Fußball-WM in Katar Niederlage für das iranische Regime
Irans Regierung wollte mit der WM in Katar Sympathien zurückgewinnen. Dass es dafür einen Propagandaplan gab, wird immer deutlicher. Er scheint aber nicht aufgegangen zu sein - was nicht nur am Vorrunden-Aus der Iraner liegt.
Wochen vor Beginn der Fußball-WM gibt es eine Sitzung der mächtigen iranischen Revolutionsgarden zum Auftritt in Katar - so zumindest stellt es die Hackergruppe "Black Reward" dar. Sie veröffentlicht eine Tonaufnahme, die angeblich daraus stammen soll. Sie legt nahe, dass das iranische Regime einen Propagandaplan für die WM erarbeitet hat.
Demnach sagt Katar zu, alle regimekritischen Kundgebungen, Äußerungen oder Symbole zu unterbinden. Außerdem liefert die Regierung in Doha Listen von Iranerinnen und Iranern, die Tickets für die Spiele gekauft haben - und verspricht: Oppositionelle, die Teheran nicht im Stadion sehen will, bleiben draußen. Dagegen will man 5000 regimetreue Fans kostenlos nach Katar schicken, um für die richtige Stimmung im und um das Stadion zu sorgen. Später werden iranische Beamte der Sicherheitsorgane als Fußballfans in Katar identifiziert.
Ein weiterer Baustein des Propagandaplans scheint die Nationalmannschaft mit dem Spitznamen "Team Melli" selbst. Vor dem Abflug zur WM posiert sie beim ultrakonservativen Präsidenten Ebrahim Raisi. Danach bekommt sie von Demonstrantinnen und Demonstranten einen neuen Spitznamen: "Team Mulla".
Straßen zurückerobert?
Die Spieler haben ihre Sympathien bei ihnen verspielt. Das ändert sich auch nicht, als sie beim Auftaktspiel gegen England bei der Nationalhymne schweigen - aus Solidarität mit den Protesten zu Hause. Im Gegenteil: Die Menschen im Iran feiern die satte 2:6-Niederlage. Ein Teheraner erzählt: "Als der Iran die ersten Tore kassiert hat, habe ich überall in unserem Viertel Hupen und Tröten gehört, und nach dem Spiel ist das so weitergegangen."
Auf der Tribüne im Stadion sind Flaggen und T-Shirts mit einer Hauptparole der Proteste zu sehen: "Frauen - Leben - Freiheit". Der Propagandaplan des Regimes scheint nicht zu funktionieren - noch nicht. Wenige Tage später zeigt sich ein anderes Bild auf dem Rasen. Die iranischen Spieler singen beim Spiel gegen Wales die Nationalhymne mit. Der Iran gewinnt gegen Wales mit 2:0.
Zu Hause feiern diesmal die Fans - und die, die sich seit Beginn der Proteste nicht mehr raustrauen. Sie haben sich die Straße für diese Nacht zurückerobert, meint ein Teheraner, der in der Stadt unterwegs ist: "Es sind nicht viele, die da offenbar ihren Frust rauslassen", sagt er. Sie versuchten aber, Stimmung zu machen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. "Dieser Sieg ist wohl eine Niederlage für alle Menschen, die die letzten Monate auf den Straßen waren - und ein Sieg für die iranische Regierung. Das sollten wir akzeptieren."
Erzfeind am Ende der Vorrunde
Am Ende der Vorrunde steht der wichtigste Gegner - der Erzfeind des Regimes: die USA. Im Iran läuft die Propaganda-Maschinerie. "Nieder mit Amerika" - die Parole ist Pflicht bei Pro-Regime-Demonstrationen im Iran. Diesmal rufen sie Spezialkräfte der mächtigen Revolutionsgarden. Sie gehören zu denen, die in diesen Tagen auf den Straßen im Land brutal gegen Demonstrantinnen und Demonstranten vorgehen.
Vor ihnen sitzt der oberste religiöse Führer, Ayatollah Ali Chamenei: "Das Problem sind nicht ein paar Krawallmacher auf der Straße - auch, wenn jeder Krawallmacher, jeder Terrorist bestraft werden muss", sagt er. Das Schlachtfeld sei viel größer. "Der Hauptfeind ist die globale Arroganz." Als "globale Arroganz" bezeichnet das Regime die Vereinigten Staaten. Die würden mit hinter den Protesten der letzten Monate stecken.
Der Druck auf die iranischen Nationalspieler vor dem großen Spiel steigt - und auf ihre Familien, berichtet der US-Fernsehsender CNN im Vorfeld. Teheran habe ihnen mit Gefängnis und Folter gedroht, "wenn sich die Mannschaft nicht benimmt", zitiert CNN eine anonyme Quelle.
Gewalt nimmt nicht ab
Die iranische Mannschaft hält sich an die politischen Vorgaben - aber sie verliert. Der Iran ist raus, der Propagandafeldzug zu Ende. Die wirkliche Niederlage aber kassiert das Regime in Teheran. Die Sieger sind nicht nur das US-Nationalteam, sondern auch die iranischen Demonstrantinnen und Demonstranten und die Opposition.
"Hier schreien die Menschen die ganze Zeit: 'Amerika, Amerika!'", erzählt ein Mann bestens gelaunt in einer Sprachnachricht aus dem Iran. Das Kontrastprogramm findet an diesem Abend in einem Teheraner Fußballstadion statt. Da verfolgen Fans das Spiel gegen die USA auf Großbildschirmen mit. Ein Fußballfan erklärt nach der Niederlage: "Wir gratulieren der amerikanischen Mannschaft. Sie haben sich bemüht und wirklich fair gespielt."
Selten sind solche versöhnlichen Töne in diesen Stunden im Iran zu hören. Die Gewalt auf den Straßen nimmt in all den Tagen nicht ab, vor allem nicht in den Kurdengebieten im Nordwesten.
Mögliche Konsequenzen für Sportler unklar
Am Tag nach der Niederlage kommt die Nationalmannschaft zurück in den Iran. Das Team des ARD-Studios Teheran fragt Sardar Azmoun, der in der Bundesliga für Leverkusen spielt, wie er die WM in Katar erlebt hat. Da streicht er sich über den Bart und überlegt seine Antwort sehr genau: "Es war nicht gut, das muss ich ehrlich sagen. Es war für uns wirklich schwer."
Ein Mann neben ihm - vermutlich einer der Aufpasser, die iranische Sportler bei internationalen Wettbewerben begleiten - macht Druck, weiterzugehen. Ob der gescheiterte Propagandaplan für ihn, seine Mannschaftskameraden und ihre Familien Konsequenzen hat, ist bis jetzt nicht bekannt.
Für das Regime hat es das. Oppositionelle bemessen dem politisch große Bedeutung bei. Für sie ist klar: Die Feinde Teherans sind nicht die Feinde der Iranerinnen und Iraner. Sie wollen demnach diese jahrzehntelang gepflegte US-Feindschaft nicht mehr. Damit wackelt aus ihrer Sicht - nach der Kopftuchpflicht - ein weiterer Grundpfeiler der islamischen Republik.