US-Studentenproteste wegen Nahost "So viel puren abscheulichen Hass gesehen"
Protestcamp, Festnahmen, Politikerbesuch: Die Stimmung an der Columbia Universität in New York ist aufgeheizt. Für die Lehre wird die Auseinandersetzung über den Krieg in Gaza immer mehr zum Problem.
Mittwochnachmittag warten auf den Treppenstufen vor der Bücherei der renommierten Columbia Universität in Manhattan unzählige Studenten. Angesagt hat sich Mike Johnson, der Sprecher des US-Repräsentantenhauses.
Der jüdische Student Ben findet es super, dass der Republikaner kommt. Er ist wütend darüber, was auf dem Campus vor sich geht: Jüdische zionistische Studenten hätten in den letzten Wochen "so viel puren abscheulichen Hass" gegen sich erlebt.
Meinungen gehen auseinander
Neben Ben stehen drei Studentinnen - hören ihm zu, schütteln ihre Köpfe, wollen gehen. Und sprechen dann doch ins ARD-Mikrofon. Sie wolle als jüdische Studentin auf dem Campus etwas sagen, setzt eine von ihnen an. "Ich denke, die grundlegende Meinungsverschiedenheit besteht darüber, ob es antisemitisch ist, gegen den Krieg und seine Art zu sein."
Ihrer Meinung nach ist das ein "gefährliches und problematisches" Narrativ. "Solange wir das für antisemitisch halten, sollten die Proteste nicht stattfinden", meint sie. Aber sie glaube nicht, dass es so sei.
Nicht weit vom Protestcamp ist auf dem Campus ein Mahnmal für die israelischen Geiseln entstanden.
Uni-Präsidentin vor Kongress geladen
Seit Monaten wird auf dem Campus gegen den Gaza-Krieg protestiert. 13 Studenten und zwei Lehrkräfte wurden wegen "nicht statthaften Verhaltens" suspendiert.
Die Präsidentin der Elite-Universität, Minouche Shafik, musste sich vergangene Woche im Kongress für die Vorgänge verantworten. Die Proteste seien nicht als antijüdischer Protest gelabelt gewesen, verteidigte sie sich.
Mehr als 100 Festnahmen
Während Shafik im Kongress befragt wurde, entstand auf ihrem New Yorker Campus ein Protestcamp. Studenten bauten dort Zelte auf und hängten selbstgebastelte pro-palästinensische Plakate auf.
Binnen Stunden entschied Shafik, das Camp aus Sicherheitsgründen räumen zu lassen. US-Medien berichten, Kollegen hätten ihr davon mit Blick auf das in den USA geltende Verständnis der Meinungsfreiheit abgeraten. Am Ende gab es mehr als 100 Festnahmen.
Einen Tag später kehrten die jungen Menschen in ihr Camp zurück. So auch der deutsche Student Marlon. Auf die Proteste angesprochen sagt er, sie seien hier, weil sie israelkritisch seien - aber "antisemitisch ganz sicherlich nicht". Er sei es auch leid, diesen Vorwurf zu hören. "Und ich muss Ihnen eins sagen: Vor allem unsere jüdischen Freunde sind es leid."
Eine Gruppe jüdischer Studenten zeigt ihre Solidarität mit Gaza im Protestcamp und feiert Pessach.
Jüdischer Geldgeber legte Unterstützung auf Eis
Marlon und die anderen fordern einen Waffenstillstand, den Stopp der US-Hilfen für Israel, keine Kooperation mehr mit israelischen Universitäten und dass die Columbia Universität offenlegt, in welche - möglicherweise kriegsrelevanten - Unternehmen sie investiert.
Neben Studiengebühren und Staatsgeldern hängt die Eliteuniversität auch von Großspenden ab. Ein jüdischer Geldgeber hat seine Unterstützung vorübergehend auf Eis gelegt.
Lehrbetrieb aus Sicherheitsgründen verändert
Seit dem Wochenende hat es sowohl innerhalb als auch außerhalb des Campus Proteste gegeben. Dabei soll auch zu Hass und Gewalt aufgerufen worden sein. Eine deutsche Theologiestudentin, die anonym bleiben möchte, erzählt, vor den Campus kämen auch Leute, die gar nicht zur Columbia gehörten. "Man weiß nicht, wer da kommt und was die sagen."
Aus Sicherheitsgründen hat die Universität kurzfristig ihren Lehrbetrieb in Teilen auf Onlineunterricht umgestellt. Das findet die Deutsche schwierig: "Da ist ein Unterschied zwischen: Ich fühle mich unbequem oder ich fühle mich unsicher." Und auch sich unsicher fühlen und tatsächlich in Gefahr sein, wären zwei verschiedene Dinge.
Johnson: Jüdische Studenten nicht alleine lassen
Bei seinem Campus-Besuch versicherte Johnson gestern, dass "weder Israel noch die jüdischen Studenten allein gelassen" würden. Er war nicht der erste Politiker, der kam - in dieser unruhigen Zeit wenige Monate vor der US-Wahl.
Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, spricht an der Columbia Universität zu den Studenten.
Beide Parteien buhlen besonders um die jungen Wähler. Die angehende Theologin spricht aus, was viele Studierende darüber denken: Die Politiker würden versuchen, sich mit der einen oder anderen Seite zu profilieren.
Vorgestern Nacht sah es so aus, ob das Camp geräumt werden würde. Nun sollen bis Freitag viele der Zelte abgebaut werden. Wer nicht die Universität besucht, soll das Gelände verlassen. Die Columbia Universität teilte gestern mit, sie setzte auf Dialog und plane keine weiteren Razzien.