Erdbebenregion in Syrien An Wiederaufbau ist noch nicht zu denken
Das Leid im Erdbebengebiet im Nordwest Syriens ist weiter unbeschreiblich. Es mangelt an sauberem Trinkwasser, an Zelten und Medikamenten. Millionen Kinder sind von Hunger und Kälte bedroht.
Zahlreiche Kinder sitzen in Afrin am Straßenrand. Die Stadt liegt im Nordwesten Syriens, der von Aufständischen kontrolliert wird. Daneben steht ein aus Planen und Decken zusammengestückeltes Zelt. Mehrere Familien haben hier solche provisorischen Unterstände aufgebaut, um sich ein wenig vor der Kälte zu schützen.
"Seit dem Tag des Erdbebens sind wir obdachlos, ohne Zelte, ohne Unterkunft, ohne irgendetwas", sagte eine junge Frau dem oppositionellen Sender Syria TV. "Man sagt, dass es Hilfsgüter gibt, aber wir sehen nichts davon. Wir haben Babys, die Windeln brauchen. Wir appellieren an die ganze Welt, uns zu helfen. Wer auch immer unsere Stimme hört, bitte helft uns."
WHO: Nicht die Augen verschließen
Dass die Menschen in Nordwestsyrien viel zu lange auf Hilfe warten mussten, hat der UN-Nothilfe-Koordinator inzwischen zugegeben. Auch wenn nun etwa 500 Lastwagen mit UN-Hilfsgütern in der Region angekommen sind, mangelt es weiter an sauberem Trinkwasser, Zelten und Medikamenten.
Vergangene Woche hatte als erster Chef einer UN-Organisation Tedros Adhanom Ghebreyesus, der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Nordwestsyrien besucht. Er zeigte sich tief bestürzt über das Ausmaß der Erdbeben-Katastrophe. "Wir dürfen unsere Augen nicht verschließen und dem syrischen Volk den Rücken zukehren. Wir dürfen nicht zulassen, dass dies eine vergessene Krise wird", sagte er.
Frontverlauf quer durch Erdbebengebiet
Gleichzeitig prangerte der WHO-Chef auch die politische Lage an. Das Assad-Regime verhindert oder erschwert, dass die Hilfe bei den kriegsgebeutelten Menschen in Nordwestsyrien ankommt. Denn die Frontlinien verlaufen quer durch das Erdbebengebiet, es gibt nur drei Grenzübergänge zur Türkei, die für UN-Hilfe geöffnet sind.
"Jeder Grenzübergang sollte genutzt werden, um dem syrischen Volk zu helfen", sagte WHO-Chef Ghebreyesus. "Ich glaube nicht, dass die bestehenden drei Grenzübergänge ausreichend sind." Jeder mögliche Zugang sollte genutzt werden.
1000 Schulen wurden zerstört
Noch immer werden Tausende Menschen in Nordwestsyrien vermisst. Viele Trümmer wurden seit dem Erdbeben noch gar nicht bewegt, weil es weiter an Baggern und anderen schweren Geräten fehlt. In teils zerstörten Krankenhäusern kämpfen Ärzte weiter um das Leben von Verletzten.
Laut UNICEF sind in Syrien und der Türkei Millionen Kinder von Krankheiten und Kälte bedroht. Rund 1000 Schulen seien zerstört, erklärte UNICEF-Geschäftsführerin Catherine Russel in Aleppo. "Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder weiterhin Bildung erhalten. Das ist sehr schwierig. Wir richten Klassenzimmer ein." Sie glaube, dass der Schulalltag absolut wichtig sei, damit die Kinder nicht abfallen und die Schule abbrechen würden. "Aber hier ist das definitiv eine Herausforderung.“
Schulen sollen nicht nur der Ort für Unterricht sein, sondern auch ein Raum für psychologische Hilfe, für Trauma-Verarbeitung, sagte Russel. "Wir sprechen mit den Kindern darüber, was diese Krise für sie bedeutet und wie herausfordernd das für ihre Familien ist. Damit die Kinder verstehen, dass sie nicht allein sind." UNICEF unterstütze sie emotional, damit sie die Probleme besser verarbeiten könnten.
Sorge vor Cholera-Ausbruch
Das Leid im Erdbebengebiet in Nordwestsyrien ist weiter unbeschreiblich - immer noch herrscht Chaos. Die Sorge, dass sich Krankheiten wie Cholera weiter ausbreiten, wächst. Eine weitere Gefahr: Landminen. Nach dem Erdbeben haben Tausende Menschen Hals über Kopf ein neues Zuhause gesucht.
Sie hätten einfach irgendwo ein Zelt aufgestellt - auch in Gebieten, die durch den jahrelangen Krieg vermint sind, erzählt ein Familienvater. "Die größte Gefahr ist, dass eins unserer Kinder gegen einen Sprengkörper stößt. Sei es eine Landmine, eine Bombe oder ähnliches, das ist gefährlich", sagt er.
In Nordwestsyrien ist ein Monat nach dem verheerenden Erdbeben an Wiederaufbau oder gar Alltag noch nicht zu denken. Die Nothilfe steht erst am Anfang, sie ist gerade mal angelaufen.