Debatte in Südkorea Kim atomar Kontra geben?
Ein Satz von Südkoreas Präsident Yoon hat eine Debatte darüber ausgelöst, ob das Land sich wegen Nordkoreas Aufrüstung atomar bewaffnen soll. Zwar ruderte Yoon wieder zurück. Doch die Befürworter von Atomwaffen wittern Morgenluft.
Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol ist seit seinem Amtsantritt im Mai 2022 immer mal wieder ein Fauxpas unterlaufen, er hat hier oder da eine unbedachte Äußerung gemacht, die seine Mitarbeiter danach wieder einfangen mussten. So auch Mitte Januar, als sich Yoon zu der Aussage verstieg: "Wenn sich das Problem (mit Nordkorea) verschärft, müssen wir vielleicht unsere eigenen Atomwaffen besitzen."
Zwar ließ er offen, ob er damit eine eigene Produktion meinte oder eine erneute Stationierung von US-Waffen, wie es sie bis 1991 gegeben hatte, und sprach von einem Zukunftsszenario. Aber dennoch war das Thema in der Welt.
Daehan Lee vom südkoreanischen Forum für Nuklearstrategie, einer Lobbygruppe für atomare Aufrüstung, die Ende 2022 gegründet wurde, freut sich natürlich: "Unser Anliegen ist schneller beim Präsidenten gelandet, als wir gedacht hätten."
Mehrheit der jungen Bevölkerung für Aufrüstung
Seitdem überschlagen sich in Südkorea die Umfragen, alle mit demselben Ergebnis. Vor allem junge Südkoreaner befürworten eigene Atomwaffen.
Das sei auch kein Wunder, sagt Lee im Gespräch mit der ARD. Die Lobbygruppe meint, die Bedrohung auf der koreanischen Halbinsel sei immer größer geworden.
Lee verweist auf ein internes Papier des südkoreanischen Generalstabs. In diesem Bericht heiße es, dass Nordkorea bis 2027 "schätzungsweise über bis zu 200 nukleare Sprengköpfe verfügen wird, die entweder als taktische Nuklearwaffen oder als strategische Atombomben mit größerer Reichweite auf realen Schlachtfeldern eingesetzt werden könnten".
Nordkoreas Ziele und Möglichkeiten
Auch Gibum Kim, Wissenschaftler am Zentrum für Sicherheitsstrategie, einer Denkfabrik des südkoreanischen Verteidigungsministeriums, meint, die Bedrohungslage habe sich verschärft. Nordkorea versuche, sein Raketenprogramm auszubauen, um dem Ziel näherzukommen, die nuklearen Fähigkeiten zu stärken.
Die Sprengköpfe würden immer kleiner und vielfältiger. Nordkorea sei so immer besser in der Lage, Südkorea und seine Partner in der Region anzugreifen.
Eine asymmetrische Bedrohung
Dabei ist Nordkorea dem Nachbarstaat insgesamt technologisch weit unterlegen. Kim verweist auf den Firepower Index, eine internationale Rangliste, die anhand verschiedener Kriterien die militärische Stärke eines Landes misst. Von 145 Ländern steht Südkorea auf Rang sechs, Nordkorea auf Rang 34 (Deutschland steht auf Platz 25).
Dazu passt eine Erhebung des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), wonach Südkorea weltweit der achtgrößte Waffenexporteur ist. Mehrfach lieferte es unter anderem schweres Kriegsgerät an Polen.
Kim spricht deshalb von einer asymetrischen Bedrohung Südkoreas, das technologisch überlegen sei, aber nicht über Massenvernichtungswaffen und über ein Raketenprogramm wie der Norden verfüge. Es gebe also ein Ungleichgewicht auf der koreanischen Halbinsel.
Ausstieg aus Atomwaffensperrvertrag?
Ein Ungleichgewicht, das die Lobbygruppe von Daehan Lee beseitigen will - zum Beispiel durch den Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag: Die Bedrohungslage für Südkorea sei bereits so groß, dass dies möglich sei.
Tatsächlich ermöglicht Artikel 10 des Atomwaffensperrvertrages einen Rückzug, wenn durch eine andauernde Mitgliedschaft die höchsten Landesinteressen gefährdet sind.
Ein riskantes Szenario
Gibum Kim von der südkoreanischen Denkfabrik für Verteidigungsstrategie wiederum gibt zu bedenken: Selbst wenn dem so wäre und sich Südkorea auf die Ausstiegsklausel berufen könnte, hätte dies doch erhebliche Konsequenzen. Der Atomwaffensperrvertrag sei sehr wichtig für die atomare Abrüstung auf der koreanischen Halbinsel, das habe seine Institution immer wieder betont.
Würde Südkorea aussteigen, hätte dies weitreichende diplomatische, wirtschaftliche und politische Folgen, ist sich Kim sicher, von dem Ansehen für den Vertrag selbst ganz zu schweigen. Südkorea müsste mit Sanktionen rechnen, unter anderem vom wichtigsten Wirtschaftspartner China.
Ein Argument, das Interessenvertreter Daehan Lee beiseite wischt: "Solche Sanktionen würden nicht lange dauern, denn wir haben Schlüsselindustrien, die für alle wichtig sind, wie zum Beispiel die Halbleiterindustrie, den Schiffbau, die Automobilindustrie oder einige andere kleine Industriezweige, bei denen wir sehr eng mit den USA und Europa zusammenarbeiten."