Bidens Rede zur Lage der Nation US-Präsident im Wahlkampfmodus
Die Rede zur Lage der Nation nutzte US-Präsident Biden, um für sich selbst zu werben. Mit Versprechen für die hart arbeitende Bevölkerung. Und mit freundlich-kritischen Worten für die "Freunde" unter den politischen Gegnern.
Wer bislang noch Zweifel hatte, ob der älteste US-Präsident aller Zeiten sich tatsächlich ein weiteres Mal in den Wahlkampf um das Weiße Haus stürzen würde, dürfte jetzt Gewissheit haben. Auch wenn Joe Biden seine erneute Kandidatur noch nicht offiziell bestätigt hat, sein meist genutzter Satz des Abends lautete: "Let's finish the job" - "Lasst uns die Arbeit zu Ende bringen."
Fragt sich nur, ob die Wählerinnen und Wähler ihn lassen. Die Zielgruppe des Präsidenten war eindeutig: Hart arbeitende Durchschnittsamerikaner, gebeutelt von hohen Benzinpreisen und teuren Lebensmitteln. Ihnen versprach Biden eine lange Liste sozialer Wohltaten: bezahlbare Kinderbetreuung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, günstigen Wohnraum.
Versprechen nahe am Alltag
Was auffällt: Biden will unbedingt nah am Alltag der Amerikaner sein. Er spricht von versteckten Kosten für Handyverträge, Flugtickets oder Konzertkarten und will für niedrigere Kreditkartengebühren sorgen. Seine Botschaft: "Ich sehe Euch, ich verstehe Euch."
Immer wieder betont er Werte wie Stolz, Würde und Respekt, die wiederhergestellt werden müssten. Und er preist seine Erfolge an: Zwölf Millionen neue Jobs in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit - mehr als bei allen seiner Vorgänger in vier Jahren. Die Arbeitslosenquote mit 3,4 Prozent so niedrig wie seit 50 Jahren nicht mehr.
Eigentlich gute Nachrichten, die aber bei seinen möglichen Wählerinnen und Wählern bislang nicht verfangen. Aktuellen Umfragen zufolge sagen 62 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner, Biden habe bislang "nicht sehr viel" beziehungsweise "wenig oder nichts" erreicht.
Die schwierige Freundschaft mit den Republikanern
Biden wurde auch nicht müde zu betonen, dass eine Zusammenarbeit von Demokraten und Republikanern sehr wohl möglich sei, allen Zynikern und Schwarzmalern zum Trotz. Ob bei der Wahlrechtsreform, der Ukraine-Hilfe oder Investitionen in die Herstellung von Mikro-Chips - mehr als 300 gemeinsame Gesetzesvorhaben habe er seit seinem Amtsantritt auf den Weg gebracht. Immer wieder dankte Biden seinen "Freunden bei den Republikanern".
Hinter ihm lächelte höflich der neue Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy. Wie brüchig dieser wiederentdeckte Wille zur Zusammenarbeit sein kann, zeigte sich vor allem beim Thema Schuldenobergrenze. Die bestimmt, wie viel Geld sich der amerikanische Staat leihen darf. Wird diese Grenze nicht bald erhöht, könnte es zu einem Zahlungsausfall der größten Volkswirtschaft der Welt kommen, mit unkalkulierbaren Folgen.
Einige seiner "republikanischen Freunde" würden dies Drohszenario nutzen, um Kürzungen bei Sozialprogrammen durchzusetzen, so der Vorwurf von Biden. Die Folge: lautstarke Buhrufe und ein offener Schlagabtausch zwischen Opposition und Amtsinhaber. Was letztgenannter aber offenbar zu genießen schien.
Fest steht: Biden ist in den kommenden zwei Jahren bei vielen Vorhaben auf die Kompromissbereitschaft der Republikaner angewiesen. Und wie stark die ausgeprägt ist, liegt nicht in seinen Händen, sondern in denen von McCarthy.
"Die Lieferkette für Amerika beginnt in Amerika"
Was bei der Amtsantrittsrede von Ex-Präsident Donald Trump noch weltweit für Entsetzen gesorgt hat, wird unter Biden zur alten und neuen Normalität: Amerika kümmert sich erstmal wieder um sich selbst.
Biden setzt trotz einer von Deutschland und anderen EU-Staaten befürchteten Abschirmung der US-Wirtschaft auf noch mehr Begünstigung für die heimische Industrie. Konkret kündigte er an, dass Baumaterialien für landesweit geförderte Infrastrukturprojekte in den USA hergestellt werden müssten. Unter seiner Aufsicht würden amerikanische Straßen, Brücken und Autobahnen mit amerikanischen Produkten gebaut. Er werde dafür sorgen, dass die Lieferkette für Amerika in Amerika beginnt - und sich dafür nicht entschuldigen.
Worte, die vor allem Robert Habeck nicht so gerne hören dürfte. Als Biden sie ausspricht, sitzt der Bundeswirtschaftsminister gerade im Flugzeug auf dem Weg nach Hause - nach einem mäßig erfolgreichen Arbeitsbesuch in Washington.
Den Fokus auf den Geldbeutel
Stand seine erste Rede zur Lage der Nation noch ganz im Zeichen des Ukraine-Kriegs, war dieses Mal für Außenpolitik nur wenig Platz: Ein Versprechen an die Ukraine, so lange zu helfen, "wie es nötig ist". Eine Ermahnung an China, nach dem Überflug des mutmaßlichen Spionageballons von weiteren Provokationen abzusehen.
Das war es. Kein Wort zu den Erdbeben in der Türkei und Syrien, nur ein paar dürre Sätze zum Klimawandel. Auch für drängende innenpolitische Diskussionen wie Waffenkontrollen, Polizeigewalt, das Recht auf Abtreibung oder die Lage an der Grenze zu Mexiko blieb nur wenig Zeit. Bidens Rede zur Lage der Nation hat gezeigt, wo der Schwerpunkt eines möglichen weiteren Wahlkampfs liegen wird: bei der Wirtschaft und dem Geldbeutel der Amerikanerinnen und Amerikaner.