50 Jahre Amnesty International Briefe können Menschen retten
Wenn Diktatoren Post aus aller Welt kriegen, kann das eine starke Waffe gegen Folter sein. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kämpft mit Briefen, Postkarten und E-Mails für politisch Verfolgte. Mit einem Trinkspruch auf die Freiheit fing alles an.
Von Ute Schüssler für tagesschau.de
Im Frühjahr 1961 stoßen zwei Studenten in einem Restaurant in Lissabon auf die Freiheit an. Das reicht im damaligen Portugal für eine Verhaftung, denn schon die Erwähnung dieses Wortes ist unter dem Diktator Antonio de Oliveira Salazar verboten. Peter Benenson, ein britischer Rechstanwalt, liest die Geschichte und schreibt darüber einen Bericht im Observer: "The Forgotten Prisoners". Darin fordert er die Menschen dazu auf, Briefe an die jeweiligen Regierungen zu schicken und die Freilassung von politischen Gefangenen einzufordern. Am 28. Mai 1961 erscheint sein Artikel - dieser Tag gilt als Gründungsdatum von Amnesty International. Aus seinem "Appeal for Amnesty" wird ein Jahr später die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" mit Hauptsitz in London. Peter Benenson ist von 1961 bis 1966 der erste Generalsekretär.
Öffentlichkeit als Druckmittel
Das Prinzip der Organisation ist es, Druck auf Regierungen auszuüben - durch Öffentlichkeit. Appelle und Briefe aus aller Welt sollen auch Diktatoren zeigen, dass ihre Taten beobachtet werden. In den Augen von Amnesty International ist es das wirksamste Mittel gegen Menschenrechtsverletzungen. Zentraler Grundsatz der Arbeit ist von Beginn an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit.
Amnesty International finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Aktionserlöse und Spenden. Weder die Art des politischen Systems noch die politischen Überzeugungen der Opfer sollen bei den Einsätzen eine Rolle spielen. Anfangs galt: Die jeweiligen Gruppen arbeiten niemals zu Vorgängen im eigenen Land. Heute gilt das nur noch eingeschränkt. Nach Angaben von Amnesty war es zum Beispiel afrikanischen Gruppen mit schweren Menschenrechtsverstößen im eigenen Land nicht zumutbar, sich nur um Probleme in anderen Ländern zu kümmern.
Gegen Folter und Todesstrafe
Seit 1968 kämpft die Menschenrechtsorganisation auch gegen die Folter. Wie viele Gefangene durch Amnesty vor Folter und Misshandlung bewahrt werden konnten, lässt sich schwer nachprüfen. Eine Hauptaufgabe ist es, Folter zu dokumentieren und zu veröffentlichen. Dabei ist vor allem das Internet eine gute Möglichkeit, um eine breite Öffentlichkeit zu informieren. Auf der Liste der Länder in denen gefoltert wird, stehen heute 98 Länder - darunter auch Afghanistan, Russland und Nigeria. Seit 1973 kämpft Amnesty International aktiv gegen die Todesstrafe. Als Meilenstein für den Erfolg gilt die UN-Resolution vom 18. Dezember 2007. Darin steht die Forderung nach einem weltweiten Hinrichtungsstopp. Mehrere Staaten hatten die Resolution eingebracht. Amnesty unterstützte den Antrag gemeinsam mit der "Weltkoalition gegen die Todesstrafe" und der Europäischen Union.
Die erste Eilaktion - ein voller Erfolg
Im März 1973 startet Amnesty zum ersten Mal eine so genannte "Eilaktion". Das heißt binnen weniger Stunden intervenieren möglichst viele Mitglieder aus vielen Ländern per Luftpostbrief, Fax (und heute E-Mail). Der erste Fall kommt aus Brasilien:
Der Universitätsprofessor Luiz Rossi wird am 15. Februar von der Militärpolizei in Sao Paolo festgenommen und anschließend mehrfach gefoltert. Sein "Verbrechen": Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei Brasiliens. Über einen Anwalt und einen Bischof wird Amnesty informiert und ruft am 19. März alle Mitglieder zu einer Eilaktion auf. Zwei Wochen nach dem Aufruf, so erzählt es Amnesty, wurde Rossis Ehefrau einbestellt. Die Polizeibeamten zeigen ihr stapelweise Briefe von Amnesty-Unterstützern. Der Direktor sagt: „Ihr Mann muss wichtiger sein als wir geglaubt haben, sonst hätten wir nicht all diese Briefe aus der ganzen Welt erhalten.“ Rossi wird daraufhin nicht mehr gefoltert und am 24. Oktober 1973 freigelassen.
Insgesamt hat Amnesty International in 50 Jahren etwa 15.000 politische Gefangene betreut. Nach eigenen Angaben war ein Drittel der Einsätze erfolgreich: Es wurden Freilassungen, Hafterleichterungen und Umwandlungen von Todesstrafen in Gefängnisstrafen erreicht.
Friedensnobelpreis
Im Jahr 1977 erhält Amnesty International den Friedensnobelpreis. In der Begründung heißt es, Amnesty zeichne sich durch eine klare Haltung aus: "Nein zu Gewalt, Folter und Terrorismus. Auf der anderen Seite ein Ja zur Verteidigung der Menschenwürde und Menschenrechte".
Erweitertes Mandat - bis heute umstritten
Im August 2001 beschließt Amnesty International, sich künftig auch für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte einzusetzen. Kritiker werfen Amnesty vor, das klare Ziel zu verwischen, sich in vielen kleinen Einzelaktionen aufzureiben. Außerdem sei es auf den neuen Feldern schwieriger, das Prinzip der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu wahren. Folge des erweiterten Mandats sind neue Kampagnen: 2006 übergibt die Menschenrechtsorganisation dem UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Million Unterschriften für eine strikte Kontrolle der weltweiten Rüstungsgeschäfte. 2009 startet die Kampagne "Mit Menschenrechten gegen Armut".
Vorwürfe gegen Deutschland
Amnesty International legt auch bei demokratischen Staaten den Finger in die Wunde: Im Mai 1980 gibt es ein Memorandum zur Isolationshaft in der Bundesrepublik. Darin hieß es, dass die strenge Isolation von Gefangenen in Hochsicherheitstrakten ihre körperliche und seelische Gesundheit schwer beeinträchtigen könne und in einigen Fällen auch habe. Es handelte sich vor allem um Häftlinge der Rote Armee Fraktion, die wegen politisch motivierter Gewalttaten verurteilt worden waren.
Menschenrechte für Bin Laden?
Die Menschenrechte sind für Amnesty International universell gültig. Das machte die Menschenrechtsorganisation kürzlich wieder deutlich. Die Tötung des Al-Kaida-Chefs Osama Bin Ladens durch US-Soldaten ist demnach eine klare Verletzung des Kriegsvölkerrechts. "Er hätte einem fairen Gerichtsverfahren zugeführt werden müssen", schreibt der stellvertretende Generalsekretär der deutschen Amnesty-Sektion, Wolfgang Grenz, in der Tageszeitung "taz". Die Rechtsauffassung der USA, sich in einem weltweiten bewaffneten Konflikt gegen Al Kaida zu befinden sei falsch: "Diese Auffassung sprengt den Rahmen des internationalen Kriegsvölkerrechts, das für territorial begrenzte Konflikte entworfen wurde." Auch nach 50 Jahren also gibt es genug Arbeit für die Menschenrechtsorganisation.