Nach KP-Parteitag in China "Neue Führung steht für Abschottung"
Eine weitere Amtszeit für Xi mit loyaler Gefolgschaft - der Asien-Experte Rühlig sieht im neuen Führungsteam Chinas ein Signal der Abschottung zum Westen. Das sei aber in Teilen Europas und der Wirtschaft noch nicht angekommen.
tagesschau.de: Die neue Parteiführung der KP Chinas wird international als monolithisch gewertet. Teilen Sie den Eindruck der Geschlossenheit, und wie weit gilt das für die Partei insgesamt?
Tim Rühlig: Den Eindruck, dass die neue Führung eine sehr monolithische Gruppe ist, teile ich. Wenn man Name für Name durchgeht, finden sich bei fast allen Personen in Schlüsselpositionen langjährige Verbindungen zu Xi Jinping. Man sieht gleichzeitig, dass mindestens zwei traditionelle Gesetze nicht mehr greifen, die bei der Besetzung solcher Posten immer gegolten haben. Das eine sind Altersgrenzen. Xi ist es egal, ob jemand noch verhältnismäßig jung ist oder schon die Altersgrenze erreicht hat. Er wählt nach Loyalität aus.
Und das andere ist das Prinzip der Leistung. Die Partei hat sich immer gerühmt, sie würde Kompetenz belohnen. Dies wird außer Kraft gesetzt. Das sieht man vor allem an der Benennung der neuen Nummer zwei, Li Qiang, der bislang in Shanghai tätig war und damit für die desaströsen Lockdowns in Shanghai verantwortlich gewesen ist. Das ist ein deutlicher Fingerzeig darauf, dass ihm das nicht geschadet hat, sondern dass einfach die langjährige Kooperation und Loyalität zu Xi entscheidend ist.
Ob das für die ganze Partei gilt, ist eine andere Frage. In einer Organisation von 90 Millionen Mitgliedern gibt es immer auch Kritik. Das ist normal. Aber einmal alle fünf Jahre sehen wir, wie die Machtverhältnisse sind und ob diese Kritik Kanäle findet, um an Einfluss zu gewinnen. Das ist offenbar 2022 nicht der Fall. Xi hat sich im Gegensatz zu vor fünf Jahren dieses Mal auf ganzer Linie durchgesetzt.
Dr. Tim Rühlig ist Research Fellow im Programm Technologie und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.
"Niemand, der Signal des Dialogs wäre"
tagesschau.de: Die Lockdowns haben China von der Welt isoliert, aber das Land hat auch begonnen, sich wirtschaftlich abzuschotten. Wird sich diese Tendenz auch unabhängig von Corona in den kommenden Jahren fortsetzen?
Rühlig: Das muss man befürchten. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Null-Covid-Strategie aufhört. Das haben wir zum einen aus den Kommuniques der Partei und der entsprechenden Berichterstattung der staatseigenen Presse kurz vor dem Parteitag vernommen. Aber das sieht man auch an den Personalentscheidungen: Reformer wurden in Rente geschickt oder nicht befördert.
Ich sehe keine Hinweise darauf, dass die Partei in irgendeiner Weise nach diesem Parteitag versucht, einen Brückenschlag in Richtung Westen zu machen. Die jetzt ausgewählten Mitglieder der neuen Führung scheinen mir eher für Abschottung zu stehen. Da ist niemand, der ein Signal des Dialogs und des Interesses am Ausland wäre. Insofern gibt es für mich zumindest aktuell keinen Hinweis darauf, dass China nach mehr Dialog mit dem Westen strebt.
"Kriegsgefahr ist sehr real"
tagesschau.de: Man kann diese Abschottung auch als Teil einer Vorahnung oder Vorbereitung größerer Konflikte sehen - zum Beispiel um Taiwan. Ist nach den jüngsten Warnungen von Xi Richtung Taipeh ein wie auch immer gearteter Angriff der der Volksarmee auf Taiwan noch wahrscheinlicher geworden?
Rühlig: Die Kriegsgefahr ist sehr real. Ich glaube zwar nicht, dass von diesem Parteitag eine weitere Eskalation in der Taiwan-Frage ausgeht. Xi hat das wiederholt, was er jetzt schon mehrfach gesagt hat. Aber: Das, was er bislang gesagt hat, war auch wenig beruhigend. Xi will unbedingt in seiner Amtszeit und definitiv vor dem 100-jährigen Bestehen der Volksrepublik eine Wiedervereinigung mit Taiwan erreichen. Im Idealfall natürlich friedlich. Aber es ist kein realistisches Szenario erkennbar, wie das gelingen soll.
Die Frage ist zum einen: Was ist der Zeitplan? Wir können hoffen, dass es noch möglichst lange dauert. Zum anderen müssen wir diese Zeit nutzen, um für eine effektive Abschreckung zu sorgen. Wenn Xi eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen eines militärischen Angriffs wählt, können wir den Nutzen kaum beeinflussen. Aber wir können versuchen, mit einer effektiven Abschreckung zumindest die Kosten in die Höhe zu treiben. Das betrifft weniger das Militärische als das Wirtschaftliche, denn Deutschland und Europa sind zwar kein wesentlicher militärischer Faktor im Pazifik, aber zentrale Wirtschaftspartner. Wir müssen uns auf Wirtschaftssanktionen vorbereiten und dürfen Abhängigkeiten nicht zu groß werden lassen.
"Europa ist einige Schritte zurück"
tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass diese Erkenntnis bei den Europäern schon angekommen ist?
Rühlig: Europa ist dabei dies zu verstehen. Aber in den USA ist die Erkenntnis schon sehr viel präsenter.
Die Erkenntnis, wie real die Kriegsgefahr ist, ist in den europäischen Hauptstädten noch nicht präsent genug. Zumindest orientiert sich das Handeln noch nicht genug daran. Exemplarisch ist die jüngste Debatte um den Verkauf von Anteilen an einem Hafenterminal in Hamburg: Auf der einen Seite steht eine ganze Reihe an Institutionen und Akteuren in Deutschland, inklusive sechs Ministerien, die sich gegen den Verkauf des Terminals aussprechen. Widerstände gibt es insbesondere aus dem Kanzleramt.
Insofern: Es tut sich was. Aber wir sind noch lange nicht an dem Punkt, an dem wir sein sollten, um nicht die gleichen Fehler zu machen, wie wir sie in den Beziehungen zu Russland gemacht haben.
"China ist eher Wettbewerber und Herausforderung"
tagesschau.de: Sie sprechen die Bundespolitik, insbesondere das Bundeskanzleramt an, aber auch den Hamburger Senat. Die andere Seite sind die deutschen Unternehmen. Haben Sie den Eindruck, dass letztere sich in der Situation adäquat verhalten und angemessen auf den Wandel in China einstellen?
Rühlig: Wir müssen differenzieren. Deutsche Unternehmen investieren gerade in einem Rekordausmaß in China. Diese Investitionen entfallen aber auf relativ wenige große Unternehmen wie zum Beispiel BASF. Die Breite der deutschen Wirtschaft hat begriffen, dass China jetzt nicht mehr in erster Linie Chance, sondern eher Wettbewerber und Herausforderung ist.
In bestimmten Branchen, insbesondere Chemie und Automobil, wird China weiterhin als Chance gesehen. Diese Unternehmen sehen durchaus, dass sich das Zeitfenster, in dem man große Absatzmöglichkeiten in China hat, schließt. Deutsche Autobauer hoffen heute, möglichst viele deutsche Autos auf chinesischen Straßen zu sehen. Aber bei der Elektromobilität sind deutsche Automobilhersteller nicht so gut aufgestellt. Insofern wissen sie auch, dass es in wenigen Jahren darum gehen wird, wie sie darauf reagieren, dass chinesische Elektro-Autos auf deutschen Straßen fahren.
Trotzdem wollen diese Unternehmen die paar Jahre, in denen der Verbrenner noch in China läuft, für gute Geschäfte nutzen. Ihnen geht es darum, noch den letzten Spritzer aus der Zitrone zu pressen. Diese kurzfristige Perspektive ist frustrierend. Aber zu sagen, die gesamte deutsche Wirtschaft hätte nicht erkannt, wohin die Reise geht, wäre ungerecht. Der BDI vertritt klare Positionen gegenüber China. Dort hat man erkannt, was an Herausforderungen aus China auf Deutschland zukommt.
"Scholz gibt sich für schöne Bilder her"
tagesschau.de: In Kürze reist Bundeskanzler Olaf Scholz nach China. Bei diesen Reisen ging es früher auch immer um große Verträge. Was kann so eine Reise unter den von Ihnen genannten Bedingungen bringen?
Rühlig: Grundsätzlich ist es gut, wenn es einen direkten persönlichen Austausch zwischen einem chinesischen Präsidenten und einem deutschen Bundeskanzler gibt. Den gab es in der Pandemie nur digital. Das hat dem bilateralen Verhältnis nicht gut getan, obgleich die Probleme bei weitem nicht nur kommunikativ sind.
Das Problem für mich an dieser Reise ist der Zeitpunkt. Scholz kommt kurz nach den "Krönungsfeierlichkeiten" von Xi nach Peking und gibt sich damit für schöne Bilder für den chinesischen Präsidenten her. Aus meiner Sicht hätte er etwas warten und versuchen können, im EU-Kontext ein Arbeitstreffen zu initiieren. Es wird sich zeigen müssen, welche Agenda Scholz verfolgt, wenn er in China ist. Seine Position in der Diskussion um den Hamburger Hafen und die Tatsache, dass er offenkundig wieder eine große Wirtschaftsdelegation mitnimmt, wirken wie "business as usual" und wie ein Fokus auf wirtschaftliche Kooperation. Das wäre aus meiner Sicht das falsche Signal.
Aber dass es einen Austausch auch über eine ganze Reihe an drängenden Problemen gibt, in denen China eine große Rolle spielt, vom Klimawandel über Russland, Rüstungsvorhaben und so weiter, finde ich sinnvoll. Zeitpunkt und Form stimmen mich skeptisch.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de