Böll-Stiftung in Yangon "Das Militär hat den Stecker gezogen"
Der Militärputsch sei "massiver Rückschlag für die Hoffnung, dass Myanmar sich in Richtung Demokratie bewegt", sagt Axel Harneit-Sievers vom Heinrich-Böll-Stiftungsbüro Yangon. Die Auswirkungen für die Menschen seien bereits spürbar.
tagesschau.de: Wie ist nach der erneuten Machtübernahme des Militärs die Lage in Yangon? Gehören Panzer und Soldaten dort ohnehin zum Straßenbild?
Axel Harneit-Sievers: Das ist eigentlich nicht der Fall. Normalerweise ist die Präsenz von Sicherheitskräften in Yangon sehr gering. In der Hauptstadt Naypyidaw, die einige Hundert Kilometer weiter im Inland liegt, ist das zum Teil anders, aber auch dort ist die Präsenz im Alltag nicht so stark.
Aber den Nachrichten zufolge, die mich erreichen, sind die Leute in Panik: Geschäfte werden geschlossen, Geldautomaten funktionieren nicht mehr, die mobilen Telefonverbindungen waren phasenweise komplett ausgeschaltet - aber auch Kabel- und Glasfaserverbindungen einiger Anbieterfirmen funktionierten nicht. Die Kommunikation war also zeitweise schwierig, denn die wenigsten Menschen im Land verfügen über Festnetzverbindungen und bargeldloses Zahlen mit dem Handy ist verbreitet - nun versuchen viele, Bargeld zusammenzukratzen und damit einzukaufen. Ich höre, dass die Menschen in langen Schlangen vor den Supermärkten stehen und einkaufen, bevor diese früher als sonst schließen. Es herrscht also Angst davor, dass es zu einer Güterknappheit kommen könnte.
Menschen warten vor einem Lebensmittelgeschäft in Yangon.
Breite Unterstützung der Bevölkerung für Suu Kyi
tagesschau.de: Im Alltagsleben der Menschen ist der Wechsel also spürbar - und in der Politik?
Harneit-Sievers: Es haben ja gerade erst im November die Wahlen stattgefunden, die die Partei "National League für Democracy" (NLD) unter Aung San Suu Kyi mit großer Mehrheit gewonnen hat - in eigentlich sehr überzeugender Weise. Die Menschen haben großes Vertrauen in Suu Kyi; im Westen hat sie aufgrund der Rohingya-Vertreibung ein sehr schlechtes Image, aber in Myanmar ist sie hoch geachtet. In den letzten Tagen, in denen es schon Putschgerüchte hab, hatten die Leute in der Innenstadt von Yangon teilweise die Fahnen der NLD in Solidarität auf ihre Balkone gestellt. Heute werden sie wohl schnell wieder verschwunden sein, weil die Menschen Angst haben, sie könnten verhaftet werden. Diese Freiheit, die sind in letzten Jahren erreicht hatten, ist nun unmittelbar durch Angst ersetzt worden.
tagesschau.de: Welche konkreten Freiheiten verlieren die Menschen?
Harneit-Sievers: Es gab zwischenzeitlich eine Regierung, die von einer Mehrheit gewählt und unterstützt wurde. Es gab auch recht weitreichende Meinungsfreiheit - mit Einschränkungen in bestimmten Bereichen: Man konnte nie das Militär über eine bestimmtes Maß hinaus in der Öffentlichkeit kritisieren. Es gibt nach Zahlen von Nichtregierungsorganisationen einige Hundert politische Gefangene. Aber im Vergleich zu anderen Staaten Südostasiens wie Thailand oder Vietnam stand Myanmar nicht schlecht da. Das alles ist jetzt fundamental infrage gestellt.
tagesschau.de: Sicher ist: Das Wahlergebnis wurde revidiert. Wem missfiel es, wenn Aung San Suu Kyi doch so breiten Rückhalt genießt?
Harneit-Sievers: Dem Militär - es hat ja eine von der Verfassung garantierte Beteiligung und stellt 25 Prozent der Abgeordneten im Parlament. Die Partei USDP, die als militärnah gilt, will das Ergebnis anfechten, weil sie sagt, es sei in einzelnen Wahlbezirken zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Das kann im Einzelfall auch sein und sollte jetzt vor die Gerichte kommen - vergangenen Freitag wurde ein Urteil des Obersten Gerichtshofs dazu erwartet, aber verschoben. Jetzt hat das Militär praktisch den Stecker gezogen und den Notstand erklärt und - formell für ein Jahr - wieder die Regierungsmacht übernommen.
Das Militär beruft sich dabei sogar auf die Verfassung, die einen solchen Notstand erlaubt - es handelt sich um die Verfassung von 2008, die das Militär selbst in sehr undemokratischer Weise installiert hat. Dass es die Macht selbst ergreift, war aber eigentlich nicht darin vorgesehen.
Reisefreiheit durch Corona-Situation eingeschränkt
tagesschau.de: Das heißt, es gibt in Myanmar staatliche Doppelstrukturen?
Harneit-Sievers: Ich spreche oft von einer "Doppelherrschaft" - mit unklaren Grenzziehungen zwischen der Zivilregierung, die viele Dinge des alltäglichen Lebens oder auch Außenpolitik wesentlich bestimmt, und dem Militär als zweitem Machtzentrum, das wichtige Dinge im Bereich Sicherheitspolitik, Innenpolitik, Grenzschutz und die bewaffneten Konflikte kontrolliert hat, die es in diesem Land weiterhin gibt. Auch im juristischen System sind politische Einflussnahme und Korruption große Probleme.
tagesschau.de: Wie macht sich eine Militärregierung bemerkbar - gibt es nun Ausgangssperren? Darf im Land gereist werden?
Harneit-Sievers: Das ist alles noch nicht recht klar. Man kann sich momentan aufgrund der Corona-Situation ohnehin nicht frei im Land bewegen - um von einem Landesteil in den anderen zu reisen, galt zum Teil Quarantänepflicht. Die Reisefreiheit war dadurch also ohnehin schon sehr eingeschränkt.
tagesschau.de: Was ändert sich nach dem Machtwechsel für die Arbeit Ihrer Stiftung?
Harneit-Sievers: Klar ist, dass es ein massiver Rückschlag für die Hoffnung, dass Myanmar sich in Richtung Demokratie bewegt. Myanmar hatte diese Doppelherrschaft - und es gab immer die politische Perspektive, dass das Land langfristig eine vollständige Demokratie werden könnte. Nun der Rückschlag. Auch international wird das zu einer weiteren Isolierung Myanmars führen.
Alle westlichen Botschaften haben sich vergangene Woche anlässlich der aufkommenden Putschgerüchte in einer offiziellen Stellungnahme an die Öffentlichkeit gewandt und darin die gewählte Regierung unterstützt - das ist eine klare Positionierung, für die wir auch als Stiftung stehen. Was der Wechsel aber für unsere zukünftige Arbeit bedeutet, ist unabsehbar. Ich rechne schon mit massiven Einschränkungen.
Das Interview führte Jasper Steinlein, tagesschau.de.