Demokraten vor US-Wahl Planspiele ohne Biden
Nach seinem schwachen Auftritt beim TV-Duell gegen Herausforderer Trump scheint Bidens Bollwerk zu bröckeln. Innerparteiliche Zweifel am 81-Jährigen werden lauter. Doch wie könnte man Biden aus dem Rennen nehmen - und wer könnte ihn ersetzen?
Die Ausgangslage
Seit US-Präsident Joe Biden seine Bewerbung für eine erneute Kandidatur bekanntgegeben hat, war immer mal wieder sein Alter Thema. Ist der inzwischen 81-Jährige fit genug für eine weitere Amtszeit? Es blieb jedoch eine überwiegend vom Wunschdenken Einzelner getriebene theoretische Debatte, auch weil sich ernsthafte Alternativen bei den Demokraten nicht aufdrängten. Biden selbst wollte von einem Verzicht nichts wissen.
Nach Bidens desaströsem Auftritt im TV-Duell gegen den Republikaner und Ex-Präsidenten Donald Trump bekam die Diskussion aber eine neue Dynamik. Zunächst waren es US-Medien wie die New York Times, die Biden zum Verzicht aufforderten. Inzwischen aber steigt auch in den (vorderen) Reihen der Demokraten die Nervosität, und die Zweifel am Kandidaten werden lauter. Laut New York Times soll Biden selbst erstmals Zweifel an seiner Kandidatur geäußert haben, was das Weiße Haus aber umgehend dementierte. Wie gefährlich auch Bidens Team die Lage bewertet, zeigt auch das Krisentreffen von wichtigen demokratischen Gouverneuren im Weißen Haus.
Entscheidend dürften die Umfragen in den nächsten Tagen sein. In den USA spielen sie - obwohl sie wegen verschiedener Faktoren oft vergleichsweise ungenau sind - eine große Rolle. Wie aus einer aktuellen Reuters/Ipsos-Erhebung hervorging, liegt Biden in der Wählergunst auch nach seinem TV-Auftritt faktisch gleichauf. Die Umfrage zeigt weiter, dass fast alle Demokraten, die als Ersatz für Biden diskutiert werden, schlechter abschneiden könnten.
Nach Befragungen der New York Times, von CNN und Wall Street Journal verlor Biden seit der TV-Debatte jedoch signifikant an Boden. Demnach liegt der Amtsinhaber nun sechs bis acht Prozentpunkte hinter Herausforderer Trump.
Organisatorisch und formaljuristisch wäre ein Kandidatentausch in quasi letzter Minute nicht unproblematisch. Die Hürden sind also in mehrfacher Hinsicht hoch.
Stehen die Demokraten hinter ihrem Kandidaten?
Offenbar nicht mehr geschlossen. Bidens Bollwerk bröckelt, und aktuell ist nicht absehbar, ob der 81-Jährige und sein Team die Dynamik noch bremsen können. Am Dienstag rief mit Lloyd Doggett aus Texas erstmals ein Demokrat aus dem Repräsentantenhaus Biden offen dazu auf, nicht zu kandidieren. Zwar stellten sich die 20 Gouverneure nach dem Treffen im Weißen Haus hinter Biden als ihren Kandidaten, doch bleiben Zweifel. Trotz Bidens Bemühungen mehren sich die Anzeichen, dass in der Partei die Unterstützung für den Präsidenten schwindet. Der Abgeordnete Raúl Grijalva sagte der New York Times, er unterstütze Biden, solange dieser kandidiere. Biden trage jedoch Verantwortung dafür, wie es mit seinem Amt weitergehe, und ein Teil dieser Verantwortung bestehe darin, aus dem Rennen auszusteigen.
Auch ein wichtiger demokratischer Spender, Netflix-Mitbegründer Reed Hastings, forderte den Präsidenten auf, aus dem Rennen auszusteigen. "Biden muss beiseite treten, damit ein starker demokratischer Führer Trump besiegen und uns Sicherheit und Wohlstand bringen kann", sagte Hastings.
Welche Namen werden als Biden-Alternative gehandelt?
Genau das ist ein Problem der Demokraten. Es gibt keinen überzeugenden Plan B, beziehungsweise keinen Plan ohne B(iden), weil die Demokraten ausschließlich auf den 81-Jährigen gesetzt und so versäumt haben, eine Nachfolge aufzubauen. Potenzielle Kandidaten peilen eher die Präsidentschaftskandidatur 2028 an.
Rein formal würde sich Bidens Stellvertreterin im Amt, Vizepräsidentin Kamala Harris, als Ersatz aufdrängen. Die 59-Jährige würde etwa im Todesfall Bidens die Aufgaben des Staatschefs übernehmen. Es gibt jedoch keine Regel, dass eine Vizepräsidentschaftskandidatin auch die designierte Nachrückerin als Präsidentschaftsbewerberin ist.
Die Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin ist die erste Frau im Amt der Vizepräsidentin, zudem war kein Amtsinhaber vor Harris schwarz. Einige Jahre zuvor war die Juristin schon als erste Frau und erste Schwarze Generalstaatsanwältin ihres Heimatstaates Kalifornien geworden. Als Staatsanwältin hat sich Harris den Ruf erarbeitet, streng zu sein - das könnte sie im Wahlkampf, der sich um Einwanderung und Kriminalität drehen dürfte, zu ihrem Vorteil nutzen. Doch als Vizepräsidentin blieb Harris eher blass. Sie kommt auch nur auf klägliche Zustimmungswerte.
Erster Biden-Ersatz? Vizepräsidentin Kamala Harris
Ein Name, der fällt, ist Gavin Newsom. Der 56 Jahre alte Gouverneur des liberalen US-Bundesstaats Kalifornien schielt schon länger aufs Weiße Haus. In den vergangenen Monaten ist Newsom verstärkt international gereist, hat Werbung geschaltet, in der seine Leistungen angepriesen wurden, und Millionenbeträge in ein Komitee investiert, das seinen Wahlkampf unterstützt. Damit hat er Spekulationen genährt, dass er sich 2028 um die US-Präsidentschaft bewerben will - also warum nicht schon 2024? Im Wahlkampf hat er sich zum Beispiel ein TV-Duell mit dem Republikaner Ron DeSantis geliefert, als dieser noch im Rennen für die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei war. Der eloquente und gut vernetzte Newsom, einst Bürgermeister von San Francisco, hat sich nach dem Debatten-Debakel offensiv hinter Biden gestellt. Sein Name fällt bei der Frage nach einer Alternative für den 81-Jährigen - neben Harris - als Erstes. Ob er aber auch bei der konservativeren ländlichen Bevölkerung punkten könnte, ist fraglich.
Mit Ambitionen: Gavin Newsom
Auch Gretchen Whitmer, die 52 Jahre alte Gouverneurin des Bundesstaats Michigan, wird genannt. Die Juristin kann eine lange Karriere in der Politik vorweisen und zählt zum Führungszirkel der Demokratischen Partei. Bei der Präsidentenwahl 2020 war sie in der engeren Auswahl Bidens als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft. Wegen ihrer verhältnismäßig strikten Coronapolitik ist sie zum Feindbild vieler Republikaner geworden. Schlagzeilen machte auch, dass 2020 mehrere Männer festgenommen worden, die ihre Entführung geplant hatten. In ihrem Bundesstaat leben viele schwarze und arabisch-amerikanische sowie viele der Arbeiterklasse zugehörige Wähler - Bevölkerungsschichten, die Biden bislang nur mit Mühe umwerben konnte. Michigan ist einer der sogenannten Swing States, in denen weder die Demokraten noch die Republikaner mit einem klaren Sieg rechnen können und die letztlich entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahl am 5. November sind. Für die Unterstützer von Gouverneurin Whitmer ist das ein starkes Argument für eine Kandidatur der Politikerin. Whitmer selbst sagte, sie stehe im Kampf gegen Trump "zu 100 Prozent" hinter Biden.
Starke Stimme bei den Demokraten: Gretchen Whitmer
Der Gouverneur von Pennsylvania wird ebenfalls als Biden-Ersatz gehandelt. Immerhin regiert Josh Shapiro den größten der Swing States. Vor seinem Antritt als Gouverneur Anfang 2023 war Shapiro in Pennsylvania zwei Mal zum Generalstaatsanwalt gewählt worden. In diesem Amt ging er etwa gegen Purdue Pharma vor, den Produzenten des stark süchtig machenden Schmerzmittels Oxycontin. Der 51-jährige Shapiro ist ein eindringlicher Redner und ein erklärter Zentrist - beide Eigenschaften könnten ihn dazu bringen, ein Amt auf nationaler Ebene anzustreben.
Es kursieren noch weitere Namen - etwa der des Gouverneurs von Illinois, Jay B. Pritzker. Auch der Name des Gouverneurs von Maryland, Wes Moore, fällt immer wieder. Diese Demokraten sind aber national noch unbekannter als etwa Whitmer oder Newsom.
Den Finger heben könnten auch Demokraten, die Biden in den Vorwahlen 2020 besiegt hat, darunter Senator Bernie Sanders und dessen Kolleginnen Elizabeth Warren und Amy Klobuchar sowie Verkehrsminister Pete Buttigieg.
Und dann ist da noch Michelle Obama. Immer wieder gibt es Rufe, dass die einstige First Lady ins Rennen ums Weiße Haus einsteigen soll. Die beliebte Ehefrau des ehemaligen Präsidenten Barack Obama hat das immer zurückgewiesen und beteuert, daran kein Interesse zu haben. Dennoch ist die 60-Jährige für viele in der Demokratischen Partei eine Art Lichtgestalt, die das Ruder herumreißen könnte. Dass sie plötzlich ins Rennen einsteigen könnte, ist eher illusorisch und fällt in die Kategorie Wunschdenken.
Michelle Obama sähen viele gern im Weißen Haus. (Archivbild vom 7.9.2022)
Wäre es überhaupt möglich, Biden aus dem Rennen zu nehmen?
Theoretisch ja. Doch viel Zeit bleibt den Demokraten nicht mehr. Zwar haben sie ihren Präsidentschaftskandidaten noch nicht formell nominiert, das soll Mitte August bei einem Parteitag in Chicago geschehen. Allerdings hat die Partei Anfang Juni ihre Vorwahlen abgeschlossen, deren Ergebnisse die Grundlage für die Nominierung bilden. Die Vorwahlen in den 50 US-Bundesstaaten hat Biden haushoch gewonnen - was allerdings auch daran lag, dass es keinen gewichtigen Gegenkandidaten gab. Entsprechend den Vorwahlergebnissen werden die Delegierten für den Parteitag im August verteilt: Biden hat fast alle dieser etwa 3.900 Delegierten für sich gewonnen. Diese Delegierten haben zugesagt, für Biden zu votieren - eine Zusage, die natürlich nicht mehr gilt, wenn er sich zurückzieht. Sollte Biden hingegen an seiner Bewerbung festhalten, käme ein Abweichen der Delegierten von den Vorwahlresultaten einer Rebellion gleich.
In diesem Jahr kommt zudem eine Besonderheit im Nominierungsprozess der Demokraten hinzu. Üblicherweise küren die Delegierten den Präsidentschaftskandidaten beim Parteitag. Ende Mai kündigte die Partei jedoch an, dass der Kandidat schon vorher per virtueller Abstimmung gekürt werden solle. Der Termin für den virtuellen Aufruf steht noch nicht fest. Laut der US-Nachrichtenagentur Bloomberg erwägt die Parteizentrale ein Nominierungsvotum bereits am 21. Juli.
Und wenn Biden vor dem Parteitag freiwillig aussteigt?
Wenn Biden aus freien Stücken aussteigt, könnte die Partei noch kurzfristig umsatteln und einen neuen Kandidaten festlegen. Zwar hat er formal die Vorwahlen seiner Partei gewonnen, und an deren Ergebnisse sind die Delegierten beim Parteitag vorerst gebunden. Nach den Regeln der Partei wird diese Verpflichtung aber aufgehoben, falls Biden erklärt, er steige aus dem Rennen aus. Das Partei-Statut der Demokraten besagt: "Delegierte, die für den Parteitag gewählt werden und einem Präsidentschaftskandidaten verpflichtet sind, sollen nach bestem Wissen und Gewissen die Gefühle derjenigen widerspiegeln, die sie gewählt haben."
Biden könnte gesundheitliche oder familiäre Gründe geltend machen, um sich gesichtswahrend zurückzuziehen. Ohne ihn wäre der Parteitag eine "open convention", eine offene Versammlung, in der sich andere Kandidatinnen und Kandidaten präsentieren und um die Stimmen der Wahlleute werben könnten. Das hat es bei den Demokraten seit 1960 nicht mehr gegeben, als John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson auf dem Parteitag in Los Angeles um Stimmen buhlten.
Erstmals sprach ein hochrangiger Demokrat über den möglichen Ablauf nach einem Ausscheiden Bidens. Der Abgeordnete Jim Clyburn - der den Ruf eines Königsmachers bei den Demokraten genießt - sagte dem Sender CNN, es könne "Mini-Vorwahlen" geben.
Könnte es rechtliche Probleme geben?
Konservative Gruppen haben angedeutet, im gesamten Land Klagen einzureichen, falls sich Biden plötzlich aus dem Rennen zurückziehen sollte. Sie könnten die Rechtmäßigkeit der Kandidatur desjenigen anfechten, der an Bidens Stelle nominiert wird. Die auf Nominierungsfragen spezialisierte Elaine Kamarck von der Brookings Institution in Washington, die auch Mitglied des Regelungsausschusses der Demokratischen Parteiführung ist, sagte jedoch, dass sich die Gerichte stets aus politischen Vorwahlen herausgehalten haben. "Es ist verfassungsrechtlich ganz klar, dass dies in den Zuständigkeitsbereich der Partei fällt", sagte Kamarck in einem Interview vor dem Fernsehduell. "Die Nominierung von Vertretern einer politischen Partei ist Sache der politischen Partei." Voraussetzung sei, dass die Parteien dabei nicht gegen andere verfassungsmäßige Rechten verstoßen, beispielsweise das Verbot der Unterdrückung von Wählern aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit.
Wer oder was könnte Joe Biden zum Verzicht bewegen?
Viel dürfte von seinen Auftritten in den nächsten Tagen abhängen: Ein Fernsehinterview bei ABC News, Wahlkampfveranstaltungen in Wisconsin und Pennsylvania und der NATO-Gipfel kommende Woche in Washington. Wenn die Umfragewerte weiter sinken, wird der innerparteiliche Druck auf Biden steigen. Auch massiv einbrechende Wahlkampfspenden könnten das Team um Biden womöglich zum Umdenken bewegen.
Eine entscheidende Rolle dürfte auch seine Frau Jill spielen. Die Bidens sind seit fast einem halben Jahrhundert verheiratet, die 73-jährige Jill gilt als die engste Vertraute des US-Präsidenten. Nach dem Tod von Bidens erster Ehefrau und seiner Tochter bei einem Autounfall wurde sie zur Mutterfigur für Bidens Söhne, die das Unglück überlebten.
Sie stärkte ihrem Mann zuletzt demonstrativ den Rücken. "Er ist die einzige Person für den Job", sagte sie bei einem Treffen mit Geldgebern der Biden-Kampagne.
(Quelle: Reuters, dpa, afp, ap)