Justizreform in Israel Tag der Entscheidung mit möglichen Überraschungen
Erneut haben am Abend Zehntausende für oder gegen die Justizreform demonstriert. Im Lauf des heutigen Tages ist nun die entscheidende Abstimmung in der Knesset geplant. Doch Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.
Die auf 36 Stunden angesetzte Aussprache hatte relativ nüchtern begonnen: Simcha Rothman von der Partei des Religiösen Zionismus und die treibende Kraft der Justizreform bat schlicht um Zustimmung: "Ich rufe die Knessetmitglieder dazu auf, den Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung zu verabschieden und die Einwürfe abzulehnen", sagte er. "Dadurch wird im Staat Israel die Demokratie wiederhergestellt."
Seinem letzten Satz wird von Gegnern der Reform energisch widersprochen. Ziel der Justizreform ist es, die Kompetenzen des Obersten Gerichtshofes zugunsten der Regierung einzuschränken. Wird dieser Teil beschlossen, soll es dem Gericht künftig nicht mehr möglich sein, Entscheidungen des Kabinetts oder von Ministern als "unangemessen" zurückzuweisen. Die Abstimmungen nach zweiter und dritter Lesung dürften sich bis in den Montagabend hinziehen.
Doch die Gegner der Reform geben noch nicht auf - und auch Oppositionsführer Yair Lapid nutzte die Aussprache, um noch einmal mit der Regierung ins Gericht zu gehen:
Die israelische Regierung hat einen Zermürbungskrieg gegen die Bürger Israels begonnen. Sie musste feststellen, dass man uns nicht zermürben kann. Wir geben die Zukunft unserer Kinder nicht auf. Diese Regierung will uns in Ungarn und Polen verwandeln. Wir sind weder Ungarn noch Polen, und wir werden es auch nicht sein. Dies sind Länder, die zum Großteil ihrer Geschichte nicht demokratisch waren. Israel ist ein Land, welches als Demokratie geboren wurden und dessen Bürger einen demokratischen Instinkt haben.
Auch Kundgebung von Unterstützern der Reform
Doch auch die Befürworter der Reform waren auf der Straße. Zehntausende waren am Abend in Tel Aviv zusammengekommen, viele mit Bussen aus Siedlungen im besetzten Westjordanland. Sprechchöre waren zu hören: Das Volk fordere eine Justizreform. Ronel aus der Nähe von Tel Aviv, ein säkularer Unterstützer der Regierung, sagt, warum er hier ist:
Jetzt will die Regierung ihre Macht ausüben - und die Veränderungen angehen, die sie den Wählern versprochen hat. Wir denken, dass es sehr wichtig ist, die Regierung zu unterstützen und zu sagen: Wir haben Euch unsere Stimmen gegeben, damit ihr regiert. Denn so geht Demokratie. Und wenn wir einfach aufgeben, dann haben wir Anarchie und kommen nicht voran.
Die große Demonstration der Gegner der Reform fand in Jerusalem, in unmittelbarer Nähe der Knesset statt. Dorthin war auch Udi gekommen, ein ehemaliger Pilot. Über 11.000 Reservistinnen und Reservisten haben angekündigt, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, wenn die Reform beschlossen wird. Das gilt als Problem für Israels Sicherheit.
"Wir wollen eine Demokratie bleiben, egal was passiert", sagt Udi. "Meine Soldatenfreunde meinen es ernst - das geht durch die gesamte Armee. Wir haben keine andere Wahl. Wir sind Demokraten, wir wollen keine Diktatur. Und wir werden bis zum Sieg kämpfen. Wir haben keine Angst, nicht vor der Polizei, vor niemandem. Denn wir sind mutig und sagen: Wir wollen eine Demokratie."
"Ein verhängnisvoller Tag"
Bei der Großkundgebung in Jerusalem trat auch Reuven Rivlin auf, eigentlich ein Parteifreund von Premier Benjamin Netanyahu und bis vor zwei Jahren Israels Staatspräsident:
"Heute ist ein verhängnisvoller Tag. Unsere Aufgabe ist es zu sehen, ob wir es schaffen, in den kommenden 24 Stunden unser wunderbares Land zu retten. 120 Knessetmitglieder können nicht plötzlich kommen und verkünden, dass der Staat Israel nicht mehr demokratisch ist. Israel ist als jüdischer und demokratischer Staat errichtet worden. Weder weniger jüdisch als demokratisch noch weniger demokratisch als jüdisch."
Auch Benjamin Netanyahu wird wieder in der Knesset erwartet, nachdem ihm kurzfristig ein Herzschrittmacher implantiert wurde. Inzwischen wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Bisher scheint er entschlossen, die Reform durchs Parlament zu bringen. Doch Überraschungen in den nächsten Stunden sind nicht ausgeschlossen.