Nach Erdbeben in der Türkei und Syrien Ein Ausnahmezustand, der kein Ende findet
Einen Monat nach den schweren Beben in Syrien und der Türkei ist die Region von Normalität weit entfernt. Hunderttausende sind obdachlos. Insbesondere in Syrien kommt die Hilfe nach wie vor nur schleppend voran.
Sowohl in der Türkei als auch in Syrien sind die Zustände einen Monat nach den schweren Erdbeben in der Region weiter dramatisch. Nach UN-Angaben sind rund 29 Millionen Menschen in beiden Ländern betroffen.
Der Einsatzleiter der Syrien-Mission der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, Jassir Kamalidin, sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf den Nordwesten Syriens: "Es ist immer noch chaotisch. Wir sind immer noch in der Phase, den Bedürfnissen hinterherzulaufen."
Am 6. Februar hatten zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,6 die Südosttürkei und den Nordwesten Syriens erschüttert. Es folgten etliche Nachbeben. Insgesamt wurden bisher mehr als 50.000 Todesopfer gemeldet.
Allein im Nordosten Syriens 11.000 Obdachlose
Die derzeitige Hilfe für die Betroffenen sei "komplett unverhältnismäßig zu den Erfordernissen vor Ort", so der Syrien-Experte Kamalidin von Ärzte ohne Grenzen. Schätzungsweise 11.000 Menschen wurden im Nordwesten des Landes durch die Beben obdachlos. Viele von ihnen versuchten nun, in den schon bestehenden Camps für Geflüchtete unterzukommen, so Kamalidin.
Die Zustände im der Region waren wegen des Bürgerkriegs schon vor den Beben katastrophal. Vorher lebten in der Region 2,9 Millionen Vertriebene, davon 1,8 Millionen in Lagern.
Der Nordwesten Syriens ist vom Rest des Landes nahezu komplett abgeschnitten. Internationale Hilfe gelangte vor den Beben nur über einen Grenzübergang in die von Rebellen kontrollierten Gebiete, vorübergehend sind es insgesamt drei Übergänge. Bisher schafften es seit den Beben etwa 580 Lastwagen in die Gegend.
Cholera grassierte schon vor den Beben
Das Kinderhilfswerk UNICEF sieht sowohl in Syrien als auch in der Türkei Millionen Kinder von Krankheiten und Kälte bedroht. Verschmutztes Wasser und unzureichende Hygiene in überfüllten Notunterkünften könnten zu lebensgefährlichen Durchfallerkrankungen führen, erklärte UNICEF am Freitag. Nach zwölf Jahren Bürgerkrieg seien die Kinder in Syrien einer verheerenden Kombination von Gefahren ausgesetzt und benötigten langfristige Hilfe.
Eine erste Bestandsaufnahme habe starke Schäden an der kritischen Wasserinfrastruktur in den Provinzen Lattakia, Idlib, Hama und Aleppo ergeben, hieß es zudem von UNICEF. Zahlreiche Wasserwerke, Wassertürme, Leitungen und Reservoirs seien beschädigt oder zerstört worden. Wo noch Wasser fließe, sei dieses zum Teil verschmutzt, weil die Klärwerke nicht mehr richtig funktionierten. Im Nordwesten Syriens sei die Cholera bereits vor dem Beben verbreitet gewesen.
Schon vor der Naturkatastrophe Anfang Februar seien 70 Prozent der Menschen in Syrien auf humanitäre Hilfe angewiesen gewesen, erklärte das Hilfswerk weiter. Das Erdbeben habe Tod und Zerstörung über eine durch zwölf Jahre Krieg traumatisierte Generation von Kindern gebracht, sagte UNICEF-Geschäftsführer Christian Schneider.
Türkei: Ermittlungen gegen 768 Verdächtige
In der Türkei wurden nach Regierungsangaben mehr als 200.000 Gebäude durch die Beben zerstört - laut türkischer Architektenkammer waren etwa 50 Prozent der eingestürzten Gebäude nach 2001 erbaut worden. In dem Land gelten seit mehr als 20 Jahren scharfe Bauvorschriften mit Blick auf die Erdbebensicherheit. Als ein Grund für die große Zerstörung gilt aber etwa, dass diese nicht eingehalten wurden und durch Pfusch am Bau und Korruption umgangen wurden.
In Zusammenhang leiteten die Behörden - Stand Freitag - Ermittlungen gegen 768 Verdächtige ein. 237 Menschen seien verhaftet worden, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Unter den Verdächtigen sind den Angaben zufolge vor allem Bauunternehmen und auch der Bürgermeister der stark zerstörten Gemeinde Nurdagi. Kritiker monieren, dass die Ermittlungen auf politischer Ebene bisher kaum Kreise gezogen haben und niemanden das Amt gekostet haben.