Israels Premier unter Druck Demonstranten verlagern Protest nach Jerusalem
Erneut haben Tausende Israelis vorgezogene Neuwahlen und ein Abkommen mit der Hamas zur Freilassung der israelischen Geiseln gefordert. Vor dem Privathaus von Premier Netanyahu in Jerusalem kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Tausende Menschen haben in Jerusalem gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu protestiert. Vor dem Gebäude der Knesset, des israelischen Parlaments, forderten sie vorgezogene Neuwahlen und ein Abkommen zur Freilassung der israelischen Geiseln aus der Gewalt der Terroroganisation Hamas, berichtete die "Times of Israel". Die mit Trommeln, Tröten und Plakaten ausgestatteten Demonstranten trugen israelische Flaggen und skandierten Parolen gegen die Regierung.
"Angesichts des Extremismus, für den diese Regierung steht, und angesichts ihrer fehlenden Einsicht in ihr Scheitern muss sie ihr Mandat an das Volk zurückgeben", sagte die Aktivistin Schikma Bressler, eine der Anführerinnen der Protestbewegung.
Seit Monaten demonstrieren in Tel Aviv, der größten Stadt des Landes, Zehntausende Menschen gegen die Regierung und ihre Gaza-Politik. Am Montag nun zogen die Demonstranten nach Jerusalem. Vom Parlamentsgebäude marschierten sie zur Privatresidenz Netanyahus. Dort lieferten sie sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mindestens drei Menschen seien verletzt worden, berichtete die Zeitung "Haaretz". Die Polizei setzte nach Berichten von "The Times of Israel" Wasserwerfer ein, um die Proteste aufzulösen. Die Polizei berichtete in der Nacht von neun Festnahmen unter anderem wegen der Ausübung von Gewalt gegen Sicherheitsbeamte. Einige Polizisten wurden demnach "leicht verletzt".
Vorwürfe gegen Netanyahu
"Wir sind wieder gekommen, um zu demonstrieren, zum 50. Mal, wir sind hier, in Tel Aviv, überall", sagte der Demonstrant Dror Katzman. Ziel sei es, "diese korrupte Regierung loszuwerden, die die Geiseln nicht freilässt, die den Krieg auf ungeschickte Weise führt und für den schlimmsten, schlimmsten Terrorangriff auf uns seit dem Holocaust verantwortlich ist".
Netanyahu sieht sich wegen des Ausbleibens eines Geisel-Abkommens zunehmend der Kritik ausgesetzt. Viele Israelis werfen der Regierung vor, sie habe die Kontrolle über den Krieg verloren. Dem Premier gehe es in erster Linie um politische Interessen.
Netanyahu bestreitet die Vorwürfe und macht die Unnachgiebigkeit der Hamas für das Stagnieren der indirekten Verhandlungen verantwortlich. Zuletzt nahm die Intensität der Proteste und Demonstrationen gegen die Regierung zu.
Regierungsvertreter: "Dutzende Geiseln am Leben"
Bei ihrem brutalen Großangriff auf Israel am 7. Oktober hatte die Hamas laut israelischen Angaben 1.194 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Einige von ihnen wurden inzwischen freigelassen, andere befreit, viele sind vermutlich tot.
Aber "Dutzende Geiseln sind mit Sicherheit noch am Leben", sagte ein hochrangiger israelischer Regierungsvertreter, der in die Verhandlungen mit der Hamas einbezogen ist. "Wir können sie nicht mehr lange dort lassen, sie werden sterben", sagte der Unterhändler, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP.
Kriegskabinett aufgelöst
Am Montag hatte Netanyahu nach Angaben eines Regierungsvertreters sein sechsköpfiges Kriegskabinett aufgelöst, das wichtige Entscheidungen hinsichtlich der Kämpfe der israelischen Armee mit der Hamas im Gazastreifen und auch des Konflikts mit der Schiiten-Miliz Hisbollah im Libanon getroffen hatte. Nach dem Rückzug von Oppositionschef Benny Gantz würden Entscheidungen über den Krieg im Gazastreifen nun vom Sicherheitskabinett getroffen, sagte sein Sprecher David Mencer.
Das Kriegskabinett sei eine "Voraussetzung" für Gantz gewesen, um einer Einheitsregierung beizutreten, sagte Regierungssprecher Mencer vor Journalisten. "Mit dem Ausscheiden von Herrn Gantz aus der Regierung ist das Kabinett nicht mehr notwendig."
Dem Kriegskabinett gehörte neben Netanyahu und Gantz auch Verteidigungsminister Yoav Gallant an. Ex-Armeechef Gadi Eisenkot, der als Beobachter fungierte, hatte zusammen mit Gantz seinen Rücktritt verkündet.
Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel seit Oktober massiv militärisch im Gazastreifen vor. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, wurden dabei bislang mehr als 37.340 Menschen getötet.