Rettung der Esskastanie Möglichst geduldig und schwindelfrei
Die Esskastanie prägte lange die Wälder im Nordosten Amerikas. Dann vernichtete ein Pilz einen Großteil der Bestände. Forscher versuchen nun, den Baum vor dem Aussterben zu retten. Aber das ist nicht nur eine eine Frage der Geduld.
Raus aus dem Truck, rein in den Truck, Tor auf, Tor zu: Vasiliy Lakoba hat gut zu tun an diesem sonnigen Frühlingstag, während sein schweres Fahrzeug durch die Forschungsfarm in Meadowview rumpelt. Hinter stabilen Zäunen stehen kostbare Pflanzen, die auf keinen Fall von Hirschen angeknabbert werden sollen.
Lakoba - Kappe, Vollbart, Arbeitskleidung - ist der Forschungschef der American Chestnut Foundation, einer Stiftung, die hier im Südwesten des US-Bundesstaats Virginia versucht, die Amerikanische Kastanie zu retten.
"Das war mal ein richtig großer Baum, der die Wälder im Nordosten Amerikas dominierte", erzählt Vasiliy, "mit großem Blätterdach, dicken geraden Stämme, die gutes Holz lieferten und sehr stacheligen Früchten, die in der Regel drei nahrhafte Samen enthielten. Die Esskastanien zu sammeln und in die Städte zu liefern, war ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in den Appalachen."
Esskastanien enthalten viele Vitamine und Mineralstoffe - das macht sie so nahrhaft.
Gerrettet durch das Wurzelsystem
Das änderte sich, als 1904 der asiatische Rindenpilz - vermutlich aus Japan - eingeschleppt wurde. Rasend schnell befiel und vernichtete er Milliarden von Bäumen. Ausgestorben ist die Kastanie nicht, denn das Wurzelsystem der Bäume blieb intakt.
Doch wann immer ein junger Stamm in die Höhe wächst, greift der Pilz an. Große Geschwüre, wie offene Wunden: Daran ist die Krankheit zu erkennen.
Wenn der asiatische Rindenpilz die Esskastanie befällt, muss sie schnell gefällt werden, damit sich der aggressive Pilz nicht weiter verbreitet.
Züchten und kreuzen
Seit den 1980er-Jahren versucht die Chestnut Foundation, in Virginia pilzresistente Kastanien zu züchten. Vasiliy zeigt auf einen Baum mit schlankem, glatten Stamm. Er ist der Abkömmling zweier großer überlebender Kastanien, die also den Angriff des Pilzes - warum auch immer - gut überstanden haben.
Auch der Nachwuchs wirkt gesund, obwohl an zwei Stellen der Pilz doch schon angegriffen hat. Erfolg verspricht auch die Strategie, die Amerikanische mit der Chinesischen Kastanie zu kreuzen. Der chinesische Baum sieht zwar ganz anders aus, ist aber gegen den Pilz immun.
Einsatz in luftiger Höhe
So oder so: Bäume kreuzen ist ein mühsames Handwerk, und schwindelfrei sollte man auch sein. "Man muss eine weibliche Blüte finden, und wenn sie anfängt, sich zu entwickeln, mit einer Tüte abdecken", sagt Eric Jenkins, Baumzüchter bei der Stiftung.
Dann muss man sie zum richtigen Zeitpunkt von Hand bestäuben, wieder abdecken und warten - bis zum Oktober und dann die Samen ernten.
Dritte Möglichkeit: Gentechnik. An der State University von New York wird ein Weizen-Gen ins Erbgut der Kastanie eingepflanzt, das die Widerstandskraft erheblich steigert.
Ein Sache von vielen Jahren
Auf dem riesigen Gelände in Meadowview stehen unzählige Kastanien unterschiedlichen Alters und Aussehens. Bis klar ist, welcher Baum wirklich resistent ist, vergehen Jahrzehnte. Kastanien zu retten, braucht also sehr viel Geduld und Optimismus.
Und den hat Vasiliy. Er glaube wirklich, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis es Bäume gebe, die der Krankheit widerstehen. Wie sie dann aber zurück in die Wälder gebracht werden können, das sei der nächste Schritt, und der werde weitere Jahrzehnte dauern.
Früher konnte ein Eichhörnchen angeblich die ganze US-Ostküste entlang von Kastanie zu Kastanie hüpfen, ohne je den Boden betreten zu müssen. Doch so wird es wohl nie wieder sein.