Erneut Proteste in Israel Herzog fordert Stopp der Justizreform
"Um der Einheit des Volkes willen": Israels Präsident Herzog hat Ministerpräsident Netanyahu aufgefordert, die umstrittene Justizreform zu stoppen. Eine von Netanyahu geplante Rede an die Nation wurde offenbar verschoben.
Israels Präsident Izchak Herzog hat angesichts der massiven Proteste zum Stopp der umstrittenen Justizreform aufgerufen. "Um der Einheit des israelischen Volkes willen, um der Verantwortung willen, fordere ich Sie auf, die Gesetzgebung sofort einzustellen", sagte Herzog an Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sowie alle Koalitionsmitglieder gerichtet.
"Die Menschen sind von tiefer Angst ergriffen." Die Sicherheit, die Wirtschaft, die Gesellschaft - alles sei bedroht. "Die Augen des ganzen Volkes von Israel sind auf Sie gerichtet".
Verteidigungsminister Galant entlassen
Am Abend hatte Netanyahu seinen Verteidigungsminister und Parteikollegen Joav Galant entlassen. Dieser hatte die umstrittenen Pläne öffentlich kritisiert und zum Dialog aufgerufen. Gegen die Reform, mit der der Einfluss des Höchsten Gerichts beschnitten und die Machtposition der Regierung zulasten der unabhängigen Justiz gestärkt werden soll, gibt es seit Monaten heftige Proteste.
Galant hatte am Samstagabend die Regierung zum Dialog mit Kritikern aufgerufen. Er warnte, dass die nationale Sicherheit und insbesondere die Einsatzfähigkeit der Armee auf dem Spiel stehe. Seit Wochen ist von wachsendem Unmut im Militär die Rede, aus Protest gegen die Reform waren zahlreiche Reservisten nicht zum Dienst erschienen.
In Tel Aviv blockierten die Demonstranten eine Straße und entzündeten Feuer.
Zehntausende protestieren
Aus Protest gegen Galants Entlassung strömten am Sonntagabend Zehntausende Menschen in der Küstenmetropole Tel Aviv auf die Straße. Sie blockierten die zentrale Straße nach Jerusalem und setzten Reifen in Brand. Die Polizei ging mit Reiterstaffeln und Wasserwerfern gegen die Menge vor, aus der Steine auf die Einsatzkräfte flogen.
In Jerusalem durchbrachen wütende Menschen eine Straßensperre neben Netanyahus Wohnhaus, der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet begab sich noch in der Nacht dorthin. Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Entlassung Galants und die Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Mehrere Bürgermeister traten in den Hungerstreik und forderten eine sofortige Eindämmung der nationalen Krise.
Rede an die Nation
Am Morgen gingen die Proteste vor dem Parlament in Jerusalem weiter. Angesichts der brenzligen Lage hielt Netanyahu in der Nacht eine Dringlichkeitssitzung zum weiteren Vorgehen ab, wie mehrere Medien berichteten. Mit Koalitionspolitikern soll er über eine mögliche Aussetzung des Reformvorhabens beraten haben.
Medienberichten zufolge plant Netanyahu eine Rede an die Nation zu einem möglichen Stopp der Reform. Unklar ist, wann er diese halten wird. Der Sender Kanal 12 berichtete, Netanyahu habe die eigentlich für den Vormittag geplante Erklärung wegen Differenzen innerhalb der Regierungskoalition verschoben. Eine offizielle Bestätigung gab es dazu zunächst nicht.
"Druck auf Netanyahu ist sehr hoch", Christian Limpert, ARD Tel Aviv, zu politischer Krise in Israel
Generalstreik angekündigt - Abflüge gestoppt
Der Dachverband der Gewerkschaften in Israel rief vor dem Hintergrund der massiven Proteste zu einem Generalstreik auf. Betroffen ist auch der internationale Flughafen Ben-Gurion bei Tel Aviv. "Ich habe den sofortigen Startstopp am Flughafen angeordnet", sagte der Leiter der Arbeitergewerkschaft am Flughafen Ben Gurion, Pinchas Idan. Es wird erwartet, das Zehntausende von den Flugänderungen betroffen sind.
Der Dachverband Histadrut rief zu einem "historischen" Arbeitsstreik auf, um "den Wahnsinn" der umstrittenen Justizreform der Regierung zu stoppen. Der Streik werde beginnen, sollte Ministerpräsident Netanyahu keinen Stopp der Reformpläne ankündigen.
Kernelement der Reform nimmt weitere Hürde
Ungeachtet der massiven Proteste hat unterdessen ein Kernelement der umstrittenen Justizreform eine weitere Hürde genommen. Der Justizausschuss des Parlaments billigte den Gesetzestext, der die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses ändern soll. Der Entwurf wurde zugleich zur finalen Lesung ans Plenum überwiesen, berichteten israelische Medien übereinstimmend.
Die Sitzung wurde mehrfach von Abgeordneten der Opposition mit lauten Rufen unterbrochen. Unklar war zunächst, wann das Parlament in Jerusalem über die geplanten Regelungen abstimmen soll.
USA zeigen sich "zutiefst besorgt"
Auch international lösten die Pläne Kritik aus. Die US-Regierung als wichtigster Verbündeter äußerte sich "zutiefst besorgt". Angesichts der geplanten "grundlegenden Änderungen an einem demokratischen System" rief das Weiße Haus die israelische Führung nachdrücklich auf, sobald wie möglich einen Kompromiss zu finden.
Der israelische Generalkonsul in New York, Asaf Zamir, legte aus Protest gegen die Entlassung Galants sein Amt nieder. Dies sei "eine gefährliche Entscheidung" gewesen, erklärte Zamir auf Twitter. Der Vorgang habe ihn zu der Einsicht gebracht, dass er "diese Regierung nicht länger repräsentieren kann".