Karfreitag in Jerusalem Warum ein Muslim Christen Kreuze leiht
In diesen Tagen zieht es viele Christen nach Jerusalem. Sie wollen den Kreuzweg nachgehen - mit einem Kreuz auf den Schultern, um die Leiden Jesu besser nachempfinden zu können. Das Kreuz bekommen sie von einem Muslim.
Vermutlich gibt es niemanden, der so viele Kreuze über die Via Dolorosa getragen hat wie Mahmoud Kanaan. Er hat etwa 50 Kreuze auf Lager, manche sind schon mehr als 30 Jahre alt. Mahmoud ist Muslim und leitet ein kleines Familiengeschäft. Schon sein Großvater hatte 1967 die Idee zum Kreuzverleih.
"Wir haben unterschiedlich große Kreuze", erzählt er. Die größten bewahre er woanders auf. "Es gibt Gruppen, zum Beispiel aus Korea, die wollen das allergrößte Kreuz." Die Kreuze in seinem Geschäft seien halb so groß. "Die Kreuze hier trägt man normalerweise auf der Schulter und läuft damit."
Die Via Dolorosa, der Kreuzweg, zieht sich mitten durch die Altstadt von Jerusalem. Der Legende nach soll Jesus diesen Weg gelaufen sein, vom Palast des Pontius Pilatus bis zur Hinrichtungsstätte vor den Toren der Stadt. Und manche der christlichen Pilgergruppen wollen genau diesen Weg nachgehen - mit einem Kreuz, um die Leiden Jesu noch besser nachempfinden zu können.
Pilger tragen während der katholischen Karfreitagsprozession ein Holzkreuz entlang der Via Dolorosa in der Jerusalemer Altstadt.
Die Via Dolorosa hat 14 Stationen
Für Mahmoud ist das ein Termingeschäft - und alles andere als ein leichter Job: Manchmal kämen die Gruppen um halb sieben oder halb acht, manchmal aber schon um fünf oder um vier. "Das ist dann ziemlich früh. Und manchmal muss ich nicht nur eines, sondern zwei, drei oder vier Kreuze tragen. Vier Kreuze sind sehr schwer, das ist anstrengend. Aber wenn sie froh sind, bin ich es auch."
Doch die Geschäfte gehen schlecht, auch wenn in der Karwoche immer noch die meisten seiner Kreuze unterwegs sind. Früher hat Mahmoud öfter 20 Kreuze am Tag verliehen - jetzt sind es manchmal nur noch zwei.
Streng genommen verdient Mahmoud sein Geld auch nicht mit dem Verleih von Kreuzen, sondern als Fotograf. "Sie rufen vorher an und sagen: Mahmud, wir brauchen ein Kreuz morgen früh um fünf. Es kommen 30, 40 oder 50 Leute. Sie sagen mir die Zeit und dann wollen sie Fotos an jeder Kreuzwegstation. Drei Bilder kosten 10 Dollar, das Kreuz ist umsonst." Die Via Dolorosa hat 14 Stationen - der Weg der Schmerzen. Wenn es gut läuft, kommen da einige Fotos zusammen.
"Wie schmerzvoll das für Jesus war"
Die, die da unterwegs sind, sind ganz unterschiedlich. Die wichtigsten Kunden kommen aus Italien und Spanien, auch Polen, Irland und die USA sind oft vertreten. "Bei einigen Gruppen kann man sehen, wie sie weinen." Mahmoud beobachtet auch, wie sie das Kreuz umarmen. "Manche sitzen auf dem Boden und kommen nicht weiter. Man sieht, dass sie sehr emotional sind. Manche Pilger brauchen etwas Zeit, um weitergehen zu können. Wenn sie die Via Dolorosa entlanggehen, dann fühlen sie, wie schmerzvoll das für Jesus war."
Respekt anderer Religionen wichtig
Mahmoud bewahrt seine Kreuze auf halber Strecke auf, zwischen der ersten Station und der Grabeskirche. Als Muslim ist ihm der Respekt anderer Religionen wichtig: "Sie haben ihren Glauben und sie kommen als Pilger, so wie wir Muslime Pilger sind. Das ist das Heilige Land, heilig für alle. Ich habe Respekt, kümmere mich und helfe ihnen. Ich zeige ihnen den Weg und versuche, Hindernisse zu beseitigen."
Besonders hart ist es jedes Jahr am Karfreitag. Dann sind auch noch Gruppen mit Dornenkronen unterwegs, Kunstblut ist im Einsatz. Und zwischendrin: die Kreuze von Mahmoud. Dann muss er den Überblick behalten und am Ende alles wieder einsammeln und bereit machen für die nächste Pilgergruppe, die in Jerusalem unterwegs sein will wie Jesus.