Hintergrund

Ultrarechte zunehmend im Abseits Wieder Zeit für einen Deal auf dem Golf-Platz

Stand: 20.01.2013 04:07 Uhr

Amerikas Wähler bemerkten es zuerst, dann die US-Medien, nun die Konservativen selbst: Der Erfolg der Teaparty war gar keiner, er kostete das Land nur Zeit. Dank Präsident Obama löst sich Republikanerchef Boehner vom Gängelband der Ultrarechten. Beide können nun wieder ihre Aufgabe angehen - wie einst an Loch 18.

Von Klaus Scherer, NDR

Wer dieser Tage Kinoclips zu Steven Spielbergs Bürgerkriegsdrama "Lincoln" sieht, mag sich einen Moment lang wundern, wie tief gespalten Amerika seinerzeit war. Hörten wir nicht seit Barack Obamas Amtsantritt beharrlich, das Land sei zerstrittener denn je?

Auch wer nach dem Tod Ted Kennedys in dessen Biografie blätterte, las staunend von Steinwürfen auf ihn im ach so liberalen Boston noch in den 70er-Jahren, weil dort schwarze Kinder fortan im selben Schulbus fahren sollten wie weiße.

Zur Person
Klaus Scherer, derzeit Reise- und Sonderreporter beim NDR, berichtete von 2007 bis 2012 als ARD-Korrespondent aus Washington.

Eigentlich wussten wir das alles, doch der inzwischen übliche Nachrichtentakt, dem der Showdown zwischen Washingtons Konservativen und Präsident Obama täglich folgt, sieht ein Maßnehmen an der Vergangenheit gewöhnlich nicht mehr vor. Dabei wäre es hilfreich, um zu erkennen, wie hilflos sich Amerikas Teaparty-Hardliner seit über vier Jahren in Sackgassen verrennen.

Besessen vom selbst auferlegten Obama-Boykott

Sklaverei wie Rassentrennung sind heute unstrittig Anachronismen. Dennoch ließen die Nutznießer sie nicht über Nacht hinter sich. Die Zeit dafür musste erst reifen, mühsam, opferreich, Rückschläge inbegriffen. Obamas Kraftakt, den USA als letztem westlichen Industrieland eine allgemeine Krankenversicherung zu verschaffen, erscheint einem da fast als Lappalie. Trotzdem verwinden Amerikas Ultrarechte sie noch immer nicht.

Besessen vom selbst auferlegten Obama-Boykott und besoffen von ihrem Pseudoerfolg bei den Parlamentsnachwahlen 2010 huldigte das rechte Lager noch den absurdesten Sarah-Palin-Kopien, obwohl schon das Original landesweit nur lächerliche Sympathiewerte erreicht hatte.

Nur einmal zuckte die Partei zusammen, als ihr Vordenker Karl Rove offen beklagte, die Teaparty stelle bereits Kandidaten auf, die "Verrücktes" redeten. Danach aber zogen alle unbeeindruckt in den nächsten Wahlkampf: Mit vorgestrigen Verhütungsdebatten, die Amerikas Frauen verprellten; mit weltfremden Anti-Steuer-Schwüren, als seien sie gerade einer Sekte beigetreten; mit einem Kandidaten Mitt Romney, der programmatisch ebenso blass blieb wie die Partei.  

Bei Durchschnittswählern längst im Abseits

Nach dem erneuten Wahldebakel räumte der republikanische Parlamentschef John Boehner ein, die Partei erreiche kaum noch Wähler, die ein wenig anders dächten. Tatsächlich blieb ihr zuletzt tendenziell nur noch die ältere, weiße, männliche Anhängerschaft.

Doch wieder folgte keine Kurskorrektur. Stattdessen ließ die Parteirechte Boehner bei einer Steuer-Probeabstimmung ins Messer laufen, obwohl der ihr weit entgegen gekommen war.

Sie trommelte kaum vermittelbare Attacken sogar gegen den Parteifreund Chuck Hagel, weil Obama ihn zu seinem Wunsch-Verteidigungsminister machte. Und seit es auch ums Allerheiligste der Republikaner geht, das Waffenrecht, beschwören Schreihälse die alte, blinde Treue gegenüber der Herstellerlobby NRA, was die Partei bei Durchschnittswählern noch weiter ins Abseits hievt.

Man sollte meinen, auch Republikaner analysierten Umfragen. Trotzdem ignorieren sie die Wahrnehmungswende, die der Grundschul-Amoklauf von Newtown ausgelöst hat. In Wahrheit ist Amerikas Mehrheit längst vom Glauben abgerückt, ihre Verfassung garantiere jedem das Recht auf militärische Sturmgewehre, Dauerfeuer aus vollen Magazinen und dazu noch bunkerbrechende Geschosse.

Teaparty zu mächtig für Boehner

Natürlich weiß auch der republikanische Verhandlungsführer Boehner das. Doch ihm fehlte bislang das loyale Personal, um die Teaparty einzubinden oder in Schach zu halten.

Seit die Rebellen ihm vor Jahren den Mega-Steuerdeal versagten, den er und Obama beim Golfspiel auf den Weg bringen wollten, war ihm jede Annäherung ans Weiße Haus verbaut. Mehrere Billionen Dollar Einsparungen hätten die Demokraten damals mitgetragen, gegen eine Billion Steuermehreinnahmen, auch wenn Obamas Sprecher vor dem Eindruck warnte, an Loch 18 seien alle Probleme schon gelöst worden.

Boehners Hausaufgaben erledigte inzwischen kein anderer als Obama selbst, indem er vor dem letzten Last-Minute-Steuer-Kompromiss namentliche Abstimmung androhte. Die Boykotteure hätten ihre Haltungsnoten dann nicht mehr nur von ihrem rechten Haussender Foxnews erhalten, sondern vom ganzen Land. Und auch das funktionierte für das Tandem Obama-Boehner erst nach langer Vorarbeit - in einem Land, das meist allein den Präsidenten für Washingtons Stillstände in Haftung nimmt.

Vor lauter Aufregung um den fiskalen Cliffhanger ging da die eigentliche, im Wortsinn bahnbrechende Nachricht nahezu unter: die nämlich, dass der Deal erstmals mit einer neuen, parteiübergreifenden Mehrheit, eben jenseits der rechten Hardliner, durch den Kongress ging.

Den Teaparty-Kraftmeiern blieb danach nur noch, sich mit einem Reine-Lehre-Streit offen zu blamieren, ob die abtrünnigen Republikaner nun einer Steuererhöhung zugestimmt hätten oder nur dem Ende eines Steuerrabatts.

Ähnlich unbeeindruckt zelebrieren die überhitzten Newskanäle weiter den Lagerkampf, samt der gewohnten Frage, ob denn Obamas Amtszeit wohl erneut vor dem Scheitern stehe, nunmehr wegen der Waffenlobby. Die muss nicht einmal erklären, womit die Regierung eigentlich all die geforderten neuen Polizisten für US-Schulen finanzieren sollte, wenn nicht aus Steuergeld.

Gutes Klima für den großen Deal

Wenn auch nicht über Nacht: Amerika hat die Widersprüche der republikanischen Rechten längst abgehakt. Die Rolle der Sperrminorität ist ausgespielt, die Steuerbremser sind selbst ausgebremst. Das neue Klima im Kapitol deutet darauf hin, dass Obama und Boehner nun wieder am großen Deal stricken können.

Verkehrte Welt: Als es galt, die Sklaverei hinter sich zu lassen, waren Lincoln und seine Mitstreiter ihrer Zeit noch voraus. Als Republikaner.