Gazastreifen Erste Hilfslieferungen wohl erst ab Samstag möglich
Die Versorgung des Gazastreifens mit humanitärer Hilfe kann nach Einschätzung der UN frühestens am Samstag starten. In der Nacht hatte Israel erneut Luftangriffe geflogen. Die Hamas spricht inzwischen von mehr als 4.100 Toten.
Der für Freitag erhoffte Beginn von Hilfslieferungen in den Gazastreifen wird sich wohl verzögern. Die Vereinten Nationen schätzen, dass erste Lkw mit Hilfsgütern am Samstag den Grenzübergang Rafah an der Grenze zu Ägypten passieren können.
"Wir sind in intensiven und fortgeschrittenen Verhandlungen mit allen relevanten Seiten, um sicherzustellen, dass ein Hilfseinsatz so früh wie möglich beginnt", sagte ein Sprecher des UN-Nothilfekoordinators Martin Griffiths. Wann genau die humanitäre Hilfe starten könne, sei nach wie vor offen. Eine erste Lieferung solle "morgen beginnen - oder so um den Dreh".
Um den Beginn der humanitären Versorgung für die Bevölkerung im Gazastreifen voranzutreiben, ist auch der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, nach Ägypten gereist. Verhandlungen für einen raschen Start und einen anschließenden Ablauf ohne mögliche Einschränkungen liefen auf Hochtouren, betonte er. Es müsse täglich eine ausreichende Zahl von Lastwagen in den Gazastreifen gelassen werden.
Lkw warten mit Tonnen von Hilfsgütern
Bereits seit Tagen stehen auf ägyptischer Seite Lkw mit tonnenweise Hilfsgütern bereit, um den Grenzposten passieren zu können. Denn den Menschen im Gazastreifen fehlt es an allem: sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten, Unterkünften. Auch Deutschland hat angekündigt, zusätzlich 50 Millionen Euro aufzubringen, um Hilfsorganisationen bei der Lieferung humanitärer Güter in den Gazastreifen zu unterstützen.
Der staatsnahe ägyptische Sender Al Kahera News hatte zunächst berichtet, dass bereits im Laufe des Tages erste Lieferungen erfolgen könnten. Später hieß es, dass Reparaturen im Gebiet des Grenzübergangs Grund für die Verzögerungen seien. Wie ARD-Korrespondent Christian Limpert aus Tel Aviv berichtet, heißt es vonseiten des israelischen Militärs sogar, die Hilfslieferungen könnten voraussichtlich am Sonntag starten.
Ägypten hatte der Öffnung des Grenzpostens erst am Donnerstag zugestimmt und sein vorheriges Zögern mit Sicherheitsbedenken begründet. Auch Israel hat der Belieferung des Gazastreifens über Rafah zugestimmt, unter der Bedingung, dass die Hilfen keinesfalls die Hamas erreichen dürften. Eine Lieferung von Hilfen über das eigene Staatsgebiet knüpft Israel nach wie vor an die Forderung, die Hamas müsse zuvor alle von ihr entführten Geiseln freilassen. In den Händen der Terrormiliz sollen sich laut Israel etwa 200 Geiseln befinden, darunter wohl auch acht Deutsche.
EU-Ratspräsident Charles Michel mahnte mit Blick auf die Öffnung des Grenzübergangs, dass Ägypten Unterstützung brauche, da eine hohe Zahl von Flüchtlingen aus dem Gazastreifen in das Land kommen könnten.
Israel fliegt weitere Luftangriffe
Die militant-islamistische Hamas hatte am 7. Oktober mit ihren massiven Angriffen auf Israel begonnen. Das israelische Militär reagiert seitdem mit Luftangriffen auf den Gazastreifen. Auch in der vergangenen Nacht attackierte die Armee erneut zahlreiche Ziele. Eigenen Angaben zufolge wurden mehr als 100 Stellungen der Terrormiliz beschossen.
Bei den Angriffen wurden demnach ein Tunnel, Waffenlager sowie Dutzende von Kommandozentren bombardiert. Im Ort Dschabalia nördlich von Gaza-Stadt seien Einrichtungen und Waffen der Hamas in einer Moschee zerstört worden. Die Moschee wurde laut israelischem Militär von der Hamas als Beobachtungsposten genutzt. Auch in Gaza-Stadt selbst sei "ein Terrorkommando" der Hamas "ausgeschaltet" worden.
Zudem sei ein Mitglied der Hamas getötet worden, das zu Beginn der Angriffe am 7. Oktober mit anderen Kämpfern der Terrormiliz in grenznahe israelische Orte eingedrungen und dort an der Tötung zahlreicher Menschen beteiligt gewesen sein soll. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben der israelischen Armee nicht.
Durch die israelischen Angriffe sollen im Gazastreifen bislang mehr als 4130 Menschen getötet worden sein. Mehr als 13.000 Menschen seien verletzt worden. Das teilte das von der Hamas kontrollierte palästinensische Gesundheitsministerium mit. Unabhängig verifizieren lassen sich die Angaben nicht.
Galant stellt baldigen Start von Bodenoffensive in Aussicht
Neben den Luftangriffen kündigte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant auch den baldigen Beginn der geplanten Bodenoffensive im Gazastreifen an. Einen genauen Zeitpunkt ließ er aber nach wie vor offen. Bei einem Besuch der nahe der Grenze stationierten Truppen betonte Galant jedoch: "Der Befehl wird kommen." Israelische Medien zitierten den Minister weiter mit den Worten: Die Soldaten sähen den Gazastreifen jetzt noch aus der Ferne, würden ihn aber bald schon von innen sehen.
Ziel einer Bodenoffensive sei der Sieg über die Hamas, betonte Galant. Danach werde Israel die "Verantwortung für das Leben im Gazastreifen" aufgeben. Keinesfalls wolle das eigene Militär den Gazastreifen dauerhaft unter seine Kontrolle bringen.
Laut palästinensischen Behörden auch Kirche beschossen
Von der Hamas kontrollierte palästinensische Behörden werfen Israel zudem vor, bei den Angriffen der vergangenen Nacht auch eine griechisch-orthodoxe Kirche in Gaza-Stadt beschossen zu haben. Es habe Tote und Verletzte gegeben, sagte der Generaldirektor des Al-Schifa-Krankenhauses, Mohammed Abu Selmiam. Unter den Trümmern der Kirche seien vermutlich noch Leichen verschüttet.
Bei der Kirche des Heiligen Porphyrius handelt es sich Berichten der Nachrichtenagentur dpa zufolge um die älteste aktive Kirche in Gaza. Das Gebäude liegt laut Behördenangaben in der Nähe der Al-Ahli-Klinik, in die vor einigen Tagen eine Rakete einschlug. Hunderte Menschen sollen dadurch getötet worden sein. Israel und die Hamas beschuldigen sich gegenseitig, für die Attacke verantwortlich zu sein.
Das orthodoxe Patriarchat von Jerusalem verurteilte den Beschuss der Kirche scharf. Es sei ein Kriegsverbrechen, das nicht ignoriert werden könne, wenn Kirchen und ihre Einrichtungen angegriffen würden, zusammen mit den Unterkünften, die sie zum Schutz unschuldiger Bürger zur Verfügung stellten, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Evakuierung von Ort nahe libanesischer Grenze
Auch an der israelisch-libanesischen Grenze kam es wiederholt zu Raketenbeschuss. Am Donnerstag wurden israelischen Angaben zufolge im grenznahen Ort Kiriat Schmona mindestens drei Menschen durch Angriffe vom Libanon aus verletzt. Ein Wohnhaus sei von einer Rakete getroffen worden.
Die Nachrichtenagentur AFP berichtete unter Berufung auf Angaben der Hamas, dass 30 Raketen aus dem Südlibanon in Richtung Nordisrael abgefeuert worden sein sollen. Auch die schiitische Hisbollah habe Angriffe auf mehrere israelische Stellungen verübt.
Infolge der anhaltenden Gefechte hat Israel nun angekündigt, dass Kiriat Schmona evakuiert werden soll. In dem Ort leben mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Viele hätten den Ort bereits verlassen, wie Medien berichteten. Die verbliebenen Bewohner sollen in vom Staat zur Verfügung gestellten Unterkünften untergebracht werden.
Um zu verhindern, dass sich der Konflikt auf den gesamten Nahen Osten ausweitet, ist Bundesaußenministerin Baerbock nach einem erneuten Besuch in Israel in den Libanon gereist. Die Führung des Landes solle Einfluss auf die schiitische Hisbollah-Miliz nehmen, die sich offen hinter die Angriffe der Hamas gestellt hatte. Auch an der Grenze vom Libanon zu Israel war es wiederholt zu Raketenbeschuss gekommen.