Syrien Assads System der Folter
Nach dem Sturz von Assad hoffen die Syrer nun auf die Aufarbeitung der Verbrechen des Regimes. In den Foltergefängnissen verschwanden Zehntausende, viele werden bis heute vermisst. Gleich mehrere Geheimdienste waren für die Folter zuständig.
Er könne kein Blut sehen - so soll sich der nun gestürzte syrische Machthaber Bashar al-Assad einmal über seine empfindsame Seite geäußert haben. Der Satz war immer schon eigenartig, wenn man ihn auf Assads ursprüngliche Berufswahl bezieht - Assad wollte Augenarzt werden, bis sein älterer Bruder Bassel 1994 bei einem Autounfall starb und Baschar sein Studium abbrach, um zum Nachfolger seines Vaters als Präsident Syriens aufzurücken.
Geradezu zynisch wird der Satz, wenn man ihn in Zusammenhang setzt mit der rücksichtslosen Kriegsführung gegen die Aufständischen im Land, für die Assads Name seit 2011 steht. Und mehr noch für das brutale Folterregime in Syrien - das Bashar nicht erfunden, sondern von seinem Vater Hafis übernommen hat, das aber unter seiner Herrschaft über mehr als zwei Jahrzehnte ausgebaut wurde und mit immer größerer Menschenverachtung agierte.
Zwar hatte Bashar al-Assad nach Amtsantritt 2000 einige Oppositionelle und Gefangene freigelassen. Doch die Hoffnung auf ein freieres Klima unter dem damals mit 34 Jahren noch jungen Präsidenten erledigte sich schnell. Als zahlreiche Intellektuelle 2001 eine Mehrparteiendemokratie forderten, setzte auch Bashar auf die berüchtigten Methoden seines Vaters und ließ Dutzende Aktivisten verhaften.
Grenzenloser Terror
Noch brutaler wurde der Terror, nachdem 2011 die Bevölkerung gegen Assad aufbegehrte, inspiriert vom Arabischen Frühling und dem Sturz anderer Diktatoren in der Region wie Ägyptens Hosni Mubarak und Tunesiens Zine el-Abidine Ben Ali.
Assad setzte gegen die Demonstranten im Land die Armee und den Geheimdienst ein. Schon in den ersten Wochen des Aufstands sollen Hunderte Syrer vor allem durch die Sicherheitsdienste getötet worden sein. In den Jahren danach erhöhte sich diese Zahl um ein Vielfaches.
Amnesty International schrieb 2023 in einem Bericht über Syrien, "mehrere hunderttausende Menschen" seien "weiterhin Opfer des Verschwindenlassens". Viele seien "bereits seit mehr als zehn Jahren 'verschwunden'". Der Bericht führte mehrere Beispiele für willkürliche und rechtswidrige Tötungen von Aktivistinnen in dem Jahr auf.
Die Rolle der Geheimdienste
Die Verfolgung und Folter von mutmaßlich oder vermeintlich Andersdenkenden wurde vor allem von den Geheimdiensten des Regimes ausgeübt. Insgesamt stützte sich Assad auf vier Geheimdienste - den Luftwaffengeheimdienst, den Militärgeheimdienst, den Politischen Geheimdienst und das allgemeine Geheimdienstdirektorat.
Von ihnen galt der Luftwaffengeheimdienst als der brutalste. Die mächtige Stellung dieses Dienstes geht auf Assads Vater Hafis zurück, der selbst erst Pilot, später Oberbefehlshaber der Luftwaffe war und sich mit dem Ausbau des Nachrichtendienstes ein eigenes Machtinstrument schuf.
Die Geheimdienste verfügten über ein umfangreiches Personal und betrieben zahlreiche Gefängnisse, die nach einem Bericht des Europäischen Zentrums für Menschenrechte über das ganze Land verteilt waren.
Das wahrscheinlich berüchtigste Gefängnis war das Sednaya-Militärgefängnis am Stadtrand von Damaskus, das bei der Bevölkerung zu einem Symbol der Unterdrückung unter Assad wurde. Auch dort wurden Tausende Gefangene ohne Prozess hingerichtet.
Freigelassene Häftlinge berichteten nach dem Sturz Assads, wie in Sednaya täglich gefoltert wurde, teils, bis die Menschen den Verstand verloren oder starben. Amnesty International bezeichnete es 2017 als "Schlachthaus für Menschen".
Ein Überläufer liefert Zehntausende Beweise
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hatte ebenfalls in zahlreichen Berichten die schweren Menschenrechtsverstöße in Syrien dokumentiert. Schon im Jahr 2012 zeigte sie in einem Bericht, wie Assads Schergen in zahlreichen Städten insgesamt 27 Folterstätten eingerichtet hatten. In der Hauptstadt Damaskus wurden schon damals zehn solcher Orte lokalisiert, in Homs, Latakia und Idlib jeweils vier, in Daraa drei und in Aleppo zwei.
2015 veröffentlichte Human Rights Watch einen weiteren Bericht, der Aussagen eines Überläufers mit dem Decknamen "Cäsar" enthielt. "Cäsar" hatte als forensischer Fotograf für die Militärpolizei gearbeitet und bei seiner Flucht mehr als 50.000 Fotos mit sich genommen, von denen viele verstorbene und zuvor misshandelte Gefangene zeigen sollen. Die Bilder zeigten auch, mit welcher Akribie die syrischen Sicherheitsorgane ihre Mordtaten dokumentierten.
Der syrische Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni, der selbst lange in einem syrischen Gefängnis gesessen hat, sagte in einem Interview mit dem Schweizer Tagesanzeiger und der Süddeutschen Zeitung, der Geheimdienst habe "über 80 Arten der Folter" gekannt.
Hinzu seien "unsagbare hygienische Verhältnisse in den überfüllten Zellen" gekommen. Häftlinge seien "systematisch gebrochen" worden. Das sei das "eigentliche Ziel der Gewalt" gewesen - nicht die Informationsgewinnung. In vielen Berichten von Opfern ist auch immer wieder von sexualisierter Gewalt als Foltermethode die Rede.
Die Möglichkeiten des internationalen Rechts
International läuft die Aufarbeitung und Verfolgung der Menschenrechtsverstöße durch das syrische Regime schon seit einigen Jahren.
Im Juni 2023 schuf die UN-Generalversammlung eine neue Institution, die sich mit dem Verbleib Tausender vermisster Menschen aus dem Bürgerkriegsland Syrien beschäftigen soll. Es geht dabei sowohl um das Aufspüren Überlebender als auch um die Klärung des Schicksals von Opfern. Die UN kamen damit den Forderungen von Familien und Menschenrechtsgruppen nach.
Im September 2023 reichten Kanada und die Niederlande vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (IGH) Klage gegen Syrien ein. Das Land habe "unzählige Verstöße gegen internationales Recht begangen", heißt es laut Gericht in der Klage. Im November ordnete das Gericht - zunächst folgenlos - an, dass Syrien sofort alle notwendigen Maßnahmen ergreifen müsse, um systematische Staatsfolter, willkürliche Verhaftungen und schwere Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Außerdem dürfe Syrien keine Beweise für diese Taten vernichten.
Anordnungen, die der IGH erlässt, sind für die betroffenen Staaten grundsätzlich bindend. Der IGH kann sie aber nicht durchsetzen, sondern muss dazu den UN-Sicherheitsrat anrufen. Dort konnte sich Assad bis zu seinem Sturz auf die Unterstützung der Vetomacht Russland verlassen.
Frankreich erließ ebenfalls 2023 einen internationalen Haftbefehl gegen Assad. Die Justiz des Landes begründete ihn mit dem Verdacht auf eine mutmaßliche Mitschuld Assads an Kriegsverbrechen. Zuvor hatten Überlebende eines Giftgasangriffs im Bürgerkrieg von 2013 Strafanzeige gegen Assad gestellt. Bei dem Angriff kamen rund 1.400 Menschen ums Leben.
Die juristische Aufarbeitung der Assad-Jahre dürfte nun zusätzlichen Schwung bekommen. Es ist angesichts von geschätzt rund 600.000 Toten im Bürgerkrieg und 130.000 Vermissten eine gewaltige Aufgabe. Ob sie gelingt, wird auch davon abhängen, wie sehr die neuen Machthaber im Land daran interessiert sind. Und ob das Land die Stabilität erfährt, die es dafür braucht.