Debatte in Paris und Berlin Motiv Antisemitismus?
Nach dem Mord an einer Holocaust-Überlebenden wird nicht nur in Frankreich über Antisemitismus diskutiert. Eine Forderung: den Kampf gegen Online-Hetze zu verstärken. Hierzulande wird über religiöses Mobbing an Schulen debattiert.
Der Mord an der Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll in Paris hat über die Grenzen Frankreichs hinaus eine neue Debatte über Judenfeindlichkeit ausgelöst. Die Europäische Union und das American Jewish Committee (AJC) sprachen sich für mehr Engagement gegen Antisemitismus aus. "Die französische Justiz reagiert mit Entschlossenheit. Folgen wir alle dem Beispiel und vertreiben den Antisemitismus aus Europa", schrieb Vizekommissionschef Frans Timmermans auf Twitter.
Schritte gegen Hetze im Netz gefordert
Die Europa-Direktorin des AJC, Simone Rodan-Benzaquen, forderte von der EU neue Schritte gegen antisemitische Hetze im Internet. Online dächten viele Menschen, "dass sie sagen können, was sie wollen, ohne irgendwelche großen Konsequenzen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Situation in der virtuellen Realität stehe damit den sehr strikten Gesetzen gegen Antisemitismus in der Wirklichkeit gegenüber.
Die 85-jährige Knoll war laut einer Mitteilung des jüdischen Dachverbands am Freitag tot in ihrer ausgebrannten Wohnung in Paris aufgefunden worden. Nach einem Bericht der Zeitung "Le Parisien" waren an der teilweise verkohlten Leiche Spuren von Messerstichen gefunden worden.
Die Tür zur Wohnung der Ermordeten - ein Nachbar wurde als Verdächtiger festgenommen.
Mittlerweile nahm die französische Justiz zwei Verdächtige in Untersuchungshaft. Ihnen werde vorsätzliche Tötung aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit des Opfers zu einer Religion vorgeworfen, bestätigten Justizkreise der Deutschen Presse-Agentur.
Einer der beiden Verdächtigen war ein Nachbar der alten Dame. Der 1989 geborene Mann hatte die 85-Jährige nach Angaben ihres Sohnes gut gekannt und sie öfter besucht. Nach Polizeiangaben ist er vorbestraft.
Macron zeigt sich erschüttert
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zeigte sich entsetzt über den Fall: "Ich bestätige meine uneingeschränkte Entschlossenheit, gegen den Antisemitismus zu kämpfen", teilte Macron via Twitter mit.
Die AJC-Europa-Direktorin Rodan-Benzaquen begrüßte die Äußerungen Macrons und anderer Politiker nach dem Mord. In der Politik seien "Worte fast wie Taten", dennoch müssten mehr Taten folgen, forderte sie. Jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen müssten geschützt werden, zugleich sei klar, dass "nicht jeder einzelne Jude" beschützt werden könne.
Auch die Zivilgesellschaft müsse sich stärker engagieren. Bislang gebe es "sehr wenig Solidarität", wenn jüdische Mitbürger attackiert würden, sagte Rodan-Benzaquen mit Blick auf Frankreich und Europa. Deutschland bilde dabei "ein bisschen" eine positive Ausnahme.
Debatte über Antisemitismus an Schulen in Deutschland
Hierzulande wird derzeit über Antisemitismus an Schulen diskutiert - ausgelöst durch Berichte, wonach an einer Berliner Grundschule ein jüdisches Mädchen bedroht worden sein soll.
Nach Bekanntwerden des Falls meldete sich der Vater des Mädchens erneut zu Wort. Es gehe bei dem Vorfall nicht um Antisemitismus, sagte der 41-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es geht darum, dass Kinder aus muslimischen Elternhäusern andere Kinder verfolgen oder mobben, nur weil sie nicht an Allah glauben." Dabei sei völlig egal, ob es sich um Christen, Atheisten, Juden oder andere handele. Aber auch innerhalb der muslimischen Schülerschaft würden Kinder ausgegrenzt, weil sie beispielsweise "in die falsche Koranschule gehen".
Die Tochter des 41-Jährigen wurde nach seinen Angaben an der Paul-Simmel-Grundschule in Berlin-Tempelhof in den vergangenen Jahren mehrfach von muslimischen Schülern angepöbelt, weil sie nicht an Allah glaubt. Auch mit dem Tode sei ihr deswegen von muslimischen Mitschülern gedroht worden. Der Vater betont, dass die Mitschüler bei den ersten Beschimpfungen und Drohungen noch gar nichts davon gewusst hätten, dass ein Elternteil des Mädchens jüdischer Herkunft sei. Das spiele im Leben der Familie aber auch keine Rolle, weil sie nicht religiös seien.
Imame in Schulklassen
Als Reaktion auf die Berichte will der Zentralrat der Muslime Imame in Schulklassen schicken. "Wir stellen zunächst konkret zehn Imame bereit, die vorzugsweise mit Rabbinern in die Klassen gehen", sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek der Nachrichtenagentur AFP. Die Geistlichen sollten "für Dialog, Aufklärung und gegenseitige Achtung" werben. "Ich würde mich freuen, wenn die jüdischen Gemeinden mitmachen, dann könnten wir schon heute in Berlin beginnen und in Folge dies bundesweit ausbauen", sagte Mazyek.
Zuvor hatte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, im ZDF-Morgenmagazin von einer "Bringschuld seitens der muslimischen Verbände" gesprochen. Sie müssten ganz konkret darauf achten, was von einigen Imamen innerhalb der Moscheen gepredigt werde.
Die Berliner Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) registrierte für das Jahr 2017 an Schulen in der Hauptstadt 18 antisemitische Vorfälle. Diese reichten von Graffiti an Schultoiletten über Äußerungen von Lehrpersonal bis hin zu verbalen Drohungen und Gewalt gegen Schüler, sagte RIAS-Projektleiter Benjamin Steinitz der Nachrichtenagentur AFP. Für das Vorjahr zählte RIAS sieben Vorfälle. Steinitz geht jedoch nicht davon aus, dass die Statistiken vollständig sind. Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte für die Berliner Schulen, Saraya Gomis, geht von einer Dunkelziffer aus. "Wir haben grundsätzlich in der Gesellschaft eine Zunahme von rassistischen und antisemitischen Fällen insgesamt, das betrifft auch die Schulen", sagte Gomis.