Chinas Außenminister Qin Gang beim Lanting-Forum in Peking am 21. Februar 2023
Interview

Chinas Ukraine-Initiative "Keinesfalls ein umfassender Friedensplan"

Stand: 24.02.2023 20:34 Uhr

Ein umfassender Waffenstillstand und Deeskalation: Dies benennt China als Ziel seines Papiers zum Krieg in der Ukraine. Der China-Experte Huotari sagt dazu im Interview, China stütze damit vor allem die russische Position.

tagesschau24: Was ist von dem "Friedensplan" Chinas zu halten? Könnte er tatsächlich ein Wegbereiter zu einem Frieden sein?

Mikko Huotari: In der Theorie ist denkbar, dass es ein Baustein ist. Aber erst mal müssen wir den Fakten ins Auge schauen, dass es Chinas Positionierung für eine politische Befriedung des Konfliktes ist. Aber es ist keinesfalls ein umfassender Friedensplan oder ähnliches. In vielerlei Hinsicht ist es letztlich eine Art verdeckte Unterstützung für russische Positionen. Wenn man genau hinschaut, wird da recht klar gesagt, wen man für die Ursache dieses Konfliktes hält, nämlich "die Mentalität des Kalten Krieges" - also insbesondere die USA.

Und an vielen Stellen wird trotz einiger hilfreicher Hinweise, was man beispielsweise unterstützt, nämlich dass keine Atomwaffen eingesetzt werden sollen und ähnliches, doch klar gemacht, dass hier letztlich russische Interessen mit gesichert werden sollen.

Mikko Huotari
Zur Person

Mikko Huotari ist der Direktor des Mercator Institute for China Studies. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Chinas Außenpolitik und die chinesisch-europäischen Beziehungen. 

tagesschau24: In dem Plan ist zum Beispiel auch die Rede von territorialer Integrität aller Staaten. Darunter würde ich verstehen, dass die Ukraine ihr volles Staatsgebiet zurückbekommen müsste. Wie ist das in diesem Fall wohl gemeint?

Huotari: Das ist damit nicht so gemeint. Wenn man weiterliest, sieht man, dass hier Doppelstandards verhindert werden sollen, schreibt die chinesische Seite. Damit zielen sie auf die Frage Taiwan ab. Hier werden chinesische Interessen nach vorne gestellt. Die territoriale Integrität der Ukraine, ihre Souveränität ist nicht das oberste Ziel. Das ist ein Bezug zur UN-Charta, den man wahren muss.

Souveränität ist da das zentrale Prinzip, aber das muss abgewogen werden, so offensichtlich die Perspektive Pekings, mit den legitimen Sicherheitsinteressen Russlands. Mittelfristig würde China sich sicherlich nicht dagegen stellen, wenn es dazu käme, aber es ist nicht das oberste Prinzip für den Friedensprozess, an dessen Anfang wir, wenn überhaupt, erst stehen.

Mikko Huotari, Mercator Institute for China Studies, zu Chinas Friedensinitiative

tagesschau24 10:00 Uhr

"Es geht darum, einen Keil in den Westen zu treiben"

tagesschau24: Sie haben gesagt, China unterstütze offensichtlich die russischen Interessen. Welche eigenen Interessen verfolgt China denn mit diesem Plan?

Huotari: Dazu gehört die Unterstützung Russlands. Es ist der große Nachbar im Norden. Die Stabilität an der Grenze, die Stabilität des Regimes Putins ist wichtig für Peking - und auch die gemeinsame Positionierung in der Ablehnung der USA und dieser strategischen Auseinandersetzung, in der sich Peking sieht. Es geht auch darum, einen Keil in den Westen zu treiben, eine Blockbildung USA, EU und anderer Akteure zu verhindern.

Es geht darum, Chinas Isolation international zu vermeiden und die eigenen Positionen anknüpfungsfähig zu machen und mit dem globalen Süden beispielsweise dafür zu sorgen, dass Sanktionen nicht unilateral erhoben werden. Und am Ende des Tages geht es darum, dass China auch mit Blick auf eine mögliche Taiwankrise sicherstellen wird, dass hier keine internationale Allianz gegen vermeintliche autoritäre Staaten, so die Perspektive in Peking, geschmiedet wird.

Signal an die internationale Gemeinschaft

tagesschau24: Als in der UN-Vollversammlung die Resolution verabschiedet wurde, die den Angriffskrieg verurteilt und Russland zum Abzug seiner Truppen auffordert, hat sich China enthalten, hat aber eben auch nicht dagegen gestimmt. Was sagt das aus?

Huotari: China sieht die Vereinten Nationen als eine wichtige Plattform für die Durchsetzung der eigenen Interessen. Dass China Russland verurteilt, ist nicht Teil des Programms. Enthaltung heißt an dieser Stelle keinesfalls Unterstützung der westlichen Interessen, sondern ganz klar - und deswegen auch die gleichzeitige Publikation - den Versuch zu sagen: Hier sind wir mit unseren Positionen und daran möge man sich doch, bitteschön, auch ausrichten, soweit das möglich ist.

Es ist der Versuch, dem Westen nicht den Rücken zuzukehren und der internationalen Gemeinschaft zu signalisieren, man hat eigene Positionen - und Russland den Rücken zu stärken.

"Frage ist wichtiger, wie sich die internationale Konstellation verschiebt"

tagesschau24: Manche sagen, dass China die Lage in der Ukraine auch deshalb sehr genau beobachte, um daraus Schlüsse zu ziehen für einen möglichen Einmarsch in Taiwan. Das Stichwort Taiwan haben Sie eben schon erwähnt. Und falls das so ist: Welche Lehren dürfte China daraus nach einem Jahr schon gezogen haben?

Huotari: Das sind zunächst einmal Fragen der Entwicklung des Krieges. Konkret: Wie sehr setzt sich die russische Armee durch und mit welchen Mitteln kann sich die ukrainische Armee wehren? Da wird genau hingeschaut, ob das Schlüsse erlaubt auf die Frage, wie sehr sich China in einem Konflikt mit Taiwan durchsetzen könnte.

Aber wahrscheinlich ist derzeit die Einschätzung wichtiger, wie sich die globale Konstellation verschiebt. Hält der Westen zusammen - ja oder nein? Wie positioniert sich der globale Süden? All das sind Fragen, die auch für Peking wichtig wären mit Blick auf einen möglichen Taiwan-Konflikt. Insofern: Peking schaut sehr genau darauf. Die Frage, ob auch China sanktioniert werden könnte und in welcher Form, ob das sie hart oder weniger hart treffen könnte, ist zentral für Peking.

"Alles nutzen, wo China 'mitspielt'"

tagesschau24: Bis jetzt sieht es ja so aus, als ob der Westen zusammenhalten würde. Das haben wir vor ein paar Tagen auch gesehen, als Joe Biden in Warschau aufgetreten ist und die Einheit des Westens geradezu beschworen hat. Lässt sich daraus ableiten, wie sich China in den kommenden Wochen und Monaten auf internationalem Parkett verhalten wird in der Abwägung der eigenen Interessen?

Huotari: Ich erwarte keine große Bewegung. Ich glaube, dass die Prinzipien und die Interessenlage geklärt sind. Die Unterstützung Russlands ist ein fixer Parameter. Ich sehe wenig Kompromissfähigkeit aus der Perspektive Pekings mit Blick auf die ukrainischen und europäischen Interessen.

Der Schuldige ist gefunden - es ist "die Kalte-Kriegs-Mentalität der USA und aller, die da mitspielen". Insofern gibt es aus meiner Perspektive keine Basis, einen umfassenden Friedensprozess einzuleiten. Und noch wichtiger: Die UN haben ihren eigenen Plan vorgelegt, zu dem 141 Staaten sich bekannt haben. Und das sollte doch, wenn überhaupt, die Basis sein, Stand jetzt, fortzuschreiten.

Es bleibt notwendig, dass man alles nutzen sollte, wo China "mitspielt" - und wenn es auch nur ein kleiner Beitrag ist wie das Bekenntnis zu Stabilität, der Schutz von nuklearen Einrichtungen, möglicherweise auch der Austausch von Kriegsgefangenen und ähnliches. Aber es sollte uns nicht zur Hoffnung verleiten, dass China hier ein Akteur ist, der im ukrainischen und im europäischen Interesse agiert.

Die Fragen stellte Gerrit Derkowski, tagesschau24. Für die schriftliche Darstellung wurde das Gespräch leicht angepasst.