Korruptionsprozess gegen den Premier Netanyahu muss erstmals aussagen
Der Prozess gegen ihn läuft bereits seit vier Jahren - heute muss Israels Premier Netanyahu trotz langer Weigerung erstmals aussagen. Ihm werden Korruption und Einflussnahmen vorgeworfen.
Für Benjamin Netanyahu steht schon seit mehr als vier Jahren fest: Dieser Prozess gegen ihn ist eine Hexenjagd. Schon 2020, als er zum Prozessbeginn antreten musste, setzte Israels Premierminister den Ton: "Dass ich heute vor Gericht stehe, ist ein Versuch, den Willen des Volkes zu durchkreuzen. Der Versuch, mich und das rechte Lager zu stürzen", sagte er.
Mehr als ein Jahrzehnt hätten die Linken das nicht an der Wahlurne geschafft. Also hätten sie in den letzten Jahren ein neues Mittel gefunden: "Leute in Polizei und Staatsanwaltschaft haben sich mit den Journalisten der Linken zusammengetan, ich nenne sie die Clique 'Nur nicht Bibi', um mir unbegründete und ausgedachte Verfahren anzuhängen."
Dabei ist es im Prinzip geblieben - und ins gleiche Horn stoßen auch Netanyahus Getreuen. Und seit Jahren versucht Netanyahu auch, sein Verhör vor Gericht zu verhindern. Das letzte Argument: Israel ist im Krieg am mehreren Fronten und braucht die ganze Kraft seines Premiers.
Anwesenheitspflicht an drei Tagen pro Woche
Doch der letzte von vielen Anträgen auf Aufschub wurde abgelehnt - und Netanyahu muss vor Gericht in Tel Aviv erscheinen. An bis zu drei Tagen in der Woche, mehrere Stunden am Tag.
Ob es wirklich so kommt ist noch nicht ganz klar, sagt Kobi Sudri, ein bekannter Strafverteidiger gegenüber der ARD: Es könne passieren, dass Netanyahu vor Gericht erscheint und darum bitte, fernzubleiben oder den Tag zu verkürzen, da er wegen nächtlicher Sitzungen nicht schlafen konnte und daher sehr müde sei und sich wahrscheinlich nicht konzentrieren könne oder womöglich auch verwirrt sei, sagt Sudri.
"Oder er sitzt im Zeugenstand, und alle paar Minuten kommt der Militärsekretär hinein, um ihm einen sehr wichtigen Zettel zu geben. Es kann auch sein, dass er immer Mal wieder den Saal verlassen muss, um ein wichtiges Telefongespräch zu führen."
Kann Netanyahu sein Amt noch ausüben?
Man kann das Argument auch umdrehen: Netanyahu ist der erste amtierende Premier, der in Israel vor Gericht steht. Kritiker sagen, er könne in diesen Zeiten nicht Premierminister sein, wenn er angeklagt ist. Auch Kobi Sudri sieht das so: "Jemand, der einen Prozess führt, kann keinen Staat führen und umgekehrt. Allein aus zeitlichen Gründen ist das nicht möglich."
Regieren müsse man 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Wer vor Gericht stehe, müsse mindestens einen Teil dieser Zeit für den Prozess aufbringen. "Das lässt sich nicht vereinen. Wir haben auch gesehen, was Israel in den letzten Jahren passiert ist, weil der Premierminister nicht genügend Zeit hat, den Staat zu führen."
Es geht um Korruption und Einflussnahme
Die Vorwürfe wiegen schwer: Benjamin Netanyahu und seine Frau Sara sollen im großen Stil Geschenke angekommen haben, unter anderem große Mengen Champagner und Zigarren - gegen Gefälligkeiten. Und auch auf die Berichterstattung der größten israelischen Zeitung Yediot Ahronot soll Netanyahu Einfluss genommen haben.
"Bei den Fällen gibt es zwei Versionen", so Sudri. "Einerseits wirft ihm die Staatsanwaltschaft kriminelles Handeln vor, andererseits sagt seine Verteidigung, dass das, was er getan habe, nicht kriminell gewesen sei." Jetzt könne Netanyahu selbst erklären kann, was jeweils vorgefallen ist.
"Dieser Prozess zerreißt uns seit Jahren"
Obwohl das Interesse der israelischen Öffentlichkeit groß ist, wird Netanyahus Aussage auf Antrag seiner Verteidigung im Kreuzverhör nicht übertragen. Oppositionsführer Benny Gantz setzt indessen darauf, dass das Gericht seine Arbeit machen kann: "Es wird ein trauriger Tag für die Nation. Dieser Prozess zerreißt uns seit Jahren."
Es sei von Anfang an ein Fehler gewesen, einen Premierminister unter schwerer Anklage weiter regieren zu lassen, so Gantz. Wie für jeden Bürger gelte auch für Netanyahu die Unschuldsvermutung, und auch seine Gegner müssten das respektieren. "Wir müssen das Gericht und die israelische Demokratie respektieren. Es ist der Tag, an dem wir dem Gericht ermöglichen sollten, so schnell wie möglich für Gerechtigkeit zu sorgen."
Überraschungen und neue Finten in diesem Prozess sind nicht ausgeschlossen - zu lange schon haben Netanyahu und seine Verteidiger das Verfahren immer wieder verzögert.