahl verurteilt wird - was würde das bedeuten?

Miller: Dann kann er trotzdem kandidieren und zum Präsidenten gewählt werden. Es gibt nur eine Handvoll Verbrechen auf Bundesebene, die jemanden für ein öffentliches Amt disqualifizieren. Trump werden solche Dinge aber nicht zur Last gelegt.

tagesschau.de: Könnte sich Trump - im Falle seiner Wiederwahl - am Ende sogar selbst begnadigen?

Miller: Diese Frage hat sich bislang noch nicht gestellt. Darüber könnte man eine Menge akademischer Debatten führen. Aber ich würde sagen, ja.

Das Gespräch führte Peter Mücke.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. April 2024 um 14:58 Uhr.