Transatlantik-Koordinator Trump hat "eine große Menge an Vordenkern"
Ein NATO-Austritt der USA drohe bei einer Wiederwahl Trumps wohl nicht, so Transatlantik-Koordinator Link. Doch hinter dem Ex-Präsidenten stehe eine breite intellektuelle Basis, die eine "America First"-Politik vorantreiben würde.
tagesschau.de: Donald Trump will säumigen NATO-Staaten nicht beistehen. Er empfiehlt Russland sogar, eventuelle Angriffspläne umzusetzen. Ist das die Linie seiner Partei der Republikaner?
Michael Georg Link: Eines muss man immer ganz klar sagen: Was Trump sagt, ist sprunghaft, unstetig, unzuverlässig. Das kann morgen auch wieder anders sein. Ich glaube auch nicht, dass er aus der NATO austritt. Das wäre ja wieder nicht typisch Trump. Er verunsichert alle durch seine Unberechenbarkeit.
Wir müssen uns aber auf ein "Worst Case Szenario" vorbereiten, bei dem Trump tatsächlich tut, was er jetzt sagt, nämlich bestimmte Verpflichtungen nicht mehr einzuhalten.
Zugleich kann die Wahl im November auch anders ausgehen. Wir dürfen Präsident Joe Biden nicht unterschätzen. Er ist ein starker Präsident und hat schon einmal gegen Trump gewonnen. Auch auf seine Wiederwahl bereiten wir uns vor.
tagesschau.de: Geht die Mehrheit der Republikaner bei Trumps Kurs mit?
Link: Der Mainstream der Republikaner will schon Stabilität. Aber man muss auch sehen, dass dieser Mainstream zurzeit politisch nicht sehr durchsetzungsfähig ist. Denn wann immer dieser Mainstream versucht, einen Deal zu machen, so wie jetzt beim Thema Immigration im US-Kongress, wird er von Trump auseinandergescheucht, wie ein Wolf eine Schafherde auseinanderscheucht.
Das ist leider eine Bestandsanalyse, die sehr nachdenklich macht. Deshalb muss man versuchen, mit so vielen Republikanern wie möglich zu sprechen, auch immer wieder gemeinsame Interessenslagen finden - beim Militär, bei der NATO, beim Thema Sicherheit, bei Handelsfragen, Investitionen, Arbeitsplätzen und diesen Dingen.
Dass wir jetzt das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreicht haben, ist zunächst einmal für uns selbst richtig. Es ist aber auch in den Gesprächen mit den Republikanern wichtig. Eine Gewähr dafür, dass die sich hinterher gegen Trump durchsetzen, ist das freilich nicht.
Breite intellektuelle Basis
tagesschau.de: Es gibt ja immer wieder die Berichte, wonach sich Leute in einem Institut zusammenfinden, die schon den Übergang vorbereiten und bei einer Wiederwahl Trumps viel schneller in der Lage wären, seine Politik durchzusetzen.
Link: Es sind mehrere Institute: das America First Policy Institute, das Centre for Renewing America und auch die Heritage Foundation. Sie schreiben Papiere.
Es gibt dort eine große, auch intellektuell leistungsfähige Basis, eine große Menge an Vordenkern im MAGA-Bereich ("Make America Great Again"). Das sind keine Neokonservativen mehr. Sie sind eher so, wie Trump teils auch selbst auftritt: Sie vertreten klare Vorgaben des Gebens und Nehmens. Es kristallisieren sich auch einige Namen heraus.
In sich stimmig ist das allerdings noch lange nicht, zwischen den verschiedenen Instituten gibt es einige Unterschiede. Deshalb müssen wir analysieren, Kontakte knüpfen, uns auf alles vorbereiten. Genau das macht die Bundesregierung schon seit Monaten.
tagesschau.de: Begegnen Sie auch Republikanern, die an einer Abkehr von Trump arbeiten?
Link: Wenn man mit Republikanern auf der Gouverneursebene oder auch auf der Senatorenebene und vor allem auch auf der Ebene der Abgeordneten in den Parlamenten der Bundesstaaten spricht, dann hört man heraus, dass zumindest hinter vorgehaltener Hand sehr wohl an die Zeit nach Trump gedacht wird. Nur enden solche Gespräche üblicherweise mit "Bitte zitieren Sie mich nicht".
Wunsch nach jüngeren Kandidaten
tagesschau.de: Was heißt das für die Aufstellung von Kandidaten?
Link: Wir sind in der komplexen Situation, dass, solange Trump kandidiert, Biden kandidiert. So lange Biden kandidiert, kandidiert Trump. Wie in einer griechischen Tragödie sind ihre Schicksalsfäden merkwürdig miteinander verknüpft. Das blockiert die Erneuerungsfähigkeit auf beiden Seiten.
Man muss die Lehre daraus ziehen, dass Demokratie immer an ihrer eigenen Erneuerungsfähigkeit arbeiten muss. Da haben die USA zwar viele Möglichkeiten, das haben sie in der Vergangenheit oft gezeigt. Aber zumindest momentan hat es erstmal in eine Art Sackgasse geführt, bei der die große Mehrheit der Bevölkerung sagt, wir hätten gerne jemand Jüngeren und trotzdem tritt kein Jüngerer an.
Einschränkungen beim Wahlrecht
tagesschau.de: Sie haben ja vor einigen Jahren die OSZE-Wahlbeobachterorganisation ODIHR geleitet. Dann verfolgen Sie sicherlich auch jetzt die Entwicklungen beim Wahlrecht in den USA. Wie würden Sie das einschätzen?
Link: Die Wahlrechtsverschärfungen durch die Reduzierung der vorzeitigen Stimmabgabe zum Beispiel in Texas sind schon sehr ernst zu nehmende Einschränkungen. Denn formal wird das Wahlrecht zwar nicht eingeschränkt. Aber dadurch, dass die Wahl an einem Arbeitstag ist und Texas jetzt massiv die Möglichkeiten zur Abstimmung am Sonntag oder überhaupt die Möglichkeit der vorzeitigen Stimmabgabe reduziert hat, macht es Arbeitnehmern aus einkommensschwächeren Bereichen, die ja in der Regel keinen Urlaub für das Wählen bekommen, sehr viel schwerer abzustimmen.
Das ist ein Schritt, den man kritisieren muss, denn die Wahrnehmung von Grundrechten sollte immer einfach sein. Das ist etwas, was man sehr genau beobachten muss. Wie üblich will die OSZE wieder Wahlbeobachter zu den US-Wahlen schicken und das halte ich auch für extrem wichtig.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de