Ein Junge steht auf einem Boot, das auf dem ausgetrockneten Boden des Marschgebiets im Südirak liegt
Weltspiegel

Marschland im Irak Ein Welterbe vertrocknet

Stand: 12.03.2023 02:03 Uhr

Das fruchtbare Marschland des Südirak könnte sich bald in Wüste verwandeln. Denn es herrscht die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten. Die Lebensweise der Bewohner der Sümpfe wäre dann vorbei.

Als die Sonne aufgeht, setzen sich die Wasserbüffel in Bewegung. Mehr als 50 Tiere treibt Abu Jassim mit einem Holzstock in Richtung Wasser, weil es dort kühler ist. Abu Jassim, ein dünner Mann mit dichtem schwarzen Bart, ist es wichtig, dass es seinen Wasserbüffeln gut geht.

Er lebt von der Viehzucht, die Büffelmilch ist die einzige Einkommensquelle seiner Familie. Mit seiner Frau Umm Jassim und seinen Kindern wohnt er im Süden des Irak in einem riesigen Sumpfgebiet, dem Marschland in der Nähe von Basra.

Doch der Lebensraum von Mensch und Tier ist bedroht, die Sümpfe verlieren an Wasser. "Im November ging es noch dorthin, wo ich gerade stehe", sagt Abu Jassim und deutet auf den vertrockneten Boden. Im vergangenen Jahr aber habe es nur zweimal geregnet.

Monat für Monat verliere das Gebiet an Wasser, erzählt er. Er fühlt vor allem mit seinen Tieren. "In ein paar Wochen werden die Büffel ihre Jungen zur Welt bringen. Dann gibt es vielleicht kein Wasser mehr. Dabei trinken Kälber doch noch mehr als die älteren Büffel." Er habe wenig Hoffnung, sagt Abu Jassim.

Marschland im Irak von Trockenheit durch Klimawandel bedroht

Ramin Sina, ARD Kairo, Weltspiegel 18:30 Uhr

Nur noch ein Viertel des Fischfangs

Seit Jahrtausenden leben die Menschen im irakischen Marschland im Einklang mit der Natur, zwischen den Schilfrohren, mit Hunderten Vogelarten und Wasserbüffeln. Es wird auch das Venedig des Mittleren Ostens genannt. Hier fließen die Flüsse Euphrat und Tigris zusammen. Wer keine Büffel besitzt, fängt Fische.

Azad Abboud, Mitte 50, tauschte sie früher auf dem lokalen Markt für andere Lebensmittel ein. Doch nun ist sein Netz oft leer, es gibt nur noch wenige Meeräschen. "Früher haben wir bis zu 100 Kilogramm rausgeholt, jetzt schaffen wir kaum 25 Kilo, und die nur unter großem Aufwand. Aber wo sollen wir hin? Unser Leben ist hier. Das Leben unserer Vorfahren war schon hier."

Düstere Prognose

Ein UNESCO-Welterbe vertrocknet. Lokale Umweltschützer wie Raad Habib al-Asadi messen wöchentlich die Beschaffenheit des Bodens, beobachten die Wasserstände. Al-Asadi deutet auf sein Notizbuch, die Zahlen seien alarmierend. Hohe Temperaturen um die 50 Grad im Sommer seien sie gewöhnt, aber solch eine Dürre habe es seit 40 Jahren nicht mehr gegeben, analysiert al-Asadi.

Seine Prognose ist düster. Er fürchtet, dass sich das Marschland bald in eine Wüste verwandelt. "Es liegt am Klimawandel. Kaum Regen, dazu die steigenden Temperaturen. Das Marschland kriegt den Treibhauseffekt voll ab."

Nicht nur die Quantität, auch die Qualität des Wassers nimmt ab. Es ist schmutzig. Iraker im ganzen Land lassen täglich fünf Millionen Kubikmeter Abwasser in die Zuflüsse des Tigris laufen. Das sorgt für Krankheiten. Zudem ist durch die Trockenheit der Salzgehalt in den Sümpfen gestiegen, was wiederum den Büffeln schadet. Desalinierungsanlagen können sich die Menschen in dieser ärmeren Region nicht leisten.

Wasserbüffel im Marschgebiet des Südirak

Seit Jahrtausenden leben die Menschen im irakischen Marschland, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen, mit ihren Wasserbüffeln.

"Unsere Kultur stirbt aus"

Es brauche mehr Hilfe aus Bagdad von der Regierung, so die einhellige Meinung der lokalen Führer. Immer am Abend treffen sich die Männer des Stammes Beni Assad in einem Mudhif, einem traditionellen Gemeinschaftsraum, komplett aus Schilf gebaut. 30, 40 Mann sitzen auf Teppichen, spielen mit ihren Gebetsketten und diskutieren bei einer Tasse arabischen Kaffees die Schwierigkeiten der Gemeinde. Sie sind schiitischen Glaubens, an der Wand hängen Fotos von Geistlichen.

Die Älteren erinnern an frühere Zeiten. Einst ließ der sunnitische Herrscher Saddam Hussein Dämme bauen, um die Sümpfe trockenzulegen. In seinen Augen war das Marschland nur ein Rückzugsgebiet für Aufständische. Heute bereiten andere Mächte Sorgen.

"Die Türkei blockiert den Wasserfluss zu uns und baut die Dämme", beklagt sich Basher al-Batan. Sein Nebenmann, Mustafa Saeed, erklärt: "Wir, die jüngere Generation, machen uns große Sorgen. Wenn das Marschland austrocknet, stirbt auch unsere Kultur aus."

Ein Mann sitzt am Eingang eines traditionellen, Mudhif gennanten Gebäudes aus Schilf

Mudhifs sind traditionelle Gemeinschaftsräume, die komplett aus Schilf gebaut sind.

Arbeit sonst nur in der Ölindustrie

Davor, vor allem auch vor einem Umzug, fürchtet sich auch Abu Jassim. Er liebt das Leben auf dem Wasser, sitzt auf einem schmalen Boot, eine Zigarette in der Hand und lächelt. Mit seinem ältesten Sohn hat er auf dem Festland Büffelmilch verkauft und Futter für die Tiere besorgt. Nun sind sie auf dem Heimweg. Der Sohn würde gerne die Tradition seiner Eltern fortführen, aber jedes Mal Frischwasser und Futter anzuschleppen, sei mühsam, vor allem aber teuer.

Auf Dauer kann sich die Familie das nicht leisten. "Nicht nur ich, alle werden gehen. Vielleicht findest du hier bald niemanden mehr", ruft Abu Jassim seinem Ältesten zu. Ihre einzige Chance auf einen Job in der Region wäre dann weiter flussabwärts: die Ölindustrie. Eine ganz andere Welt für die Menschen aus den Sümpfen.

Die Reportage zum Thema sehen Sie im Weltspiegel - am Sonntag um 18:30 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 12. März 2023 um 18:30 Uhr in der Sendung "Weltspiegel".