Waffenruhe in Gaza "Ein sehr störanfälliges Abkommen"
Könnte die Einigung zwischen Israel und der terroristischen Hamas wieder wackeln? Nahost-Expertin Asseburg verweist auf noch ungeklärte Fragen in dem Abkommen, sieht aber auch große Chancen - für beide Seiten.
tagesschau24: Auch wenn nach wie vor Bewegung drin ist - wie bewerten Sie die Einigung, die jetzt auf dem Tisch liegt?
Muriel Asseburg: Die Einigung war tatsächlich überfällig, weil sie endlich das grausame Schicksal der Geiseln und diesen furchtbaren Krieg im Gazastreifen beenden kann.
Das ist an sich schon mal ein Wert. Das Abkommen bietet auch die Möglichkeit, dass endlich in ausreichendem Maße humanitäre Hilfe in den Gazastreifen kommen kann.
Aber das Abkommen hat auch sehr viele ungeklärte Fragen, insbesondere in Bezug auf die Phase zwei und die Phase drei. Und es ist über einen sehr langen Zeitraum gestreckt und kann dadurch sehr störanfällig sein.
Einbeziehung der Hamas
tagesschau24: Das erklärte Ziel von Regierungschef Benjamin Netanjahu, die Hamas auszuschalten, hat die israelische Regierung nicht erreicht. Was bedeutet das?
Asseburg: Das bedeutet, dass die Hamas nach wie vor da ist. Sie bleibt ein Veto-Akteur. Sie muss in Gespräche einbezogen werden, das sehen wir bei den jetzigen Verhandlungen und das werden wir auch bei den nächsten Schritten sehen.
Auch wenn die Hamas sehr geschwächt ist und nach dem 7. Oktober einiges an regionaler Unterstützung verloren hat, und auch wenn sie in der eigenen Bevölkerung - insbesondere im Gazastreifen - in der Kritik steht: Sie ist noch da und muss letztlich auch ihr Plazet zu einem künftigen Arrangement für den Wiederaufbau geben und für die Frage der Regierungsführung im Gazastreifen.
Kooperation der US-Regierungen
tagesschau24: Der Plan für die Einigung lag im Grunde seit Frühjahr vergangenen Jahres auf dem Tisch. Der bisherige und der neue US-Präsident haben da offenbar zusammengearbeitet. Welche Rolle haben die beiden gespielt?
Asseburg: Hier ging es um eine Art Kooperation. Zwischen dem Biden-Team auf der einen Seite, das über Monate hinweg mit beiden Seiten ausgelotet hat, wie ein Deal aussehen könnte, aber nicht in ausreichendem Maße Druck auf die Konfliktparteien ausgeübt hat - und der neuen US-Regierung, die diesen Druck tatsächlich aufgebaut hat.
Der künftige Präsident Donald Trump etwa hat seinen designierten Nahostbeauftragten entsandt, um gemeinsam diese Verhandlungen zu führen und insbesondere gegenüber der israelischen Regierung noch mal ganz stark die Daumenschrauben anzuziehen und klar zu machen: Dieser Deal soll jetzt passieren, bevor Trump sein Amt antritt.
Was wir jetzt nach der ersten Verlautbarung der Einigung sehen, sind Bemühungen, sich zu rechtfertigen, auch im innenpolitischen Kontext in Israel. Um klar zu machen, dass Regierungschef Netanjahu nicht leichtfertig zugestimmt hat.
Viele Einfallstore
tagesschau24: Es gibt ja auch weiter Angriffe. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich beide Seiten - wenn die Einigung denn dann kommt - an den vereinbarten Fahrplan halten?
Asseburg: Es ist ein sehr störanfälliges Abkommen. Es gibt sehr viele Einfallstore dafür, dass man bei der ersten Phase stehen bleibt. Gleichzeitig hat man versucht, das Abkommen so zu stricken, dass beide Seiten Interesse daran haben, auch in Phase zwei und Phase drei überzugehen.
Ob das gelingt, hängt meiner Ansicht nach ganz entscheidend davon ab, ob die Trump-Regierung gemeinsam mit den anderen internationalen Vermittlern, also insbesondere Katar und Ägypten, weiter dranbleibt und diesen Prozess begleitet. Dabei muss sie klar machen, dass es nicht nur um Phase eins geht, sondern auch um Phase zwei und drei.
Das wäre dann ein Übergang in eine Situation, wo wir wieder über Diplomatie sprechen, wo es darum geht, den Gazastreifen umfänglich wieder aufzubauen. So würde ein Prozess in Gang gesetzt, der letztlich zu einer politischen Regelung zwischen Israelis und Palästinensern führen würde, die für beide Völker Selbstbestimmung und eine Situation produziert, in der beide sicher und würdevoll leben können.
"Es gibt Anreize, Fortschritte zu erzielen"
tagesschau24: Welche Chancen sehen Sie dafür, dass es so kommen kann?
Asseburg: Ich halte die Chancen gar nicht für so schlecht, weil ich denke, dass Trump ein sehr großes Interesse daran hat, sich einmal mehr als Friedensmacher im Nahen Osten zu gerieren. Außerdem hat er ein sehr großes Interesse daran, einen Deal zwischen Saudi-Arabien, Israel und den USA zu vermitteln und damit den Abraham-Vereinbarungen, die er in seiner ersten Amtszeit vermittelt hat, sozusagen die Krönung aufzusetzen.
Dieses Interesse ist auch in Israel sehr groß und deshalb gibt es Anreize, hier Fortschritte zu erzielen. Dem stehen natürlich die Konzessionen gegenüber, die Israel eingehen muss - etwa in Bezug auf palästinensische Souveränität und dahingehend, nicht nur im Gazastreifen zu stabilisieren, sondern auch im Westjordanland.
Das wiederum steht Plänen von Teilen der Koalition von Regierungschef Netanjahu für das Westjordanland entgegen, nämlich die Ausweitung des Siedlungs- und Annexionsprojektes dort.
Das Gespräch führte Kathrin Schlass, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.