China und Taiwan "Ein neues Bedrohungsszenario"
Dass China bei seinem Militärmanöver in die Zwölf-Seemeilenzone um Taiwan eindringt, ist eine neue Stufe der Bedrohung, sagt die Asien-Expertin Perkuhn. Dennoch seien Pekings Mittel begrenzt, sollte es zu einem Krieg kommen.
tagesschau24: Sind die Manöver vor der Küste Taiwans womöglich tatsächlich schon eine Blaupause für einen etwaigen Angriff der Volksrepublik auf Taiwan?
Josie-Marie Perkuhn: Jede militärische Übung mit scharfer Munition soll die Fähigkeiten Chinas demonstrieren. Peking will die Bereitschaft zeigen: "Im Äußersten haben wir die militärische Macht, die Insel einzunehmen und unsere nationalen Interessen durchzusetzen." Ob das jetzt genau diese Blaupause ist, halte ich vorerst für fraglich - dafür ist die Militärübung eine zu starke Demonstration. Die chinesische Armee würde sich nicht so tief in die Karten schauen lassen wollen und militärisch zeigen, wie man eine Insel einnehmen würde.
Was wir aber sehen, ist eine Zunahme der Intensität. In die Zwölf-Meilenzone Taiwans vorzudringen, das ist neu. Auch der Einsatz scharfer Munition und die Betonung der Präzision, mit der die Raketen ihre Ziele trafen, sollen zeigen, dass hier ein neues Bedrohungsszenario aufgebaut wird.
Dr. Josie-Marie Perkuhn leitet das Projekt "Taiwan als Pionier" an der Universität Trier. Zu ihren Fachgebieten gehören die Innen- und Außenpolitik Chinas und Taiwans.
tagesschau24: Eine Attacke ist das eine, ein Land oder eine Insel einzunehmen etwas ganz anderes. Wäre China aus ihrer Sicht heute schon in der Lage, Taiwan nicht nur zu attackieren, sondern tatsächlich auch zu erobern?
Perkuhn: Eine Einnahme wäre denkbar. Die Frage ist aber: Kann man die Eroberung auch halten? Und gegen welche Widerstände? Das würde mit großen Zerstörungen einhergehen. Und die Frage ist dann, ob China etwas gewonnen hätte.
Denn dabei würden ja sehr viele Bereiche, die Peking eigentlich gerne haben möchte, verloren gehen. Wirtschaftliche Kapazitäten, vor allem die IT- und Telekommunikationsindustrie, würden verloren gehen. Genauso betroffen wäre die Halbleiterindustrie. Deshalb würde ich sagen: Die materielle Überlegenheit ist mit Sicherheit vorhanden. Ob die militärischen Möglichkeiten für eine dauerhafte Eroberung ausreichen, sehe ich eher kritisch.
Dazu kommt, dass die Bevölkerung in Taiwan sich sehr eindeutig nicht "befreien" lassen will.
tagesschau24: Wie ist es um die Landesverteidigung Taiwans bestellt?
Perkuhn: Die chinesische Armee ist der Taiwans in allen drei Militärbereichen, Land, Luft und Wasser haushoch überlegen: Wo Taiwans Luftwaffe gerade einmal 400 Kampfflieger zählt, kommt China auf ein vierfaches. Ähnlich sieht es bei der Marine aus: China kommt auf über 30 Zerstörer, Taiwan nur auf vier. Bei den U-Booten sind es über 70 zu zwei.
Das militärische Potenzial Taiwans ist also viel geringer als das der chinesischen Armee. Allerdings hat Taiwan sehr starke Unterstützung, vor allem seitens der USA. Es gibt auch enge Kontakte zu anderen Partnern in der Region. So hat etwa Japan erst im vergangenen Jahr erklärt, dass es einen Angriff auf Taiwan als einen Angriff auf ihre eigene Staatshoheit gleichkäme.
tagesschau24: Nancy Pelosi hat mit ihrem Besuch ja ganz bewusst den Blick der Welt auf diesen Konflikt gelenkt. Wo könnte und wo sollte der Westen Taiwan unterstützen?
Perkuhn: Es ist schon eine Form der Unterstützung, diesen Konflikt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Konkret sollte der Westen zeigen, dass wir diesen Schulterschluss begrüßen. Deutschland könnte die bilateralen Beziehungen ausbauen. Und wir sollten deutlich machen, dass wir die Demokratien Asiens stützen.