Erdbeben in der Türkei und Syrien Tausende Tote, Tausende Verletzte
Nach den heftigen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet werden immer mehr Todesopfer geborgen. Die Suche nach Überlebenden geht unter schwierigen Bedingungen weiter. Internationale Hilfe ist angelaufen.
Nach einer der schwersten Erdbebenkatastrophen der letzten Jahrzehnte sind in der Südtürkei und Nordsyrien mehrere Tausend Tote zu befürchten. Die Zahl der Opfer wurde bis zum frühen Abend mit mindestens 2500 angegeben. Das tatsächliche Ausmaß ist noch nicht absehbar, da wohl noch Hunderte Menschen verschüttet sind.
Dem türkischen Katastrophendienst Afad zufolge hatte das Hauptbeben am Morgen mit Epizentrum im südtürkischen Kahramanmaras eine Stärke von 7,7. Mittags erschütterte ein Beben der Stärke 7,5 dieselbe Region, wie in Istanbul die Erdbebenwarte Kandilli meldete. Auch im Libanon und im Irak bebte die Erde, ebenso auf der nahe gelegenen Mittelmeerinsel Zypern.
Erdogan: Schwersten Beben seit 1939
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach vom schwersten Beben seit 1939. Nach Angaben von EU-Vertretern war es eines der stärksten in der Region in mehr als 100 Jahren.
Rettungskräfte und Anwohner suchen verzweifelt nach Überlebenden unter den Trümmern. Es werden noch zahlreiche Menschen in den zerstörten Gebäuden vermutet. Die Zahl der Opfer steigt stetig an. In der Türkei wurden nach offiziellen Angaben vom Abend bislang mindestens 1600 Todesopfer registriert. Zudem wurden Tausende Menschen im Katastrophengebiet verletzt.
Auf der syrischen Seite der Grenze erschütterte das Beben auch Regionen, die von Rebellen kontrolliert werden. Dort leben etwa vier Millionen Menschen, die wegen des Bürgerkriegs aus anderen Teilen des Landes vertrieben wurden. Aus diesen Gebieten gibt es keine Angaben der syrischen Regierung, wohl aber von Rettungskräften. Insgesamt liegt die Zahl der Todesopfer auch in Syrien nach Angaben der Regierung und von Rettungskräften im vierstelligen Bereich.
Rettungseinsatz in Syrien erschwert
Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete ist die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies erschwere die Hilfsmöglichkeiten, berichtet ARD-Korrespondent Ramin Sina. Hier sei die Rettungsorganisation Weißhelme im Einsatz. Die syrische Regierung biete keine Hilfe an, erklärt Sina. Die Krankenhäuser seien überfüllt, nicht für alle Verletzten gebe es Platz. Den Bedarf an medizinischer Versorgung könnten die Ärzte bei weitem nicht decken.
Tausende Gebäude eingestürzt
Tausende Gebäude in der Türkei stürzten ein. Aus Angst vor Nachbeben wollen Millionen Menschen die Nacht trotz winterlicher Temperaturen im Freien verbringen. Auch in Syrien sind zahlreiche Gebäude vollständig eingestürzt oder teilweise zerstört worden.
Die syrische Regierung rief die internationale Staatengemeinschaft zur Hilfe auf. Das Außenministerium in Damaskus richtete seinen Appell an die UN-Mitgliedsstaaten und internationale Hilfsorganisationen, um die Bemühungen "zur Bewältigung dieser menschlichen Katastrophe" zu unterstützen, berichtete die Staatsagentur SANA.
Internationale Hilfe auf dem Weg
Die internationale Hilfe ist angelaufen. Die NATO-Mitglieder seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren, teilte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf Twitter mit.
Die Türkei - selbst NATO-Mitglied - hat bereits eine Aufstellung an die NATO-Bündniszentrale weitergeleitet. Demnach brauchte sie medizinische Nothilfeteams, notfallmedizinische Ausrüstung sowie Such- und Rettungsteams, die auch unter schweren Bedingungen arbeiten können. Konkret werden zudem drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung genannt.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich "zutiefst traurig" über die Katastrophe. Die Vereinten Nationen stünden bereit, um Nothilfe zu leisten.
EU-Rettungsteams auf dem Weg
Zehn Such- und Rettungsteams seien bereits von der Europäischen Union entsandt worden, erklärte der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic auf Twitter. Zur Unterstützung wurde auch der Copernicus-Satellitendienst der EU aktiviert. Mit dessen Daten können unter anderem Lagekarten erstellt werden, die ein detailliertes Ausmaß der Schäden zeigen.
Die Bundesregierung will ebenfalls Hilfe schicken. "Das Technische Hilfswerk kann Camps mit Notunterkünften und Wasseraufbereitungseinheiten bereitstellen", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Auch Hilfslieferungen mit Notstromaggregaten, Zelten und Decken bereite das THW bereits vor. Ein Krisenstab im Auswärtigen Amt soll über die Koordinierung beraten.
Botschafter dankt für "Welle der Solidarität der Deutschen"
Der türkische Botschafter in Berlin, Ahmet Basar Sen, dankte "für die immense Welle der Solidarität der Deutschen". Er sei im engen Austausch mit der Bundespolizei, dem Innen- und Außenministerium und dem Kanzleramt, erklärte der Botschafter. "Die gewaltige Erdbebenkatastrophe, die heute unser Land getroffen hat, erfüllt sowohl die Türkei als auch unsere Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland leben, mit großer Trauer", sagte er. "Seit den frühen Morgenstunden befinden sich sowohl unsere Botschaft in Berlin als auch unsere Generalkonsulate in Deutschland im Ausnahmezustand."
Biden: "Jede notwendige Hilfe leisten"
Auch die USA boten ihre Hilfe an. "Ich bin zutiefst traurig über den Verlust an Menschenleben und die Zerstörung durch das Erdbeben in der Türkei und in Syrien", erklärte US-Präsident Joe Biden auf Twitter. "Ich habe mein Team angewiesen, die Situation in Koordination mit der Türkei weiterhin genau zu beobachten und jede notwendige Hilfe zu leisten."
Nach Angaben von Außenminister Antony Blinken ist die erste Unterstützung aus den USA für die Türkei bereits unterwegs. In Syrien seien zudem humanitäre Organisationen im Einsatz, die von den USA unterstützt würden, heißt es in einer Erklärung.
Auch Russland sagte beiden Ländern Hilfe zu. Rettungskräfte vom russischen Zivilschutz sollten nach Syrien geflogen werden, teilte der Kreml am Nachmittag mit. Präsident Wladimir Putin habe bereits mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar al-Assad telefoniert.
Auch Griechenland bietet Hilfe an
Insgesamt boten 45 Länder der Türkei Unterstützung an, teilte Präsident Erdogan mit. Darunter auch Griechenland. "Im Namen des griechischen Volkes habe ich mein tief empfundenes Beileid ausgesprochen", twitterte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis nach dem Telefongespräch mit dem türkischen Präsidenten. Athen sei bereit weitere Hilfe zu leisten, fügte er hinzu. Wie es aus Mitsotakis Büro hieß, habe sich Erdogan bedankt.
Es war der erste direkte Kontakt zwischen Erdogan und Mitsotakis seit Monaten. Der türkische Präsident hatte vor fast zehn Monaten erklärt, er werde nicht mehr mit Mitsotakis reden. Hintergrund waren schwere Spannungen zwischen den beiden Nachbarstaaten im östlichen Mittelmeer