Mann mit Kippa bei einer Demonstration.

Bundestagsbeschluss Kritik aus Israel an Antisemitismus-Resolution

Stand: 07.11.2024 14:10 Uhr

Die vom Bundestag beschlossene Resolution zum Schutz jüdischen Lebens wird ausgerechnet von israelischen Organisationen kritisiert. Denn die Sanktionierung von Kritik an Israel könnte auch sie betreffen.

Die Verhandlungen über die Resolution des deutschen Bundestags begannen gleich nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 - dauerten also mehr als ein Jahr. Der jetzt verabschiedete Antrag trägt den Titel: "Nie wieder ist jetzt - Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken." Was selbstverständlich klingt, wird ausgerechnet von einer Reihe israelischer Menschenrechtsorganisationen kritisiert.

Yudith Oppenheimer ist Direktorin von Ir Amin, einer Organisation, die sich mit der Lage in Jerusalem beschäftigt - und die sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt, also auch für einen palästinensischen Staat.

Ihre Kritik ist grundsätzlich: Die Resolution trage erstens dazu bei, "eine Atmosphäre zu schaffen, in der unsere Arbeit delegitimiert wird", sagt Oppenheimer. "Und dann hängt es an der deutschen Regierung, wie weit sie das treiben will und wie viel Druck die israelische Regierung macht, Gelder zu kürzen und Menschenrechtsorganisationen zu sanktionieren." Denn die Resolution würde es der israelischen Regierung sehr viel einfacher machen, die Arbeit der Organisationen zu beschränken.

Es geht um die Definition von Antisemitismus

Sie sei sehr dafür, Antisemitismus weltweit, auch in Deutschland, zu bekämpfen. Allerdings habe sie ein Problem mit der Definition von Antisemitismus, die dem geplanten Bundestagsbeschluss zugrunde liegt.

Die sogenannte Arbeitsdefinition der International Holocaust Rememberance Alliance legt nämlich einen starken Fokus auf Antisemitismus, der auf Israel bezogen ist. Die Organisationen, die den Brief verfasst haben, schreiben, der Bundestagsbeschluss könnte, indem er diese Definition zur Grundlage macht, gegenüber Organisationen und Personen, die Israel kritisieren, als Instrument der Zensur wirken.

Das, so sagen Vertreter dieser Organisationen, passiere bereits in Israel, wo die Regierung von Benjamin Netanyahu Menschenrechtsorganisationen, auch auf palästinensischer Seite, delegitimiert - unter anderem mit dem Vorwurf, ihre Kritik an Israel sei antisemitisch.

Sorge, dass Fördermittel gestrichen werden

In Deutschland soll, so sieht es die Resolution vor, künftig auch die Zusage von Fördermitteln an die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Rememberance Alliance geknüpft werden.

Das würde auch israelischen NGOs Probleme bereiten, sagt Jessica Montel, Direktorin von HaMoket, einer Organisation, die Rechtsbeistand für Palästinenser bietet, die unter israelischer Besatzung leben. "Die Bundesregierung unterstützt Menschenrechtsorganisationen weltweit, auch israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen. Ich verstehe, dass der Bundestagsbeschluss auch Förderentscheidungen weltweit beeinflussen würde", erklärt Montel.

Das habe potenziell große Konsequenzen: "Wir würden nicht mehr in der Lage sein, deutsche Fördermittel zu erhalten für die Arbeit einer Menschenrechtsorganisation mit der vorliegenden Beschlussvorlage", sagt Montel. Das könnte also auch Fördermittel betreffen, die HaMoket derzeit vom Hilfswerk Misereor aus Deutschland bekommt.

Könnte auch Juden in Deutschland betreffen

Montel verweist zudem darauf, dass auch in Deutschland viele Jüdinnen und Juden leben, die Israel und seine Regierung kritisieren - auch sie könnten von der Beschlussvorlage betroffen sein:

Ironischerweise würde die Beschlussvorlage Juden in Deutschland beschränken und zum Schweigen bringen. Anstatt Juden zu schützen und die Diversität jüdischen Lebens in Deutschland, wird hier nur ein spezieller Teil aus dem Spektrum geschützt. Unter dem Vorwand, Juden vor Antisemitismus zu schützen, würden Juden und Israelis in Deutschland eingeschränkt.

Beschluss zum Gedenktag der Reichspogromnacht

Oppenheimer hat noch ein ganz anderes Problem: Der Beschluss wurde kurz vor dem 9. November gefasst, dem Tag, an dem Deutschland der Reichspogromnacht gedenkt - und damit an die Ausgrenzung, die Verfolgung und den späteren Massenmord an Juden erinnert.

"Meine Eltern wurden in Deutschland geboren und sind in Nazi-Deutschland aufgewachsen. Der 9. November ist ein wichtiger Tag für meine Familie. Mein Großvater wurde am 9. November verhaftet und nach Buchenwald gebracht", sagt Oppenheimer. "Und heute fühle ich, dass meine Stimme durch den Bundestag delegitimiert werden kann. Sagt uns Deutschland jetzt, was eine legitime jüdische Stimme ist und was nicht?"

Die israelischen Organisationen fordern den Bundestag dazu auf, eine Resolution zu beschließen, die von demokratischen Prinzipien und liberalen Werten bestimmt ist - und weiterhin die Arbeit der Menschenrechtsorganisationen ermöglicht. Die Antisemitismus-Definition, die dem Entwurf zugrunde liegt, sehen sie aber als ein Instrument, das das Gegenteil erreicht.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 07. November 2024 um 14:30 Uhr.